Rheinland für EntdeckerWo Beethoven zum Freidenker wurde

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Dirk Kaftan

Dirk Kaftan ist seit vergangenem Jahr Generalmusikdirektor der Stadt Bonn.

Es ist fünf Minuten vor zehn Uhr morgens, als wir uns vor dem Eingangstor zu Beethovens Geburtshaus in der Bonngasse treffen. Die schwarze Lederjacke, die Dirk Kaftan trägt, lässt nicht auf den ersten Blick auf seine Profession schließen. Seit 2017 ist er Generalmusikdirektor der Stadt Bonn und damit Chef des Beethoven Orchesters. Genauso gut könnte man ihn aber für den Lehrer einer der  Schulklassen halten, die vor verschlossener Tür warten. Die Kinder sind zum Teil von weit her angereist, eine Klasse sogar aus Frankreich. Die Kundschaft in Beethovens Geburtshaus ist international.

Das Tor wird  pünktlich um zehn Uhr geöffnet. Wir schlendern durch den Garten und betreten das gelb getünchte Geburtshaus. Das Entree wirkt recht unspektakulär. Der Familienstammbaum der Beethovens und historische Stadtpläne von Bonn und Wien lassen sich hier studieren. Kaftan sieht sich die Karten an. „Beethoven ist Last und Lust gleichzeitig“, sagt er.  „Man misst sich als Musiker ohnehin an ihm, und dann nach Bonn zu kommen, ist schon eine Herausforderung. Die Frage ist, wie versteht man den damit verbundenen Auftrag?“

Mehr Präsenz für die Musik

Wir gehen ein paar Schritte weiter. Ein Bild im Zimmer zeigt das Streichquartett-Ensemble des berühmten Geigers Joseph Joachim 1890 in Bonn. Joachim war der erste Ehrenpräsident des Vereins Beethoven-Haus der 1889 von zwölf Bonner Bürgern gegründet worden war, um das vom Abriss bedrohte Anwesen zu kaufen und zu einer Gedenkstätte umzugestalten. Als Gründer der Kammermusikfeste des Beethoven-Hauses steht Joachim für das bis heute gepflegte Neben- und Miteinander von Bewahren im Museum  und dem lebendigen Musizieren im Kammermusiksaal.

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Ein bisschen mehr Präsenz der Musik Beethovens wünscht sich Kaftan auch für die Ausstellungsräume, um „eine lebendige Brücke zu schlagen“. Möglicherweise wird dem Dirigenten dieser Wunsch ja bald erfüllt. Die Dauerausstellung wird von Februar 2019 bis zum Mai für aufwendige Umbauten geschlossen, um sich dem Publikum zu Beethovens 250. Geburtstag im Jahr 2020 moderner und zeitgemäßer präsentieren zu können.

Als Kaftan ein Porträt von Beethovens Großvater Ludwig d. Ä. sieht, der als Hofkapellmeister im Dienste des Kurfürsten von Köln sehr hohes Ansehen genoss, beginnt er, von der großen Zeit der Bonner Hofkapelle zu sprechen: „Sie war eines der besten Orchester der Welt. Das vergisst man immer gern. Da konnte eigentlich nur die Hofkapelle in Mannheim mithalten“, sagt er. „Wenn die Leute sagen, dass Beethoven hier in der Provinz aufgewachsen sei, stimmt das in musikalischer Hinsicht ganz sicher nicht. Er ist hier großgeworden in einer musikalischen Weltstadt.“

Dass Beethovens Weltanschauung ihre Prägung in Bonn fand, hat freilich mit dem aufklärerischen Geist zu tun, der während der Regentschaft des Kurfürsten Maximilian Franz in dieser Stadt herrschte. „Hier waren die Freidenker der Zeit versammelt“, sagt Kaftan. Auch die Bratsche, auf der Beethoven damals in der Bonner Hofkapelle spielte, ist im Haus ausgestellt.

Eine weitere Attraktion aus der Instrumentensammlung des Museums: Der letzte Flügel des Komponisten aus der Werkstatt des Wiener Klavierbauers Conrad Graf. Gegenüber: Ein Instrument, das baugleich mit dem Hammerklavier ist. Der Londoner Klavierbauer Thomas Broadwood schenkte es dem Komponisten 1817.

Wie klang das damals?

Die Kenntnis historischer Instrumente ist für Kaftan ein wichtiger Aspekt, die Musik der Beethoven-Zeit zu verstehen. „Ich finde es ganz wichtig, dass man immer wieder vergleicht. Wir wollen ab 2020 ein Hofkapellenprojekt ins Leben rufen, bei dem wir zum Teil historische Instrumente spielen und uns mit dem Hofkapellenrepertoire auseinandersetzen.“

Den Umgang mit Handschriften und Faksimiles mag Kaftan. Dennoch: Beethoven – das sei eine Herausforderung. „Das muss man erst einmal entziffern. Dafür aber spürt man in seinen Handschriften diese unglaubliche Impulsivität.“ Zu den berühmtesten Stücken der Sammlung des Beethoven-Hauses, bei der es sich um die weltweit größte handelt, zählen die Autographe der Mondscheinsonate, der Sinfonie Nr. 6 („Pastorale“) oder der Diabelli-Variationen. Diese lichtempfindlichen Kostbarkeiten sind in der Dauerausstellung nicht zu sehen, sondern lagern hinter einer schweren Eisentür im Tresorraum unter dem benachbarten Kammermusiksaal.

