Kölner SagenWie der Dom zu seinen Wasserspeiern kam

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Unwetterwolken über dem Kölner Dom.

Nachdem es Luzifer auf heimtückische Weise geschafft hatte, die Seele des ersten Dombaumeisters zu gewinnen, gab es in der Hölle ein großes Fest. Immer wieder musste der Oberteufel erzählen, wie ihm dieses Kunststück gelungen war, und immer wieder zogen die großen Teufel die kleinen an den Ohren und schärften ihnen ein, sich das ein leuchtendes Beispiel sein zu lassen und später auch einmal solche Heldentaten zu vollbringen.

Die nächsten Wochen erfreuten sich Spiele wie „Teufel und Sünder“, „Himmel, Hölle, Fegefeuer“, „Mensch, ärgere dich!“ und ähnliches besonderer Beliebtheit. Doch nach einiger Zeit war der Reiz des Neuen weg und die kleinen Teufel begannen, sich zu langweilen. Bis zwei von ihnen eine Idee hatten.

„Sagt mal“, meinte Isataroth eines Tages, „wie sollen wir denn jemals etwas richtig Aufregendes erleben, wenn wir immer nur hier in der Hölle herumhängen?“ „Genau!“ sagte Asmorleon. „Wenn unsere Eltern wollen, dass wir ein paar anständige Untaten vollbringen, dann müssen sie auch akzeptieren, dass wir nach oben zu den Menschen gehen.“ Und Isataroth schlug sogar vor: „Einfach nur zu den Menschen? Nein, wenn wir etwas wirklich Teuflisches tun wollen, dann müssen wir es in dieser Kirche tun ... wie hieß sie doch gleich – ja! Kölner Dom.“

Die anderen Teufelchen nahmen das mit Begeisterung auf. In jeder freien Minute schlichen sie sich nun, manchmal in Gruppen, manchmal aber auch alleine, nach oben, zum Dom. Hätten ihre Eltern das gewusst, dann hätten sie wahrscheinlich alle mindestens hundert Jahre Höllenarrest bekommen, denn auf die Erde dürfen kleine Teufel eigentlich nur in Begleitung eines Erwachsenen. Und erwachsen ist man in der Hölle erst mit zweitausendeinhundert Jahren.

So aber wurde das Domgelände für sie zu einem riesigen Abenteuerspielplatz. Noch war der Bau ja längst nicht abgeschlossen. Nur der Chor stand schon und wurde auch benutzt. Alles andere war mit großen Bauzäunen abgetrennt, hinter denen man fleißige Handwerker bei der Arbeit beobachten konnte.

Ein gefundenes Fressen für die kleinen Teufelchen: Zahlreiche Stapel mit Baumaterialien brachten sie im Laufe der Zeit zum Einsturz, ließen einfache Holzbalken, wenn sie weggetragen werden sollten, plötzlich so schwer werden, als wären sie aus Blei, oder erschienen nichts Böses ahnenden Arbeitern in grausigster Verkleidung auf dem Gerüst, in der Hoffnung, einer von ihnen möge vor Schreck zu Tode stürzen. Doch wie das so ist: auch diese „Spiele“ wurden irgendwann uninteressant. Und wieder wussten Isataroth und Asmorleon Abhilfe. Als die anderen maulten, dass sie keine Lust mehr hätten, Kopf und Kragen für so etwas Langweiliges zu riskieren, sagten sie: „Hey, und wie wär das, wenn wir die Kirche selber zur Abwechslung mal ein bisschen unsicher machen?“ Zuerst waren die anderen wie versteinert. In die Kirche hinein gehen? Da gab es doch Weihwasser. Und Kreuze. Und Weihrauch. Und überhaupt allerhand, was für Teufel ausgesprochen ungesund ist.

