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Nach der HitzewelleWie Kartoffelbauer Olligs sich gegen Ernteausfälle wehrt

Lesezeit 7 Minuten
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Bauer Olligs ist stolz auf seinen Familienbetrieb.

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Ob es heute noch etwas wird mit der Kartoffelernte? Ein schöner Herbstmorgen, eine leichte, angenehm-frische Brise, eine Sonne, die noch wärmt. Vom Kartoffelfeld in Bedburg-Kirchherten aus sieht man eine Windmühle. Die Räder stehen still. Vergangenheit. Und als ob die Gegenwart das Kommando übernehmen will, drehen sich am Horizont  die Rotoren der Windräder, über den Kühltürmen vom Kraftwerk Niederaußem stehen Wasserdampfwolken – fast schon malerisch.

Mitten auf der Scholle steht Heinz-Georg Olligs (51), die Grabegabel in der Hand, und klärt engagiert, bild- und wortreich über die Kartoffel auf. Die zurückliegenden Monate haben ihre Spuren hinterlassen – beim Landwirt und vor allem bei den Knollen. Der Ertrag in diesem Jahr sei „unterirdisch schlecht“, knurrt der Bauer. Die Hitze, die Trockenheit. Geschätzte Einbußen von 25 bis 50 Prozent, noch läuft die Ernte. Der durchschnittliche Jahresertrag liegt sonst bei etwa 4000 Tonnen.

Olligs sticht die Gabel mit den vier Zinken in den Boden, bringt sich für ein Bild in Positur. Schade, der Roder, die Erntemaschine, ist gerade nicht einsatzfähig – was aber nicht dem Sommer angelastet kann.

Annabella, Gala oder Belana? Die verschiedenen Kartoffelsorten

Zwei Schrauben waren locker bei dem Gefährt, für das Bauern in der Anschaffung schon mal bis zu 200 000 Euro zahlen müssen. Sonst hätte der Kartoffelbauer hoch auf dem gelben Wagen abgelichtet werden können. Übermannshohe Reifen, zum Teil auch schon autonom und programmiert unterwegs.

Ganz geerdet steht Olligs nun also in der Furche. „Ich kann ja auch mal von der »Goldmarie« zur »Allians« wechseln“, schlägt er vor, meint dabei nicht etwa eine Frau oder eine Versicherung, sondern Kartoffelsorten. Rund zehn verschiedene Sorten baut Olligs an: Annabella, Gala, Glorietta oder die Industriekartoffeln Challenger oder Regina. Und die Belana, erzählt er, ist die Nachfolgerin der wohl bekanntesten Knolle, der Linda.

Der Fotograf bittet den Kartoffelbauern von einem Feldhügel zum nächsten. Olligs sticht die Gabel in den Boden, hebt die Kartoffeln hoch, zehn bis zwölf purzeln auf den Boden. Oder bleiben noch am Kartoffelkraut hängen. Wenn das der Fall ist, ist die Kartoffel noch nicht reif. Fallen die Knollen aber beim Schütteln ab, heißt das: Es kann gerodet werden. Nur nebenbei: Damit man in Kartoffelkreisen nicht unangenehm auffällt – es heißt in der Fachsprache „roden“, nicht ernten. Deshalb auch der „Roder“.

Kartoffelanbau als Familienbetrieb

Wenn Olligs über seine Kartoffeln spricht, hört sich das an, als würde er über Schutzbefohlene sprechen, um die er sich tagein, tagaus kümmern muss. Tut er im Prinzip ja auch. Die Familie baut in der vierten Generation Kartoffeln an. Er erklärt, wie er prüft, ob die Pflanzen stark genug sind. Wie sie sich „noch einmal anstrengen“, versuchen, doch noch mehr Knollen zu schaffen. Manche Pflanzen haben bis zu 30 Knollen, die Frühkartoffeln hätten sich ja noch „normal“ entwickelt. Aber in dem Sommer wurde die ein oder andere Knolle abgestoßen, manchmal hängen dann auch nur 18 Knollen an der Staude. Feingefühl und Kenntnis sind gefragt: Vielleicht später eher weniger düngen, damit sie eine ordentliche Knolle entwickeln. Manchmal ist eben weniger mehr. Olligs schüttelt die Pflanzen, die restlichen Knollen fallen ab. Sie sind reif. Olligs scharrt wieder Erde darüber.

Er beschreibt den Markt, die Strategien. „Wenn ich Kartoffeln produziere, gucke ich erst einmal, welche Vermarktungsrichtung ich anstrebe.“ Speisekartoffel oder Industriekartoffel, dann wird nach „früh“ (Rodung ab Mitte Ende Mai) und „mittelfrüh“ (Ende September) unterschieden. Und schließlich gibt es da noch die Lagerkartoffeln.

Jede Kartoffelsorte tickt anders

Seit zehn Jahren steht unweit des Hofs eine neue Lagerhalle: drei einzelne Boxen, eine Kühllagerbox mit Kühlturm und eine Kühllagerbox mit Außenluftkühlung. Jede einzelne Box fasst 400 Tonnen. Durch diese hochmoderne Halle konnten Lagerverluste minimiert und eine längere Lagerzeit erreicht werden.  

