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Fast wie im richtigen Leben

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Die Simpsons - nicht zu leicht befunden.

Die Simpsons - nicht zu leicht befunden.

Am Wochenende startete „Die Simpsons - Der Film“ in Springfield (US-Staat Vermont). Am 26. Juli läuft er in Deutschland an. Was bisher geschah.

Als die Störfälle in den Vattenfall-Kraftwerken Krümmel und Brunsbüttel sich vor zwei Wochen zu einem handfesten Skandal auswuchsen, da mag dies einen großen Teil der Bevölkerung nicht überrascht haben. Doch es hatten nicht unbedingt alle dieselben Gründe dafür. Die einen dachten sich: Klar, Atomkraftwerke sind unsicher, weiß doch jeder seit 1986. Die anderen aber wussten: Das Problem liegt im Kontrollraum von Sektor 7G. Denn dort, im Atomkraftwerk von Springfield, arbeitet Homer Simpson, das menschliche Versagen in Person. Und das schon seit 1987.

Tatsächlich ist es 20 Jahre her, dass die ersten Simpsons-Filme, die hierzulande auf Pro Sieben laufen, in den USA im Rahmen der Tracey-Ullman-Show gesendet wurden. Zwei Jahre später wurde aus den Zwischenfilmchen eine Serie, die von 1991 an auch in Deutschland gezeigt wurde - bizarrerweise zuerst im ZDF, wo sie erwartungsgemäß nicht lange blieb. Vielleicht hatte man in Mainz mit etwas Harmloserem gerechnet, das zu den Mainzelmännchen passt. In der Tat mutet die erste Folge „Es weihnachtet schwer“ im Vergleich zu heute ausgesprochen zahm an: Das Weihnachtsfest droht zu platzen, weil die Familie kein Geld für Geschenke hat. Der letzte Versuch treibt Homer zur Hunderennbahn, wo ein Hund namens Knecht Ruprecht das Rennen als Letzter beschließt. Und genau dieser leicht dämliche, aber gutmütige Hund wird die Weihnachtsüberraschung - und gehört fürderhin zur Familie.

Doch der Schein der Harmlosigkeit sollte trügen. Die Simpsons sind lustig, verspielt, Kinder lieben sie, und jede Folge hat ein Happy End. Aber harmlos sind sie nicht. Nicht in Staffel 1 und nicht in Staffel 17. In den USA läuft gerade Staffel 18.

Die Rettung der Welt

Und nach der ersten Simpsons-Kinofilm-Weltpremiere gilt es nicht mehr, nur Weihnachten zu retten, sondern gleich die ganze Welt. Das ist zwar nicht das erste Mal; in der James-Bond-Hommage „Das verlockende Angebot“ (Staffel 8) vermasselt die Familie schließlich dem fiesen Scorpio die Weltherrschaft. Aber diesmal geht es, glaubt man den seit Wochen laufenden Trailern, ums Ganze. Und US-Präsident ist Arnold Schwarzenegger.

Dabei mutet es vielleicht auf den ersten Blick vermessen an, zu behaupten, die gelben Figuren würden Politik machen. Schließlich lässt sich George Bush senior in der Folge „Die bösen Nachbarn“ (Staffel 7) deshalb in Springfield nieder, weil er glaubt, im Ort mit der geringsten Wahlbeteiligung der USA werde er seine Ruhe haben. Schön blöd. Aber: In all den Jahren haben die Simpsons-Macher es verstanden, ihren Standpunkt in zentralen Fragen klarzumachen, und das kann man durchaus als Politik begreifen.

