Fanfare CiocarliaInferno aus verbeultem Blech

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Fanfare Ciocarlia in Aktion. (Bild: Archiv)

Fanfare Ciocarlia in Aktion. (Bild: Archiv)

So muss ein Bauch voller Lärm klingen. 200 Beats pro Minute oder sogar mehr. Ein Blasmusikinferno aus verbeultem, glitzerndem Blech. Wo Fanfare Ciocarlia, Rumäniens aktueller Exportschlager Nummer eins, aufschlägt, geschieht etwas ganz und gar Seltsames mit dem Publikum: Menschen, die der rumänischen Sprache garantiert nicht mächtig und alles andere als der Blasmusik beste Freunde sind, rasen plötzlich vor Begeisterung, beginnen hemmungslos zu tanzen.

Das zwölfköpfige Gypsy-Ensemble Fanfare Ciocarlia stammt aus einem 300-Seelen-Kaff im Nordosten Rumäniens. Wie aus Zece Prajini, dem Dorf ohne Ortsschild, ein Silicon Valley für Hochgeschwindigkeitsblasmusik geworden ist, will bis heute nicht so ganz verraten werden. Eine zentrale Rolle beim Aufstieg der Dorfmusiker zur Kapelle von Welt spielt der deutsche Toningenieur Henry Ernst, der die Band vor über zehn Jahren entdeckte, Tourneen organisierte und die Fanfare-Musik auf seinem Asphalt-Tango-Label zu veröffentlichen begann. Aus dem Zuschussgeschäft „Fanfare“ wurde eine Erfolgsstory mit globalem Nachhall. Als bekannteste Gypsy-Band der alten Welt füllen Fanfare Ciocarlia inzwischen Konzertsäle und Open-Air-Arenen zwischen Rio und Tokio, fast 200 000 Alben haben sie seit ihrem Debüt verkauft. Und wenn die Fanfare-Musiker mit dem balkanophilen US-Duo A Hawk And A Hacksaw spielen, entsteht so etwas wie Worldmusic für Punks.

Mit Saxofonen, Trompeten, Klarinetten, Basstuba, Tenorhorn und Percussion jagen sie ihre Songs in den Schleudergang, singen bei voller Umdrehung über verlorene Lieben, das schwere Leben, den Alkohol und das verrückte Liebchen - „Oh Gott, was soll ich bloß mit ihr machen, sie macht mich wahnsinnig?“ In den Gypsy-Liedern erklingen die osteuropäischen Sehnsuchtsmelodien, nach denen sich ein junges westliches Publikum heute so verzehrt, als könne es an einem Abend mit Fanfare 500 Jahre Kulturgeschichte aufsaugen. Blasinstrumente wurden im Zuge der osmanischen Besetzung des Balkans auch in Rumänien eingeführt, riesige Orchester zogen mit Schalmaien und Posaunen dem Heer voran, um dem Gegner mit lauter Musik Angst und Schrecken einzujagen. Laut ist es immer noch, aber eher eine Multikulti-Feier, wenn sich Fanfare heute auf der Bühne in eine hochmusikalische Blechbüchsenarmee verwandeln, mit Bauchtanz vorneweg. Ein Partyspaß, in dem Raum und Zeit im Wirbel der Töne und Rhythmen entschwinden. Dabei hat die Geschichte der Blasmusik aus Zece Prajini auch etwas ganz Handfestes. Die Vorfahren von Ioan Ivancea, dem im Oktober 2006 verstorbenen langjährigen Fanfare-Bandleader, konnten sich nach der Abschaffung der Leibeigenschaft im 19. Jahrhundert ihren Lebensunterhalt nur in der Landwirtschaft verdienen. „Wie sollte man mit den kräftigen, derben Händen eines Bauers Violine, Kontrabass oder Akkordeon spielen“, hat Ivancea das Blasmusik-Wunder von Zece Prajini einmal angedeutet. „In der Blasmusik sind die Lungen gefragt. Die Narben an den Händen spielen keine Rolle mehr. Luft und Ausdauer muss man haben.“

Weil es keine verschriftlichte Geschichte der Gypsy-Musik gibt, ist der Beitrag der Gypsys zur Erfindung des Jazz auch kaum belegbar. „Es gibt aber nirgendwo auf der Welt eine Blasmusik, die eine so starke Balkan-Note hat wie die in New Orleans“, erklärt Pop-Autor Garth Cartwright, der für sein gerade auf Deutsch erschienenes Buch „Balkanblues und Blaskapellen“ auch mit Fanfare Ciocarlia unterwegs war. In den Fanfare-Songs sind umgekehrt Spuren von Jazz, Blues, von Filmmusiken und türkischem Pop zu entdecken, die furchtlosen zwölf verwandeln sogar weltbekannte Rocksongs in wogende Partymusik. Seit die Band für die Hollywood-Satire „Borat“ den Steppenwolf-Klassiker „Born To Be Wild“ aufgenommen hat, sehen die Denkmalschützer der Rockmusik schon eine gefährlich verführerische Partyfront aus dem Osten aufziehen.

Der Umgang mit fremden Kulturen, Musiken - alles eine Frage der Übung, betonen die Fanfare-Mitglieder. „Wir wachsen mit der Musik von klein an einfach auf“, sagt Trompeter Costica Trifan, „wenn wir fünf oder sechs Jahre alt sind, geht es los, der Vater oder Großvater drückt dir die Klarinette oder Trompete in die Hand und bringt dir den ersten Ton bei.“ Die große Schule der Blasmusik sind die Feiern, Hochzeiten vor allen Dingen und Taufen. Für die Hochzeiten in den Nachbardörfern bleibt kaum mehr Zeit, heute leben die Fanfare-Musiker im steten Wechsel zwischen Heim- und Fernweh. Für Costica Trifan ist die Rückkehr vom Tourneebetrieb in die Arme der Familie auch so etwas wie eine Zeitreise: „Manchmal liege ich dann in Zece Prajini auf der Wiese, starre in den Himmel und wundere mich, wie ruhig es hier doch ist.“

Auftritte: 19. 9., Düsseldorf (Burgplatz, im Rahmen des Festivals „Altstadtherbst“); 20. 9., Bonn (Bundesausstellungshalle)

Buch: Garth Cartwright: „Balkanblues und Blaskapellen“ (Hannibal)

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