Beim Betreten der kalten Halle nimmt Olligs einen tiefen Luftzug: „Riechen Sie das? Kartoffeln! Erde! Nichts faul!“ Er schneidet eine Kartoffel auf, denn „ein Kartoffelbauer hat immer ein Messer dabei“, sagte er. Zeigt die beiden Hälften: gelb, fleischig. So, wie es sein soll. Mit der Lüftung und der Temperatur würde die aufgeschnittene Knolle im Laufe der Wochen auf der Schnittfläche eine Art neue Schale bilden. Wenn die Kartoffeln aber feucht sind, schwitzen – was sie nach dem Rodungsstress tun – und nicht gelüftet würden, könnten sie faulen. Und die Fäulnis überträgt sich auf andere Knollen.

Olligs nennt den Umgang mit der Kartoffel vom Setzling  – 40 000 pro Hektar – bis zur Einlagerung die „Kunst des Anbauers“ und philosophiert: „Jede Kartoffelsorte tickt anders. Die eine braucht etwas mehr Phosphor, die andere viel Kali vorweg, dann nach hinten ein bisschen, die eine braucht viel Stickstoff, nach hinten nix.“ Er kennt seine Felder. Bei dem einen kommt immer viel Stickstoff aus dem Boden, eine andere Parzelle ist sehr trocken, was die eine Kartoffelsorte abkann, die andere aber überhaupt nicht.

Olligs baut natürlich kundenorientiert  an – festkochend, mehlig? „Wenn ich eine Kartoffel anbaue, dann muss die gegessen und nicht frittiert werden.“ Wenn er eine Kartoffel testet, wird sie gekocht und ohne alles probiert, wie sieht sie am Abend aus?

Den industriellen Zwängen und Wünschen kann und will er sich aber natürlich nicht entziehen, auch wenn er sich eher als klassischen Speisekartoffelanbauer versteht.  Die Haushalte würden kleiner, oft sind beide Ehepartner berufstätig, deshalb müsse es Kartoffelfertiggerichte geben, auch diese Leute sollten vernünftige Kartoffeln essen. Bis zum Jahr 1980 war der Olligs-Hof sehr vielseitig aufgestellt. Neben Früh-, Mittel- und Spätkartoffeln wurden Weizen, Zuckerrüben, Weiß- und Rotkohl angebaut. Außerdem hielt die Familie noch Zuchtsauen und Mastschweine. Heute bewirtschaften die Olligs 200 Hektar, davon 80 mit Kartoffeln. Die Betriebe, die in Kirchherten geblieben sind – früher gab es 60 Bauern, heute nur noch sechs –, sind  gewachsen und haben sich spezialisiert. Kartoffeln gab es in der Jülicher Börde schon immer: „Wir haben einfach einen geilen Boden hier“, gerät Olligs fast ins Schwärmen. Klimatisch sei man sehr günstig aufgestellt, tiefgründige Lößböden, da wachsen geschmackvolle Kartoffeln, es gibt kaum Frost.

Aber eben Hitze und Trockenheit. Viele Sorten sind regelrecht verbrannt. Dieses Jahr noch mehr als in den vergangenen Jahren, wo es auch schon trocken war. „Unser Problem: Wir haben kein Wasser.“ Durch den Braunkohle-Tagebau liege der Grundwasserspiegel unter 200 Metern. Olligs hat zwar eine Beregnungsmaschine. „Aber wenn du mit Stadtwasser beregnest, treibt das natürlich die Kosten wahnsinnig in die Höhe“.  Da ist dann eben die „Kunst des Anbauer“ gefragt, des Kartoffelverstehers: „Was wächst, was schmeckt. Ich darf keine Fehler machen. Wenn Mutter Natur mir aber sagt: Ich will aber nicht, dass es regnet, da kann ich nichts dran machen. Ist aber auch gut so.“

Nicht jede Kartoffelsorte ist beständig

Wie  findet man den Frieden mit der Natur? Mit der Landwirtschaftskammer werden auch immer Versuche unternommen.  „Nehmen wir mal die »Alexandra«“, zieht Olligs ins Vertrauen. „Die werde ich nächstes Jahr nicht mehr anbauen. Schmeckt superlecker, sieht gut aus, aber die ist so empfindlich, die reagiert auf Nässe wie auf Trockenheit. Und Hitze kann sie auch nicht ab.“ Jede Knolle ist anders. „Ich habe vier Jahre gebraucht, bis ich kapiert habe, wie »Allians« tickt.“ Und wie tickt sie? „Die braucht ganz wenig Stickstoff – sonst wird die nicht reif.“ Heinz-Georg Olligs hat sich fast eine Stunde mehr Zeit genommen als geplant. Er muss jetzt los, mal nach dem „Roder“ gucken. Kurz vor dem Abschied noch die Frage aller Fragen an einen Kartoffelbauern: Ernten die dümmsten Bauern die dicksten Kartoffeln? Er sagt nichts, zuckt nur mit den Schultern. Am Nachmittag sitzt Olligs auf dem Roder und zieht seine Bahnen. Am Horizont die Windmühlen, Windräder und die Kühltürme. 

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