Aber je länger sie darüber nachdachten, desto verlockender erschien ihnen die Sache. Und so dauerte es nicht mehr lange, bis die ersten es tatsächlich wagten, durch die Kirchentür zu treten. Schon bald verloren die Teufelchen alle Scheu und trieben ihr Unwesen nun im Dom selbst. Da blies plötzlich von irgendwoher ein Windstoß alle Opferkerzen aus, der gute Messwein fiel dem Ministranten aus der Hand, das Gewand des Priesters blieb in der Tür hängen und bekam einen langen Riss ...

Vor allem dem Küster, der so eine Art Hausmeister der Kirche ist, fiel das natürlich auf. Und ihm war auch klar, wer daran schuld sein musste. So etwas konnte ja nur Teufelswerk sein.

Nun ging der Spaß für die Kleinen erst richtig los. Den ganzen Tag neckten sie den armen Küster, streckten ihm aus dem finstersten Winkel des Domes plötzlich die Zunge heraus, zeigten ihm hinter den Pfeilern eine lange Nase und zerrten unsichtbar an seiner Kleidung.

Verzweifelt sprengte der arme Mann jede Ecke des Domes mit Weihwasser aus, sagte alle Gebete auf, die er kannte, und ließ soviel Weihrauch brennen, dass mancher Gottesdienstbesucher am Ende der Messe ein wenig grün um die Nase aussah. Doch nichts davon nützte etwas. Immer wieder fanden die Teufelchen in dem riesigen Kirchenraum Stellen, die für sie ungefährlich waren.

So kam der Tag, an dem sich der Mann einfach nicht mehr zu helfen wusste. Nachdem er wieder einmal stundenlang erfolglos hinter den kleinen Monstern hergejagt war, sank er mitten im Dom in die Knie, hob die tränenüberströmten Augen zum Himmel und begann zu beten: »Bitte, lieber Gott, ich kann nicht mehr … Bitte hilf mir, diese Plagegeister endlich loszuwerden!«

Gott hörte diesen Stoßseufzer und wunderte sich sehr, was denn da in einer seiner schönsten Kirchen wohl los war. Und entdeckte natürlich gleich Isataroth, Asmorleon und die anderen. Voller Zorn packte er die beiden Hauptschuldigen am Genick wie zwei junge Hunde und raunzte sie an: „Was habt ihr euch denn dabei gedacht, darf man das mal erfahren?!“

„Nichts … nicht wirklich … “, jammerten die beiden, während sie gleichzeitig versuchten, sich einerseits aus Gottes Hand zu winden und ihn andererseits durch besonders furchterregendes Aussehen zu erschrecken.

„So ... mir wollt ihr Angst einjagen, ja?“ grollte Gott. „So soll das hinfort eure Aufgabe sein: Angst einzujagen bis ans Ende aller Tage.“ Er ließ seinen Blick durch den Dom gleiten. Jedes Teufelchen, dass von diesem Blick getroffen wurde, verwandelte sich augenblicklich zu Stein. Isataroth und Asmorleon aber setzte er fast sanft ab, ehe er sie andonnerte: „Schert euch nach Hause und lasst euch nie wieder hier blicken! Und den Eltern eurer Freunde könnt ihr sagen, dass sie wieder erwachen werden an dem Tag, da der Kölner Dom fertig wird. Das wird bekanntlich der Jüngste Tag sein. Bis dahin werden sie als Wasserspeier bei Tag und Nacht und Wind und Wetter jeden Tunichtgut warnen, was ihm geschehen wird, wenn er es wagt, sein Unwesen in meinem Dom zu treiben!“

Seither wurden Isataroth und Asmorleon nicht mehr auf Erden gesichtet. Wahrscheinlich haben die großen Teufel sie zu einer wahrhaft höllischen Strafe verurteilt...

Andere vorwitzige Teufelchen gibt es aber offensichtlich auch heute. Wenn man genau darauf achtet, kann man nämlich sehen, dass hin und wieder bei den Wasserspeiern des Domes ein neuer hinzukommt.

Quelle    

Buchtitel: Kölner Sagen und Geschichten, 4. Auflage

Autorin: Yvonne Plum

Verlag: J.P. Bachem Verlag Köln

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