Interview mit Förster Peter Wohlleben„Wie sieht eigentlich ihr Traumwald aus?”

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Unser Autor Stephan Klemm im Gespräch mit Peter Wohlleben in seinem Eifeler Forst.

  • Der Herbst ist für Förster Peter Wohlleben eine Zeit des Aufatmens, denn der Sommer setzt der Natur zunehmend zu.
  • Deshalb fordert er dringend mehr Schutzgbiete und mehr Vielfalt im Wald.
  • Trotzdem lautet seine Botschaft: Bitte alle mal entspannen. Warum, verrät er im Interview.

Herr Wohlleben, die Landschaft und der Wald verändern sich, die Tage werden kühler und kürzer. Wie erleben Sie gerade die Zeit des Wandels hin zum Herbst? Für mich ist das, gerade nach diesem heißen Sommer, mit einem Aufatmen verbunden. Es normalisiert sich jetzt alles ein bisschen. Die Natur hat allerdings Schäden davongetragen im Sommer. Bis sich das alles wieder ausgleicht, wird es mindestens Monate dauern. Und dennoch ist der beginnende Herbst für mich schlicht eine Zeit der Erholung.

Wie erleben Sie gerade den sich in dieser Jahreszeit wandelnden Wald? Löst das etwas in Ihnen aus? Der Wald bereitet sich auf den Winterschlaf vor. Auch Bäume halten Winterschlaf, sie werfen jetzt das Laub ab. Bei einigen Baumarten, den Obstbäumen und Birken, beginnt das ein bisschen früher. Einige Bäume können allerdings, wenn sie es durchhalten, ihr Laub gleichwohl ein bisschen länger halten, was auch wichtig für sie ist. Denn sie sind noch nicht satt, sie konnten über den Sommer nicht genug Zucker bilden. Ich persönlich empfinde gerade den Herbst als eine sehr, sehr schöne Jahreszeit.  Weil sich nun neben dem Wandel viele Lebewesen auf den Winterschlaf vorbereiten, der Rhythmus wird insgesamt etwas langsamer. Wir merken auch am eigenen Körper, dass die kürzeren Tage dazu führen, dass wir alles ein bisschen ruhiger angehen lassen. Es häufen sich Pfunde an, das ist so gewollt, weil wir von Natur aus darauf eingestellt sind, nun alle Systeme etwas herunterzufahren, um Energie zu sparen. Das ist auch wissenschaftlich gut belegt. Blöderweise gibt es genau in dieser Zeit auch die leckeren Sachen aus dem Backofen, die das Pfundesammeln auch noch verstärken können.

Ist der Herbst Ihre bevorzugte Jahreszeit? Ich habe keine Lieblingsjahreszeit. Das einzige, was ich nicht mag, ist der Übergang vom Winter zum Frühling, wenn es tagelang regnet und es insgesamt sehr matschig ist. Dann ist die schöne Winterstimmung schon vorbei. Aber den aktuellen Wandel der Jahreszeit genieße ich sehr, weil alles gemütlicher wird, man auch mal drinnen sitzt und die Plätzchen auf den Tisch kommen. Das alles zusammen finde ich total schön.

Bäume gehen im Herbst auf Toilette

Gerade die Wälder verändern sich im Moment offensichtlich. Sie werden kahler und bunter. Gefällt Ihnen das? Ja, das gefällt mir. Man kann verschiedene Dinge beobachten, aber eine Sache nicht, die allerdings auch sehr spannend ist. Und zwar, dass Bäume im Prinzip im Herbst auf die Toilette gehen. Die machen dann ihr großes Geschäft. Sie wollen ihre Blätter loswerden, nachdem sie zuvor versucht haben, noch möglichst viele der aus dem Boden aufgenommenen Stoffe zu retten, die in den Blättern gebunden sind. Schließlich entsorgen die Bäume mit den Blättern zahllose Schmutz- und Giftpartikel aus der Umwelt oder aber Abbauprodukte aus dem Stoffwechsel. Die geben sie aus ihrem Inneren an die Blätter weiter, die sie dann abstoßen. Manche Bäume, wie spezielle Ahornarten oder eine Roteiche, färben sich sogar extra noch mal knallrot. Das hat nichts damit zu tun, dass der Baum das Grün abzieht und danach das Rot herauskommt. Der Baum macht das extra, um Blattläusen und anderen Schädlingen zu signalisieren: Ich bin topfit. Lege hier bloß keine Eier ab. Ich drehe deinen Nachwuchs im nächsten Frühjahr auf links. Ich finde das cool, dass sich Bäume kurz vor dem Winterschlaf noch mal so aufblasen.

