FestnahmeNetto-Räuber verhöhnte Polizei

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Mit verschiedenen Phantombildern fahndete die Polizei nach dem Haupttäter, Bild 3 soll ihm am ähnlichsten sehen. (Bild: Krasniqi)

Mit verschiedenen Phantombildern fahndete die Polizei nach dem Haupttäter, Bild 3 soll ihm am ähnlichsten sehen. (Bild: Krasniqi)

Köln – Am Ende wurde der Netto-Räuber offenbar übermütig, höhnisch, „er wollte uns regelrecht verarschen“, verriet ein Ermittler der Kölner Polizei dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Im Februar hatte die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ über die spektakuläre, bundesweite Raubserie auf Filialen des Supermarktdiscounters Netto berichtet. Nach dem Filmbeitrag bat ein Beamter der Kölner Polizei, die die Fahndung leitete, die Zuschauer um Mithilfe. Der Name des Beamten war am unteren Bildrand eingeblendet. Genau drei Monate später schlug der Täter erneut zu, diesmal im niedersächsischen Verden, verkleidet als Supermarktmitarbeiter. In Brusthöhe klemmte ein kleines Schild an seinem roten Netto-Shirt – darauf zu lesen war des Name des Polizeibeamten aus Köln.

Nicht der höfliche Gentleman-Räuber, als der er oft dargestellt wurde

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Die Ermittler zahlten dem 38-Jährigen seinen Hochmut auf ihre Weise heim: Vorigen Samstag um 11.45 Uhr nahm ein Spezialeinsatzkommando den Mann in Lübeck fest, dem Wohnort seiner Eltern. Zeitgleich verhaftete die Polizei am Niederrhein seinen mutmaßlichen Komplizen, einen 39 Jahre alten Gebietsverkaufsleiter der Netto-Kette. Auch eine 32-jährige Verkaufsleiterin des Discounters wurde an ihrem Arbeitsplatz festgenommen. Ihr Haftbefehl wurde inzwischen außer Vollzug gesetzt, sie soll nur Mitwisserin gewesen sein und nicht aktiv an den Taten beteiligt.

Insgesamt 19 Überfälle auf Netto-Märkte vorwiegend in Westdeutschland wirft die Polizei den Männern vor. Am 12. Juni 2010 waren sie auch in Köln-Porz erfolgreich, insgesamt viermal in Nordrhein-Westfalen.Beide kennen sich seit der Schulzeit, haben gemeinsam in einem Gymnasium am Niederrhein Abitur gemacht. Der 38-Jährige absolvierte zwischen 1998 und 2001 eine Ausbildung bei der Polizei, verfolgte den Beruf aber nicht weiter. Der Grund ist noch unklar, möglicherweise hat er die Prüfungen für den mittleren Dienst nicht bestanden. Er wechselte ins Sicherheitsgewerbe, war unter anderem zeitweise für den Schutz von Nato-Einrichtungen zuständig.

Sein mutmaßlicher Komplize durchlief die klassische Karriere eines Verkaufsleiters. Mit seinem Insiderwissen soll er geeignete Tatorte und Märkte mit hohem Kassenstand ausgewählt haben. Einige Male soll er zudem das Fluchtauto gesteuert haben. Während der 38-Jährige laut Polizei die Überfälle beging. Dabei erschlich er sich zunächst das Vertrauen der Mitarbeiter, um letztlich ins Büro zu gelangen. Mal soll er sich als Revisor ausgegeben haben, der die Buchhaltung prüfen wollte, mal als Packer, der eine Apfelsinenkiste anliefern wollte, mal sei er „stumpf unter Waffengewalt“ vorgegangen, berichtete Polizeidirektor Roland Küpper. Im Büro zog der Täter eine Pistole und raubte die Tageseinnahmen aus dem Tresor. Er habe zahlreiche traumatisierte Opfer zurückgelassen, sagte Küpper. „Er war bei weitem nicht der höfliche Gentleman-Räuber, als der er oft dargestellt wurde.“

Polizeipräsident Klaus Steffehagen dankte den 60 Beamten der „Ermittlungsgruppe Revisor“ für ihr „hohes, persönliches Engagement“. Mehr als eintausend Hinweise hätten seine Mitarbeiter verfolgt, unzählige Überstunden geleistet.

