Erinnerungen an Heinrich BöllZigaretten für Onkel Hein

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Clemens Böll beim Gespräch über seinen Onkel. (Bild: Worring)

Clemens Böll beim Gespräch über seinen Onkel. (Bild: Worring)

„Wenn jemand Heinrich Böll spielen soll, muss ich ihn darstellten“. Clemens Böll, der Neffe des Literaturnobelpreisträgers, sieht seinem Onkel tatsächlich ähnlich. „Hätte meine Tante Annemarie 2006 Dominik Grafs Kinofilm »Der rote Kakadu« gesehen, dann hätte sie vermutlich einen Schock bekommen.“ Weil in dieser Produktion Clemens Böll, der Gastronom, Heinrich Böll, den Schriftsteller, nicht nur mimte, sondern auch genauso wie der Onkel aussah.

Hein, wie Clemens Böll seinen Onkel stets nannte, verband eine sehr enge Beziehung zum Familienmenschen Heinrich Böll. Seine frühesten Erinnerungen reichen bis in die ersten Nachkriegsjahre zurück, als der Böll-Clan, immerhin 16 Personen, ein großes Haus in der Schillerstraße in Köln-Bayenthal bewohnte. In dem halbzerstörten Gebäude hatte sich die Familie nach ihrer Rückkehr eingerichtet. „Das Haus war immer geöffnet“, schwärmt Clemens Böll von Heins Gastfreundschaft: „Es wurde immer für eine Person mehr gedeckt, denn es hätte ja noch einer kommen können.“ Jeder Flüchtling sei willkommen gewesen, aber auch Autorenkollegen schauten regelmäßig vorbei.“

„Bereits morgens um sieben Uhr“, erinnert sich Clemens Böll, „standen Künstler im Garten.“ Sie wurden zum Frühstück eingeladen und zum Rauchen. Im großen Familienkreis habe man oft Karten gespielt. Als Clemens 13 Jahre alt wurde, durfte er zusammen mit Tante und Onkel sowie den drei Vettern ein halbes Jahr lang mit nach Irland fahren: „Tante Annemarie war Lehrerin und hatte eine Genehmigung, uns Kinder zu unterrichten. Das war eine sehr schöne Zeit, wir haben irrsinnig viel gespielt.“ Vor dem Kamin lauschten die Kinder abends den Geschichten, die Hein und Annemarie aus den Kriegszeiten erzählten.

Später habe er Heinrich Bölls Romane meist nicht zu Ende gelesen, „weil ich die Geschichten darin schon in Irland gehört hatte, ebenso wie ich alle Romanhelden bereits kannte.“ Kein Wunder, dass Clemens Böll vor allem die Kurzgeschichten des Onkels liebt und natürlich das „Irische Tagebuch“.

Wenn Clemens von seinem Onkel erzählt, gerät er ins Schwärmen von diesem stets so „überlegt“ handelnden Menschen, der „kinderlieb“ war, der die Familie unterstützte, wo er nur konnte, der immer viel erzählte und dabei stets „ein offenes Ohr für jedermann“ hatte: „Man konnte mit allen Fragen zu ihm kommen.“ Auch wer wissen wollte, wie man einen Roman schreibt: „Er hat es ausführlich erklärt“.

Umso verletzter und trauriger sei Heinrich Böll gewesen, nachdem er wegen seines politischen Engagements als Terroristen-Sympathisant diffamiert wurde. „Die gesamte Familie stand unter ständiger Beobachtung, dabei hatte Hein überhaupt nichts mit Terrorismus zu tun.“ Auch Clemens musste hautnah erfahren, was es bedeutete, unter Generalverdacht zu stehen: „Als ich in der Eifel einen Drachen steigen ließ, kamen bald Kampfflugzeuge, um die Lage zu beobachten. Das war extrem hysterisch.“

Ein Fest war die Verleihung des Literaturnobelpreises. Clemens Böll: „Damit hatte niemand gerechnet. Wir haben uns vor Freude kaputt gelacht.“ Am allerwenigsten war sein Onkel auf die hohe Ehre vorbereitet: „Er hatte keinen passenden Anzug und musste sich einen leihen.“

Die Nähe zwischen Clemens und Heinrich Böll blieb auch und gerade bestehen, nachdem der Schriftsteller schwer erkrankt in die Aggertalklinik eingeliefert worden war. Clemens, der zufällig nur wenige Kilometer entfernt wohnte, besuchte ihn jeden Tag. Wegen einer Gefäßerkrankung durfte Heinrich Böll nicht rauchen: „Doch ich habe Hein heimlich Zigaretten unter die Bettdecke geschoben.“ Auch an den Todestag des Onkels kann sich der Neffe gut erinnern: „Er sah blendend aus. Aber er hatte in den letzten Tagen nicht mehr geraucht.“ Ein alarmierendes Zeichen.

25 Jahre nach Heinrich Bölls Tod kennen offenbar immer weniger zumal junge Leute den Schriftsteller. Eine Beobachtung, die Clemens Böll betrübt: „Früher wurde ich immer gefragt, ob ich mit Heinrich Böll verwandt sei; das höre ich heute nicht mehr.“ In Köln allerdings sei sein Onkel nach wie vor unvergessen. Weshalb Clemens Böll hier immer noch damit rechnen muss, dass ihn manch einer erstaunt anstarrt - wegen dieser verblüffenden Ähnlichkeit.

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