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Reizt Sie die zunehmend farbige Natur gerade jetzt besonders zu Ausflügen? Mich reizt das in doppeltem Sinne. Besonders wenn die Sonne scheint und etwa Lärchennadeln gelb sind und sich dann von einem tiefblauen Himmel abheben. Herrlich. Ich mag auch die enorm frische Luft des Herbstes, die sehr klar und kräftig ist. Diese Kombination liebe ich.

Sie sprachen gerade die Schäden des heißen Sommers an. Besonders betroffen sind Fichten. Was schlagen Sie als Maßnahme vor? Das Fichtenproblem bekommt man vor allem dadurch in den Griff, dass man die Natur in dieser Phase handeln lässt. Eine Ansammlung von Fichten ist eine Plantage, die dazu dient, möglichst schnell möglichst viel Holz zu erzeugen. Mit einem Wald hat das aber nichts zu tun. Insofern sterben zurzeit Plantagen und kein Wald. Jetzt muss man schlicht mutig sein: Wenn man da nichts macht, kommt natürlicher Wald von alleine zurück, und zwar überwiegend Laubwald.

Ihre Botschaft lautet angesichts der ja zunehmenden Hysterie um den Zustand des Waldes, der allgemein als schlecht beschrieben wird: Sich zurücknehmen und die Natur übernehmen lassen? Ja, meine Botschaft heißt: Bitte mal alle entspannen. Den Borkenkäfer etwa, der gerade die Fichten befällt, geht nicht in tote Stämme, nur in lebende. Insofern ist meine Meinung: Nur ein Bruchteil von dem, was jetzt an Fichten aus dem Wald geholt wird, müsste man eigentlich rausholen. Besser sollte man das Totholz im Wald belassen. Denn so entsteht wertvolle Biomasse, die Stämme verrotten, sie speichern Wasser wie ein Schwamm. Für die nächste Baumgeneration ist das ganz wertvoll, zudem ist das gut für das Kleinklima im Wald.

Weg von der Fichte, hin zu Eiche und Buche

Wie sieht eigentlich Ihr Traumwald aus? Wir brauchen mehr Schutzgebiete. Bisher stehen bundesweit nur 2,8 Prozent der Waldfläche unter Schutz. Mein Wunsch wäre, diese Gebiete in Richtung von zehn, 20 Prozent zu steigern. Dann könnte man immer noch 80 Prozent der Wälder nutzen. Mein Plädoyer ist: Wir müssen wieder näher hin zum Zustand eines Urwaldes. Das bedeutet, weg von der Fichte hin zu Eiche und Buche im Wald. Das hat mehrere Vorteile: Die Wälder werden stabiler. Fichtenwälder haben, wie wir jetzt sehen, Borkenkäferbefall und sie fallen bei Stürmen leicht um. Gepflanzte Bäume wurzeln einfach flacher. Bäume in Urwäldern nicht. Die kippen nicht so leicht um.

Wenn es nun aber auch einen von Ihnen zu verantworteten Wald treffen würde und mal eine Schneise entsteht: Wie würden Sie vorgehen, um die Lücke zu schließen? Wir nutzen ja auch Holz in meiner Gemeinde Wershofen, wo meine Waldakademie im Auftrag der Gemeinde für den Wald zuständig ist. Die Kunst ist, den Wald so zu nutzen, dass ich zwar Holz entnehme, aber dem Wald dadurch nicht schade. Das geht nur durch  ständige Beobachtung des Waldes, indem man schaut, wo der Wald hinwill, welche Bäume leiden oder sich neu entwickeln. Da sind wir wieder beim Machenlassen – das ist mein Rezept. Ob es  richtig ist, sollen die Leute in 100 Jahren sagen.

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