Kölner Spitzenköchin Julia Komp im Interview„Das Schlimmste waren die Bubble-Teas“

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Julia Komp, mit 27 Jahren war sie Deutschlands jüngste Sterneköchin, heute mit 31 Jahren im Mülheimer Restaurant Lokschuppen.

Julia Komp, mit 27 Jahren war sie Deutschlands jüngste Sterneköchin, heute mit 31 Jahren im Mülheimer Restaurant Lokschuppen.

Den Weg in die Küche fand Julia Komp eher durch Zufall: Mit 14 hatte sie während eines Hotelpraktikums in Much keine Lust auf die „zickigen Mädels“ im Service und probierte lieber bei den Köchen ihr erstes Messerset aus. Zwölf Jahre später wurde sie jüngste Sterneköchin Deutschland im Schloss Loersfeld in Kerpen. Nach einer 14-monatigen Weltreise zog sie vor einem Jahr zurück nach Köln, seit Herbst kocht sie, wann immer Corona es zulässt, im Mülheimer „Lokschuppen“. Gastrokritiker gehen fest davon aus, dass 31-Jährige ihren Stern im kommenden Jahr für Köln zurückerobert. Ein Gespräch über Macho-Kollegen, fragwürdige Gastro-Trends, Glitzer-Deko und ein Gericht, mit dem man seine Familie an Weihnachten maximal beeindrucken kann.

Frau Komp, lassen Sie uns das Interview langsam anbrutzeln mit ein paar kurzen Fragen. Eine Sache an Ihrem Beruf, auf die Sie gut und gerne verzichten könnten?

Komp: Die Kälte in der Küche im Winter beziehungsweise die Hitze in der Küche im Sommer.

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Das erste Lieblingsessen, an das Sie sich erinnern können?

Steak Bernaise vom Grill in Belgien. Mit Pommes.

Eine Zutat oder ein Gericht, das Sie nicht ausstehen können?

Saure Nieren. Der Schock meines Lebens.

Welcher Gastro-Trend hat Sie zuletzt total genervt?

Das Schlimmste, schon ein paar Jahre her, waren die Bubbleteas.

Könnten Sie auch als Vegetarierin oder Veganerin glücklich werden?

Als Vegetarierin vielleicht, als Veganerin nein.

Welchem politischen Spektrum fühlen Sie sich zugehörig?

Schwierig. Ich kriege ja nicht so viel mit, weil ich von morgens bis abends in der Küche stehe. Aber Frauenpower in der Politik ist mir wichtig.

Mit welchem Kölner oder welcher Kölnerin würden Sie sehr gerne mal einen trinken gehen?

Mit dem Chef vom Kölner Weinkeller. Das könnte ein lustiges Gespräch werden. Die Location ist so cool, da ist bestimmt schon einiges Lustiges fernab vom Wein passiert.

Wenn Sie nicht Köchin geworden wären, dann…

…wäre ich zur Bank gegangen oder zur Polizei.

Frauen sind die besseren Köchinnen, weil…

…sie mit Liebe für ihre Familie kochen. Und zwar viel häufiger als Männer.

Wenn Sie einen Wunsch an Restaurant-Gäste frei hätten, dann wäre es dieser…

..bitte vorher Bescheid sagen, wenn Allergien vorhanden sind. Wer erst fünf Minuten vor Bestellung eine lange Liste vorzeigt, bringt uns aus dem Konzept und sorgt für Stress. Wir kommen mit allen Unverträglichkeiten klar, wenn wir früh genug von ihnen wissen. Und mit Veganern auch.

Wie alt waren Sie, als Sie entschieden haben, Köchin zu werden?

Da war ich 15. Ich habe viele Praktika gemacht – und damals war auch die Zeit der Kochprofis: Christian Rach, Tim Mälzer, Jamie Oliver. Mein erster Dämpfer kam, als ich bei Mario Kotaska (früher Chef des Restaurants La Société auf der Zülpicher Straße in Köln, Anm. der Red.) eine Ausbildung machen wollte. Der sagte: Eine Frau in der Küche nehmen wir nicht.

In den rund 300 Sterneküchen Deutschlands gibt es nicht mal zehn Küchenchefinnen. Das kann kein Zufall sein.

Natürlich nicht. Typischerweise bekommt man einen Stern im Alter von 35, da sind Frauen oft genau im Family Business: Sie kriegen Kinder oder haben schon welche. Danach ist die Chance auf den Stern vorbei.