Zum Beispiel Fremdenfeindlichkeit: Da tapst - in „Volksabstimmung in Springfield“ (Staffel 7) - ein Bär durch die Straßen von Springfield, noch friedlicher als einst Bruno, und schon bricht Panik aus. Der Bürgermeister sucht eine Möglichkeit zur Ablenkung und kommt natürlich auf die illegalen Einwanderer. Die sollen raus, fordert der Mob. Bis sich herausstellt, dass Apu, der indische Besitzer des „Kwik-E-Mart“, seit Jahren ohne Visum in Springfield lebt, und das ist natürlich etwas anderes: Der vorgebliche Feind ist einer von uns. Schließlich hält Homer, anfangs einer der schärfsten Verfechter der Ausweisungen, ein flammendes Plädoyer für die Toleranz im großen „Schmelztiegel“ USA - und Apu er hält die amerikanische Staatsbürgerschaft. Merke: Was sogar Homer lernen kann, darf für die anderen kein Problem sein.

Zum Beispiel Schwulenfeindlichkeit: Dass Waylon Smithers, der Gehilfe von Atomkraftwerksbesitzer Monty Burns, heimlich in seinen Chef verliebt ist, erschließt sich dem Zuschauer schnell. Im Zentrum steht das Thema allerdings erst in „Homer und gewisse Ängste“ (Staffel 8). Dort lernt Homer den stockschwulenJohn kennen (Vorbild ist Regisseur John Waters, der im Original auch die Rolle spricht). Das kann Homer in seinem schlichten Weltbild so gar nicht unterbringen - und versucht mit Macht, seinen Sohn Bart zum „ech ten Mann“ zu erziehen. Bis die beiden in eine Stahlfabrik kommen und diese sich als überdimensionale Schwulendisco entpuppt. Nicht, dass Homer mittanzt, aber er, der vormals Homophobe, lernt wieder mal dazu. Später, in Staffel 14, wird Homer sogar kurz mal in einer Schwulen-WG hausen („Homer auf Irrwegen“). Aber das ist eine andere Geschichte.

Eine Stadt im Nirgendwo

Zum Beispiel die Darwin-Debatte: Da erreicht der frömmelnde Nachbar Ned Flanders in „Gott gegen Lisa Simpson“ (Staffel 17), dass die Evolutionstheorie aus dem Schulunterricht verbannt wird - zugunsten der Schöpfungslehre. Eine Diskussion von heute, geführt mit den Argumenten von 1925. Damals spielte nämlich der Fall, der dem Film „Wer den Wind sät“ mit Spencer Tracy zugrunde liegt. Der Film wiederum ist die Vorlage für die Prozess-Szenen dieser Simpsons-Folge. Am Ende gewinnt Lisa für die Evolution. Und dass sie beteuert, selbst an Gott zu glauben, ist nicht etwa ein Zugeständnis, sondern perfide Taktik: Der liebe Gott gehört auch den Skeptikern. Das wird jenen US-Amerikanern, die mit Bushs ostentativer Religiosität nichts anfangen können, aus dem Herzen sprechen - und die anderen ärgert's. Auch gut.

Und das Atomkraftwerk? Das wird wohl in Springfield stehen, so lange es die Simpsons gibt. Denn in dieser Sache sind die Autoren realistisch: So wenig es die US-Bürger tun, so wenig protestieren die Springfield-Bewohner gegen die Atomindustrie. Stattdessen ist der mutierte Fisch mit drei Augen das Wappentier der Stadt. Wohl auch deshalb ist es besser, dass niemand so genau weiß, wo Springfield liegt, die Stadt mit einem der häufigsten Städtenamen der USA.

Im Kino-Film wird, wie der Trailer verrät, das Geheimnis zwar gelüftet. Ned Flanders steigt mit Bart Simpson auf einen Hügel und erklärt ihm: „Und hier siehst du die vier Staaten, die an Springfield grenzen. Ohio, Nevada, Maine und Kentucky.“ Ein Blick auf die Karte beweist - nichts. Die Staaten sind weit verstreut, und Simpsons-Schöpfer Matt Groening ist seinem Vorsatz treu geblieben, ein Phantom-Springfield ohne festen Wohnsitz zu erschaffen. Es reicht doch, wenn die Welt weiß, dass sie gerettet wird. Von Homer Simpson, Arnold Schwarzenegger - oder Ned Flanders. Wer weiß?

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