Frauenpower statt Männerbünde

Lesezeit 4 Minuten
Nur eine schmale Schärpe tragen die Mitglieder der ADV Agrippinia - Gold steht für Freundschaft, Blau für Treue und Grün für die Verbundenheit zum Rheinland. Politische Ziele haben sie nicht, einziges Aufnahmekriterium ist das Geschlecht.

Nur eine schmale Schärpe tragen die Mitglieder der ADV Agrippinia - Gold steht für Freundschaft, Blau für Treue und Grün für die Verbundenheit zum Rheinland. Politische Ziele haben sie nicht, einziges Aufnahmekriterium ist das Geschlecht.

Zum Semesterbeginn kauft Sarah Müller-Hill ein totes Huhn und frische Schweinehaut. Bei Ebay ersteigert sie ein billiges Nähset. Alles zusammen trägt sie in die Uni. Mit dem Skalpell ritzt sie vorsichtig eine Wunde in das Fleisch. Nur um anschließend alles wieder zusammenzunähen. Kein dunkles Ritual, sondern ein Schnupperkurs der ADV Agrippinia - Kölns einziger Damenverbindung. Mit dem chirurgischen Nähen wirbt die Studentenverbindung an der Uni um neue Mitglieder: Hühnchenbeine bandagieren, Schweinehaut nähen, „Vegetarier können auch eine Bananenschale zusammenflicken“, erzählt Sarah Müller-Hill bei einem Treffen in der Lindenthaler Kneipe „Limón“. Seit knapp fünf Jahren gibt es die Damenverbindung. Um den Tisch sitzen sechs junge Frauen. Sie haben keinen Schmiss und keinen Degen. Narben sucht man in ihren Gesichtern vergeblich. Männliche Rituale wie die Mensur, bei der die Mitglieder der Burschenschaften traditionell Kämpfe ausfechten, hat der Frauenbund nicht. „Damit können wir uns nicht identifizieren“, sagt Müller-Hill. „Wir übernehmen ein altbewährtes Konzept und drücken ihm unseren modernen Stempel auf.“ Dafür brauchen die Agrippinen keine Uniform und schiefe Mütze. Über die Schulter tragen sie einzig ein schmales Band. Was ein bisschen an Schärpe und Misswahl erinnert, ist das Bekenntnis zu den Grundwerten der Verbindung: Gold für Freundschaft, Blau für Treue und Grün für die Verbundenheit zum Rheinland.

An deutschen Universitäten entstehen immer mehr Damenverbindungen. Derzeit sind es ungefähr dreißig. Allein in den letzten fünf Jahren ist die Zahl um 50 Prozent gestiegen. Akademische Bündnisse für Männer gibt es dagegen seit über 150 Jahren. Vor allem günstige Zimmer in eigenen Häusern machen sie für Studenten immer noch attraktiv. Von einem eigenen Verbindungshaus können die Kölnerinnen jedoch im Moment nur träumen. Dafür fehlen noch die älteren Mitglieder, die das Bündnis finanziell unterstützen. Mit günstigen Wohnungen müssen sie die Studentinnen aber auch gar nicht locken, sondern mit etwas, das vielen heute abhandengekommen ist: Lebenslange Freundschaft. „Nach der Schule verstreuen sich die Leute in alle Winde“, sagt Trixi Kraatz. Dann lebe man sich schnell auseinander, der Kontakt breche ab. Gemeinschaft statt Einzelkämpfertum - das hat auch die 24-Jährige während ihres Jurastudiums gesucht. Im Internet stieß sie auf die „Agrippinia“. Wenn sie jetzt ein großes oder kleines Problem hat - im Studium, in der Liebe oder im Beruf -, schickt sie eine Rund-Mail an alle Agrippinen. Kurze Zeit später landen zahlreiche Antworten in ihrem Postfach. „Auf meine Mädels kann ich mich verlassen“, sagt sie. Das soll auch nach dem Studium so bleiben.

Männer nutzen Studentenverbindungen traditionell als Seilschaften für den Beruf. In den Führungsetagen mancher Unternehmen saß früher kaum ein Mann ohne Schmiss. So ein Netzwerk will auch die „Agrippinia“ sein - die „Hohen Damen“ sollen den Jüngeren den Einstieg in den Beruf erleichtern. Eine „Hohe Dame“ ist auch Sarah Müller-Hill, denn sie hat ihr Medizinstudium vor knapp zwei Jahren beendet. Jetzt arbeitet sie als Ärztin im Krankenhaus. Bei der Bewerbung hat ihr eine andere „Hohe Dame“ geholfen, die bereits Ärztin war. „In Zukunft wollen wir weitere Kontakte zu akademischen und wirtschaftlichen Frauennetzwerken knüpfen“, sagt die 30-Jährige. Mit Vorträgen und Workshops wollen sie den Studentinnen eine Ausbildung bieten, die über das Studium hinausgeht. Trotz hoher Ziele stoßen die jungen Frauen häufig auf Skepsis und Vorurteile: Studentenverbindungen seien elitär, verstaubt und rechtsextrem, heißt es dann. Doch mit den alten Burschenschaften, die sich durchaus zu bestimmten politischen Richtungen bekennen, hat die Damenverbindung soviel gemeinsam wie eine Klosterschule mit Harry Potters Zauberinternat. „Wir verfolgen keine politischen Ziele“, sagt Sarah Müller-Hill. „Einziges Aufnahmekriterium ist das Geschlecht.“ Auch darum, wer den Bierkrug am schnellsten leert, geht es bei den Frauen nicht. Der Spaß kommt trotzdem nicht zu kurz. Cocktailpartys, Casinoabende, kulturelle Führungen, Brunchs oder Treffen mit anderen Damenverbindungen aus ganz Deutschland stehen auf dem Semesterprogramm. Ab und zu feiern die „Mädels“ auch mit den männlichen Studentenverbindungen. „Die meisten sind besser als ihr Ruf“, sagt Trixi Kraatz. „Die sind alle ganz höflich.“ Die Partys finden häufig auf den Verbindungshäusern der Männer statt. Der Vorteil: Das Aufräumen können sie den Herren überlassen.

KStA abonnieren