FilmKeine Ruinen, keine Brachen, kein Beton

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Carl de Vogt (vorn) ist „Der Bettler vom Kölner Dom“. (Bild: Deutsche Kinemathek)

Carl de Vogt (vorn) ist „Der Bettler vom Kölner Dom“. (Bild: Deutsche Kinemathek)

Nein, Tünnes spiegelt ganz gewiss nicht bloß vor, dass er mit ganzer Seele das ist, was er zu sein scheint: ein glücklicher Betrunkener. Zwar glaubt der hochmögende Ermittler Tom Wilkens, eigens von der Internationalen Polizei in Brüssel an den Rhein angereist, ihm sei ein besonders durchtriebener Halunke ins Netz gegangen. Schnell aber kann ihn der örtliche Polizeichef mit wissendem Lächeln davon überzeugen, dass Tünnes, dieses Urgestein kölscher Seelencharakteristik, tatsächlich voll ist wie eine Haubitze.

Bei den übrigen Figuren in „Der Bettler vom Kölner Dom“ kann man sich da nicht so sicher sein. Rolf Randolf hat 1927 seinen Stummfilm als Masken- und Verkleidungsspiel inszeniert, das natürlich nur zu einer Jahreszeit seinen Lauf nehmen kann: zur fünften, in den Tagen des Karnevals also, dessen Kostümierungslust unversehens in ein kriminalistisches Katz- und Maus-Spiel umschlägt.

Digital restauriert

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Der historische Klassiker ist nun in einer digital restaurierten Fassung und mit zwei neuen Musikbegleitungen auf DVD erschienen (siehe „Die DVD-Edition »Der Bettler vom Kölner Dom«“). Weil die Originalkomposition von Hans May aus dem Jahr 1927 als verschollen gilt, hat der Münchner Komponist Pierre Oser eine neue Partitur ausgearbeitet, die das WDR-Rundfunkorchester jüngst einspielte - ergänzt werden diese Passagen um den Mitschnitt einer improvisierten Live-Aufführung von Günter A. Buchwald während der Bonner Stummfilmtage.

„Der Bettler vom Kölner Dom“ ist nicht nur ein frühes Beispiel für deutsches Krimi- und Action-Kino - vor allem verbindet sein Regisseur Rolf Randolf Lokalkolorit mit der weltläufigen Aura des Agentenfilms: Brüsseler Großfahnder treffen in Köln auf ein eigentümliches Detektivpaar namens Napoleon Bonaparte Schmitz und Carolus Caesar Müller, ein vermeintlicher Weltenbummler aus Indien verliert seinen Juwelenschatz an die verbrecherischen Abgründe, die sich im rheinischen Karneval auftun - vor allem aber treibt ein dämonischer Bettler (Carl de Vogt) sein Unwesen rund um den Dom, diesem Wahrzeichen des Kölner Katholizismus, der so gar nichts gegen die moralische Verwahrlosung in den benachbarten Spelunken und Kellergewölben auszurichten vermag.

Es ist das Köln der Vorkriegszeit, das wir hier zu Gesicht bekommen. Keine Ruinen, keine Brachen, keine Domplatte, welche die Kathedrale stranguliert - im Gegenteil, vom „Excelsior Hotel“, einem der zentralen Schauplätze des Films, schaut man auf einen Dom, zu dessen Haupteingang eine breite Freitreppe hinauf führt. Es ist eine zum Teil sogar herrschaftliche Stadt, die einem in manchen Szenen des Films entgegen tritt, noch nicht zugerichtet durch Verkehrsadern, auch wenn schon die Automobile durch Köln rollen und den Pferdegespannen Konkurrenz machen.

Ein weiterer Schauwert des Films sind die Originalaufnahmen des Rosenmontagszugs aus dem Jahr 1927. Kostümiert sind vor allem die Kinder, die am Wegesrand stehen - die Erwachsenen sehen dem Spektakel in ernster Alltagskleidung zu, die Herren mit breiten Filzhüten auf dem Kopf, die Damen in Mäntel eingehüllt. Wie um gegen die grauen Menschenmassen anzudrehen, steckt Randolf seine fiktiven Charaktere in prachtvolle Harlekinkostüme, so als wolle er einen Hauch Venedig durch die trutzige Bürgerstadt am Rhein mit ihrem frommen Domthron wehen lassen. Und mit dem Turban, der das Haupt des Darstellers Henry Stuart ziert, hält gar der Orient Einzug.

Auf einer zweiten DVD bietet die „Edition Filmmuseum“ Kurzfilme aus Köln, ebenfalls aus der Stummfilmzeit, darunter die berühmte Ankunft eines Zuges im Hauptbahnhof, welche der „Kinematograph“ der Gebrüder Lumière für die Ewigkeit festgehalten hat - als „lebende Photographien“ pries der „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 23. Mai 1896 diese optische Innovation.

Apropos. Auch einen Werbefilm von 1927 für die „Kölnische Zeitung“, damals das Mutterblatt des „Stadt-Anzeiger“, präsentiert die DVD. Produziert hat ihn niemand Geringerer als Walter Ruttmann, der Pionier der Frühzeit des Films. Spätestens in seiner „Sinfonie einer Großstadt“ gelangte Ruttmann zu völlig neuen Schnittverfahren und experimentellen Erzählrhythmen, indem er ein Wochenende in Berlin in eine rasante Montage zerlegt.

Werbefilm von Ruttmann

Sein Werbefilm „Dort wo der Rhein...“ präsentiert sich ebenfalls innovationsfreudig als Industrie-Comic in bewegten Bildern. Ruttmann kombiniert Scherenschnitt-Schablonen, die etwa die Rheinwellen darstellen, mit expressionistisch überzeichneten Figuren und Schrift: der Herstellungsprozess des Massenmediums ist ebenso Gegenstand seines Films wie die Ressorteinteilung der „Kölnischen Zeitung“ („Das Blatt für Sie!“). Ihr Erscheinungsort spielt genauso eine Rolle wie der Vorzug, dass es auch Gerichts- und Polizeireportagen zu lesen gibt - was übrigens auch Rolf Randolf in diesem nämlichen Jahr 1927 zu schätzen weiß, als er seinen Spielfilm inszenierte. „Der Bettler vom Kölner Dom“ wird in großen Lettern natürlich auch auf der Titelseite der ersten Morgenausgabe der Zeitung gesucht.

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