Ein Handy wurde zum Verhängnis

Ein Handy wurde den Netto-Räubern schließlich zum Verhängnis: An drei Tatorten hatte die Polizei das Gerät zur jeweiligen Zeit des Überfalls geortet. Über das Telefon führte die Ermittler die Spur in die kenianische Hauptstadt Nairobi. Dort lebte der arbeitslose 38-Jährige zuletzt mit seiner Frau. Für die 19 Überfälle soll er jeweils wenige Tage vorher nach Deutschland geflogen und direkt nach den Taten wieder abgereist sein. Insgesamt machten die beiden Männer fast eine halbe Million Euro Beute.

Der 38-Jährige finanzierte damit sein Leben in Afrika, sein mutmaßlicher Komplize soll angeblich ein Spieler sein, sagte Küpper. „Dieser Hinweis ist aber noch nicht bestätigt.“Für den vorigen Samstag hatten die alten Freunde offenbar ihren letzten Coup geplant. Es sollte ein Abschluss werden, an den man sich hierzulande noch lange erinnern sollte, ein „Ende mit Paukenschlag“, wie der 38-Jährige den Polizisten nach seiner Verhaftung auf der Fahrt ins Kölner Präsidium erzählte. Selbst die Zeitungsschlagzeilen vom nächsten Tag hätten die beiden Männer schon im Kopf gehabt: „Deutschland stöhnt unter dem Revisor“.

Zwischen 14 und 21 Uhr wollten die Männer laut Polizei gleich vier oder fünf Netto-Märkte in Niedersachsen entlang der Autobahnen 1 und 7 überfallen – „direkt nacheinander“, berichtete Küpper. Bis dahin waren zwischen zwei Taten sechs bis acht Wochen vergangen.

Doch die Täter ahnten nicht, dass die Polizei ihnen längst auf der Spur war. Als der 38-Jährige am Samstag gegen 11.30 Uhr das Haus seiner Eltern verließ und in ein Auto stieg, heftete sich das SEK an seine Fersen. Bei einem „verkehrsbedingten Stopp“, so Küpper, traten die Beamten an sein Auto heran und nahmen den Verdächtigen fest. Er leistete keinen Widerstand. In seinem Auto lagen eine Gaspistole, zwei Funkgeräte und Arbeitshandschuhe, außerdem eine schon fertig gepackte Reisetasche. Nach den letzten Überfällen hätten die Männer wie immer die Beute durch zwei teilen wollen, anschließend – so der Plan – wäre der 38-Jährige zurück nach Kenia geflogen.In den bisherigen Vernehmungen habe er sich kooperativ gezeigt, berichtete Küpper – im Gegensatz zu seinem mutmaßlichen Komplizen.

Wie die „EG Revisor“ ermittelte, soll der Gebietsverkaufsleiter die Verantwortung für 40 bis 50 Märkte am Niederrhein getragen haben. Er wusste offenbar, in welchen Filialen zu welchem Zeitpunkt besonders viel Geld gelagert war. In einem Fall entschlossen sich die mutmaßlichen Täter zu einem Überfall am Montag, weil im betreffenden Markt tags zuvor verkaufsoffener Sonntag war, die Wochenendeinnahmen also besonders hoch gewesen sein mussten. Bei der Auswahl der Tatorte soll der 39-Jährige stets darauf geachtet haben, dass die Supermärkte jeweils ländlich gelegen sind, eine Autobahnauffahrt in der Nähe ist und die nächste Polizeiwache in weiter Ferne.

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