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Flugzeugentführung, Teil IIDer Entführer, der nur reden wollte

Lesezeit 4 Minuten
Am 12. September 1979 entführt ein 30-Jähriger Elektroschweißer aus Hessen die Lufthansa-Maschine „Münster“ nach Köln/Bonn – dorthin, wo die Boeing 727 ohnehin landen sollte. An Bord sind 121 Passagiere und sieben Besatzungsmitglieder. (Bild: MDS-Archiv)

Am 12. September 1979 entführt ein 30-Jähriger Elektroschweißer aus Hessen die Lufthansa-Maschine „Münster“ nach Köln/Bonn – dorthin, wo die Boeing 727 ohnehin landen sollte. An Bord sind 121 Passagiere und sieben Besatzungsmitglieder. (Bild: MDS-Archiv)

Am Nachmittag landet auf dem Flughafen ein Hubschrauber. An Bord ist Hans Jürgen Wischnewski. Der Mann, der schon bei der „Landshut“-Entführung erfolgreich vermittelt hatte, redet mit dem sonderbaren Entführer. Über die humane Gesellschaft, die Keppel sich ausgedacht hat. Über mehr Geld für Krankenhäuser und Spielplätze, eine Volksabstimmung über den Bau von Atomkraftwerken, mehr Jahresurlaub. „Ben Wisch hat mit ihm geredet wie ein Geistlicher mit einem armen Sünder“, erzählt Günther Braun, der die Verhandlungen am Funkgerät verfolgt hat. Das belegen auch die Aufzeichnungen des Gesprächs. „Ich wäre unredlich, wenn ich Ihnen sage, ich verspreche Ihnen, morgen wird die allgemeine Wehrpflicht (..) abgeschafft.“ Wischnewski erklärt Keppel die Grundzüge der sozialliberalen Entspannungspolitik, spricht mit ihm über Abrüstungsverhandlungen. Er kann den Entführer sogar überzeugen. „Ja, ich finde ihre Vorschläge ganz gut, das muss ich also ehrlich sagen.“

Zweieinhalb Stunden reden die beiden. Dann bittet Wischnewski Keppel, aufzugeben: „Ich mache ihnen folgenden Vorschlag. Ich bitte sie herzlich die Crew frei zulassen. Ich möchte, dass sie auch wissen, wie es mit Ihnen weitergeht...“ Das ahnt Keppel bereits „Ich habe von vornherein einkalkuliert, dass das ein paar Jahre Gefängnis gibt (..) Also, gut ich bin damit einverstanden, ich überliefere auch meine Pistole, es ist im übrigen eine Spielzeugpistole.“

Gegen 22 Uhr lässt der Entführer die Crew gehen, an der Kabinentür gibt er Kapitän Misar die Hand und entschuldigt sich für eventuelle Unannehmlichkeiten. Er hat zehn Packungen „Camel“-Zigaretten, vier Taschentücher, einen Rasierapparat, eine Zahnbürste und zwei Spielzeugpistolen dabei, als die Polizei ihn abführt. Die Pistolen hat er Tage vorher für 10,75 DM in Bebra gekauft.

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Keppel verbringt die Nacht in Untersuchungshaft. Als er am nächsten Morgen zum Verhör abgeführt wird, trifft Günther Braun ihn zum ersten Mal. Bevor Keppel hinter der Stahltür verschwindet, dreht er sich zu den Reportern um und bittet: „Ich hoffe, dass man etwas für meine Frau und meine Kinder tut.“ Günther Braun erinnert sich, er habe in dem Moment Mitleid mit Keppel gehabt. „Das war eine harmlose Seele“ Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilt Raphael Keppel 1980 zu dreieinhalb Jahren Freiheitsentzug. Die Richter sprechen dem „Entführer im Interesse der Menschlichkeit“ eine verminderte Schuldfähigkeit zu.

ksta.tv: Polizeireporter Günther Braun erinnert sich

Dass die Richter mit der Einschätzung von Keppels Geisteszustand richtig gelegen haben könnten, das lässt sein weiterer Werdegang erahnen. Als Raphael Keppel zwei Jahre später auf Bewährung entlassen wird, nimmt die Wiesbadener Landesgruppe der Grünen ihn unter ihre Fittiche. Als therapeutischen Akt. Keppel arbeitet als Assistent der Fraktion, wird zum Fundi, Radikalökologen und torpediert immer wieder das Bündnis mit der SPD. Laut „Spiegel“ verdient er 4800 Mark brutto.

Er ist nicht besonders beliebt in der Partei. Als Strafvollzugsexperte der Grünen besucht er die Gefängnisse des Landes. Im Frauenknast Frankfurt-Preungesheim lernt er 1985 die englische Sängerin Geraldine Blecker kennen – sie sitzt, weil sie mit Kokain in der Tasche erwischt worden war. Gemeinsam nehmen sie eine Platte auf. Songschreiber Keppel reimt über Politik und Liebe. Das Lied „Helmut“ singt er selbst. „Helmut ist kein Farbenblinder, wenn er aber grün sieht, sieht er Rote und Chaoten“. Die Schnulze auf der B-Seite,„Oh Cherie“ haucht Geraldine ins Mikro.

Die Platte wird kein Erfolg. Ebenso wenig wie die beiden weiteren Bücher die er schreibt. Im Oktober 1985 tritt Keppel aus der Partei aus. Er droht immer wieder damit, seine Tagebücher aus der Landtagszeit zu veröffentlichen und damit „Korruption, Verlogenheit und Wählerbetrug“ der grünen Realpolitiker zu entlarven. Doch laut „Spiegel“, dem Auszüge von Keppels Notizen vorlagen, ging es darin nur um Kleinkariertes und interne Streitereien.

Das Letzte was man von Keppel hört, kommt aus Paraguay. Von dort stammt ein Brief, den Keppel 1986 an den Grünen-Landtagsabgeordneten Jan Kuhnert schreibt. Er wisse nicht genau, wie er nach Paraguay gekommen sei, schreibt Keppel. Ihm fehlten vier Tage in seinem Gedächtnis. Was folgt ist eine abstruse Verschwörungstheorie: es geht um Entführung, Korruption, Geheimakten und 3500 DM, die der Fraktionskasse fehlen. Doch die Beweise dafür, dass Keppel ins Visier rechtsradikaler Geheimdienstkreise geraten war und entführt wurde, erweisen sich als schlechte Fälschungen. Die Polizei findet heraus, dass Rapahel Keppel damals selbst ein Flugticket nach Paraguay gekauft hat – Kostenpunkt: 3111 Mark.

Seit Mitte der 80er Jahre verläuft sich die Spur des Entführers der Lufthansa-Maschine „Münster“.

Teil 1: Wie Keppels Entführung begann

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