Wie machen das die männlichen Sterne-Kollegen?

Denen halten die Frauen den Rücken frei.

Was ist dran am Bild von Köchen als Machos oder sogar Despoten?

Früher war es sicher sehr viel härter als jetzt. Ich habe in zwölf Jahren Küche Glück gehabt. Es gab eine unschöne Situation, die ich meinem Chef gemeldet habe. Der Typ hat eine Abmahnung bekommen und das war's. Leider Gottes kenne ich aber viele Mädels, die in der Küche arbeiten und schon richtig gemobbt wurden: Grapschen, blöde Frauenwitze. Man muss sich zu wehren wissen: Als mich ein Koch einmal auf einer Küchenparty angegrapscht hat, habe ich das Gleiche dann bei ihm gemacht, sodass es jeder gesehen hat. Danach war Ruhe. Aber klar, dafür braucht man Power, Mut und eine freche Klappe. Schöner wäre es natürlich, wenn sich alle Männer benehmen und Frauen gar nicht erst in solche Situationen geraten würden.

Sie hatten Ihre freche Klappe schon immer?

Nein. In der Ausbildung war ich ganz lieb und brav. Das erste Mal, dass ich „pampig“ wurde, war im La Poele Dor (2014 geschlossenes Kölner Sternerestaurant, Anm. der Red.). Da war ich mit 13 Jungs allein in der Küche. Da musste ich härter werden.

Jüngste Sterneköchin Deutschlands: Kann man so einen Erfolg planen?

Nein. Für mich war zwar vom ersten Tag der Ausbildung an klar, dass ich Sterneköchin werden will. Aber dass es so schnell geht, hatte ich nicht erwartet. Ich war ein Top-Azubi, der Chef hat mich im zweiten Lehrjahr bei der Kölner Stadtmeisterschaft angemeldet. Als ich morgens früh ankam, waren da zwölf Jungs im dritten Ausbildungsjahr und ich. Am liebsten wäre ich sofort wieder nach Hause gefahren. Aber dann habe ich gekämpft. In dem Moment, in dem klar war, dass ich gewonnen habe, hatte ich totales Herzrasen. Das Gefühl habe ich nie wieder so gehabt wie in diesem Moment.

Zur Person

Julia Komp ist 1989 in Engelskirchen geboren und in Overath aufgewachsen. Nach dem Abitur begann sie ihre Ausbildung als Köchin im Porzer Sterne-Restaurant „Zur Tant“. 2016 wurde sie mit 27 Jahren jüngste Sterneköchin Deutschlands im Kerpener Schloss Loersfeld. 2018 ging sie auf Weltreise, um die kulinarischen Traditionen in 30 Ländern kennenzulernen.

Seit Herbst kocht sie im Mülheimer Lokschuppen (Foto) sowie im angrenzenden Bistro Anker 7. Außerdem verkauft Julia Komp seit diesem Jahr ihr eigenes Bio-Olivenöl Kenzolie aus Tunesien. 2020 kürte sie der „Schlemmeratlas“ zur „Köchin des Jahres“ Zwischen Weihnachten und Silvester bietet Komp im „Lokschuppen“ ein To-Go-Menü an.

Weitere Informationen gibt es auf ihrer Webseite.

Gibt es Vorteile, eine von wenigen Spitzenköchinnen zu sein?

Klar. Hätte ich mit 27 Jahren als Mann den Stern bekommen, hätte ich nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber der Kampf war der gleiche. Ich habe den Stern bekommen, weil ich geackert habe, wenn alle anderen frei hatten. Ich habe alles verpasst: Geburtstage, Familienfeiern.

Was braucht es neben handwerklicher Qualität?

Geschmack. Es gibt Leute, die treffen den nie. Entweder ist das Essen nicht ausreichend gewürzt oder versalzen. Ich habe noch nie in meinem Leben geraucht, deswegen schmecke ich sehr gut. Dazu braucht es Kreativität: Was passt und was passt nicht? Jeder kann machen, was er will, aber Harmonie muss man schon reinbringen. Und man muss auch mal mutig sein, etwas völlig Untypisches servieren. Wir hatten zuletzt ein Schokoladendessert mit Fenchel, Süßholz und Oliven.

Gibt es einen Julia-Komp-Stil?