Eintritt und Anfahrt

Beethovenhaus, Bonngasse 20 53111 Bonn Tel: 0228/98 17 50 Geöffnet täglich zehn bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet sechs Euro für Erwachsene; Schüler und andere Ermäßigungsberechtigte zahlen 4,50 Euro, Kinder unter sechs Jahren haben freien Eintritt. Ferner gibt es Gruppenermäßigungen. www.beethoven.de

Nach seinem ersten, eher kurzen Besuch in diesem Hochsicherheitstrakt war Bonns Generalmusikdirektor klar: „Ich will unbedingt noch einmal hin.“ In Beethovens Besitz befanden sich nicht nur qualitätvolle Instrumente, sondern auch ein aufwendig gearbeiteter Schreibtisch, der die Jahrzehnte überlebte – unter anderem im Arbeitszimmer von Stefan Zweig. Kaftan beneidet den Schriftsteller nicht – wenngleich er den Schreibtisch auch gut findet. „Der ist hier schon ganz gut aufgehoben“, sagt der Musiker, erwähnt noch, dass „das hier eine sehr aufgeräumte Fassung des Studierzimmers ist“. Und bedauert fast ein bisschen, dass das bei Beethoven übliche Chaos hier nicht abgebildet sei.

Hörrohre des Komponisten

Von Beethovens Ertaubung erzählen die ausgestellten Hörrohre auf sehr plastische Weise. Der Anblick der Geräte löst bei Kaftan erstmal wenig Emotionen aus. Doch: „Es berührt mich aber, wenn ich darüber nachdenke, wie er sich gequält hat. Was hat er gehört? Was kam bei ihm an? Bei der Aufführung der neunten Sinfonie hatte man einen zweiten Dirigenten hinter ihn gestellt, um sie überhaupt zu Ende bringen zu können. Diese Vorstellung berührt schon sehr.“ Am Ende des Rundgangs über knarzende Dielen bleiben wir vor dem Geburtszimmer stehen. In der Dachkammer, wo der kleine Ludwig am 16. oder 17. Dezember 1770 das Licht der Welt erblickte, hält man nach Exponaten vergebens Ausschau. Kaftan blickt hinein und sagt: „Das finde ich ganz schön, dass dies ein leerer Raum ist.“

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Weitere Informationen für Bonn Besucher

Anreise: Vom Hauptbahnhof aus erreicht man die Bonngasse zu Fuß in wenigen Minuten. Straßenbahnen und Busse halten an der nahe gelegenen Haltestelle Bertha-von-Suttner-Platz/Beethoven-Haus, an der sich auch Taxistände befinden. Parkplätze bieten die innerstädtischen Parkhäuser; am nächsten gelegen sind Stiftsgarage, Marktgarage und Friedensplatzgarage. 

Einkehr: In direkter Nachbarschaft des Beethoven-Hauses befindet sich das Traditionsgasthaus „Im Stiefel“. Die Speisekarte bietet regionale Spezialitäten für den großen und kleinen Hunger und saisonal wechselnde Angebote.

Für Kinder: Kinder und Familien finden im Beethoven-Haus vielfältige Möglichkeiten, sich auf Beethovens Spuren zu begeben.  Unter anderem gibt es jeden ersten Samstag im Monat um 14.30 Uhr kostenlose Führungen für Kinder ab sechs Jahren. Dauer 45 bis 60 Minuten. Führungen für Familien werden turnusmäßig sonntags um 14.30 Uhr oder nach Vereinbarung angeboten.

Der nützliche Tipp: Nur noch bis zum Januar 2019 kann man die virtuelle Installation „Fidelio, 21. Jahrhundert“ erleben. Highlights aus Beethovens einziger Oper Fidelio gibt es hier in einer abstrakten 3D-Animation zu sehen. Mit 3D-Brillen ausgerüstet, können Besucher die aufregende Geschichte der beiden Kontrahenten Florestan und Don Pizarro verfolgen und sogar beeinflussen. Für Kinder ab fünf Jahren.

Kontrastprogramm: Ein Blick auf das Programm der Open-Air-Konzerte auf dem Bonner Kunst!Rasen lohnt sich. www.kunstrasen-bonn.de

Kultur: Bonn verfügt über eine reiche Museumslandschaft. Das Bonner Kunstmuseum, die Bundeskunsthalle, das Macke-Haus und weitere Häuser zeigen spannende Ausstellungen.

Übernachtung: Einen guten Überblick über die Übernachtungsmöglichkeiten bietet die Internetseite der Stadt Bonn unter der Rubrik „Tourismus“. www.bonn.de

Für Sportliche, Wanderer und Radfahrer: Der Rhein ist vom Beethoven-Haus nur wenige Hundert Meter entfernt. Das Ufer des Flusses ist ein idealer Ort für die Besucher, die nicht nur Kultur schätzen, sondern sich danach auch körperlich noch ein bisschen verausgaben wollen. Vom gemächlichen Spaziergang bis zur sportlichen Radtour ist einiges geboten.

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