Ich denke schon. Unser Essen ist sehr leicht, mit wenig Butter und Sahne. Dafür arbeiten wir mit viel Kokosmilch und sauer eingelegten Sachen, fermentiertem Gemüse. Und wir benutzen viele Gewürze. Die Gäste sollen sich hinterher satt, aber nicht total vollgefuttert fühlen. Und unsere Präsentation ist, wie die Leute sagen, sehr weiblich. Wir arbeiten viel mit Silikonförmchen, stechen das Gemüse in Blüten aus. Glitzer mag ich auch.

Sie haben 2018 die Zelte in Schloss Loersfeld abgebrochen und sich auf Weltreise begeben. War das Burnout oder Langeweile?

Ne, ne, Burnout will ich noch ganz lange vor mir herschieben. Bevor ich den Stern bekam, wollte ich eigentlich nach Dubai, um zu kochen, und hatte schon Business Englisch gepaukt. Als dann der Stern kam, war ich zu stolz dafür, noch bei einem Zwei- oder Drei-Sterne-Kollegen in die Lehre zu gehen, wieder klein anzufangen. Gleichzeitig wollte ich aber unbedingt noch etwas lernen. So habe ich beschlossen, mir Küchen auf der ganzen Welt anzugucken, traditionellen Geschmack zu lernen, Essen zu spüren. Und dann bin ich abgehauen.

Sie haben 30 Länder in 14 Monaten bereist. Gibt es ein Gericht, wo Sie das Original gesucht haben?

Als ich zum ersten Mal Kimchi im Schloss gemacht habe, habe ich mir gedacht: Oh Gott, schmeckt das grausam. Ich hatte das Fermentieren zuvor schon öfter selbst ausprobiert, war mir aber nie sicher gewesen, ob ich das meinen Gästen servieren kann. Ich wusste ja gar nicht: Muss das so schmecken oder ist da was schlimm schief gelaufen? Auch das war ein Grund, diese Reise zu machen. Gott sei Dank war mein eigener Kimchi nah am echten Geschmack.

Fermentieren ist schwer im Trend.

Auf jeden Fall. In Russland gibt es sogar Fermentierungs-Restaurants. Ich habe einmal eine fermentierte Getränkebegleitung bestellt. Das ist zwar ein echt komischer Geschmack, ungefähr so, wie wenn man Ananas-Saft trinkt, der schlecht geworden ist. Aber wenn man so etwas mit Essen verbindet, können da ganz viele Geschmacks-Explosionen zustande kommen. Darum schauen gerade viele auf Asien und übernehmen das für ihre eigene Küche. Wir machen jetzt zum Beispiel unseren eigenen Kombucha.

Kochen Sie jetzt anders als vor Ihrer Reise?

Ich war vorher schon streng, aber jetzt bin ich wirklich super streng. Wasabi zum Beispiel hat für mich in vietnamesischem Essen nichts verloren. Wenn wir etwas aus einem anderen Land kochen, dann muss es auch so sein wie dort.

Kann streng nicht auch langweilig sein?

Nein. Das hat für mich etwas mit Respekt zu tun. Man sollte kein indisches Gericht mit Rindfleisch kochen, wenn das Essen von Kühen in Indien verboten ist. Oder eine marokkanische Tajine mit Schweinefleisch. Dafür bin ich aber ansonsten total flexibel. Wenn einer meiner Jungs sagt, dass er ein tolles Rezept aus Panama kennt, dann bringen wir das auch auf den Teller. Wir sind mit unseren kulinarischen Weltreisen derart chaotisch, dass wir nie Gefahr laufen, in einer Sparte abgestempelt werden.

Die bewegendste Erfahrung Ihrer Reise?

Die Gastfreundlichkeit in vielen armen Ländern. Japan fand ich aus anderen Gründen sehr beeindruckend. Alles dort muss perfekt sein: Die Küchen sind perfekt geputzt, alle Produkte sind perfekt. Ich musste mal eine ganze Nacht so lange in der Küche bleiben, bis meine Messer perfekt geschärft waren. Aber es gab auch schwierige Situationen. In Japan gibt es krasse Hierarchien. Dort habe ich einmal erlebt, wie ein Angestellter in der Küche geschlagen worden ist. Das war schlimm.

Sie haben aber auch gegenüber Tieren Schreckliches gesehen.

Definitiv! Es gibt seit meiner Reise viele Produkte, die ich nicht mehr essen möchte: Thailändische Garnelen aus einer Kloakenfarm – die sind grausam.

Eine weitere Erfahrung: Die Deutschen haben im Gegensatz zu anderen Nationen wenig Talent für Genuss.

Ja, leider. Diese Geiz-ist-Geil-Mentalität ist echt uncool. Für ein ganz billiges XXL-Schnitzel bekommt man einfach kein echtes Fleisch. Das ist Fleisch aus Massentierhaltung, wo das eine Tier dem anderen das Ohr abknabbert.

Nach Ihrer Weltreise haben Sie sich wieder in Köln niedergelassen. Was mögen Sie an Köln?

Köln ist meine Heimat und ich habe mir hier viel aufgebaut. Es wäre schade gewesen, das zu verschenken. Außerdem fand ich es echt hart, Karneval nicht zuhause zu sein. Jetzt mache ich im Lokschuppen jeden Tag mein Tor auf und gucke über den Rhein auf den Kölner Dom.

Sie wollten im November Ihr eigenes Restaurant Sahila eröffnen – gleich neben dem Lokschuppen, wo sie derzeit kochen. Wie ist der Stand der Dinge?

Daraus wird leider nichts. Ursprünglich sollte der Lokschuppen ja eine reine Eventlocation sein und kein Restaurant. In der großen Halle daneben sollte mein Restaurant gebaut werden und ein großes Steakhaus. Dann kam Corona und man lernt, sich neu zu erfinden. Mit dem Anker7 und dem Support unserer neuen Nachbarn haben wir den Lokschuppen noch mehr ins Herz geschlossen und ihn in ein cooles Restaurant umgewandelt.

Wie traurig war es, den Traum vom eigenen Restaurant aufzugeben?

Naja, der Lokschuppen ist ja jetzt auch mein Restaurant. Aber klar, der Traum vom Fine Dining im orientalischen Stil ist jetzt erst einmal auf Eis gelegt. Dieses ganze Corona-Jahr war echt schwierig. Aber der Traum von Sahila bleibt, vielleicht irgendwann als Kochschule.

Einige Zeit lang haben Sie Take-Away-Menüs angeboten. Hat sich der Aufwand gelohnt?

Nein. Wir haben daran einfach zu wenig Geld verdient, auch weil der Aufwand immens ist: die Verpackungen, die Etiketten, die Video-Anleitungen. Eine Woche lang Menü to go kann noch nicht einmal den Umsatz einen einzigen Freitags im Restaurant zu normalen Zeiten abdecken.

Welches Restaurant in Köln und Umgebung hat Sie zuletzt beeindruckt – jenseits der Sternerestaurants?

Mein Lieblings-Restaurant ist die Henne-Weinbar in der Innenstadt. Außerdem mag ich das Gruber’s sehr. Und Em Krützche, das Brauhaus in der Altstadt, finde ich super. Die machen alles selber und kochen richtig gut, von Bratkartoffeln über Schnitzel, Steaks und Gänse.

Weihnachten steht vor der Tür: Wie kann man seine Familie ohne allzu großen Aufwand maximal beeindrucken?

Mit Ente! Die geht rucki zucki. Nicht als schweren Braten, sondern auf der Seite mit viel Gemüse wie Pak Choi, Möhren und Pilzen. Schön heiß anbraten, mit Soja ablöschen, dazu Currysauce. Als vegetarische Variante funktioniert geräuchertes Tofu.

Womit wird fast jedes Gericht viel besser?

Salz ist das Wichtigste. Damit sollte man nicht geizen. Und Mut zu anderen Gewürzen. Sojasauce zum Beispiel ist so viel mehr als Salz.

Welche Gewürze sollte man noch unbedingt ausprobieren?

Auf jeden Fall Ras el Hanout. Das ist aus Marokko und enthält bis zu 27 Zutaten. Das ist ein tolles Gewürz. Außerdem Garam Masala, ein indisches Gewürz mit Kardamom und Sternanis. In keinem anderen Land der Welt gibt es so eine Gewürzqualität wie in Indien. Die Inder rösten ihre Gewürze mit viel Öl richtig lange mit wenig Hitze. Einfach mal mutig sein, man kann eigentlich nichts verkehrt machen.

Was wünschen Sie sich für 2021?

Dass wir die Restauranttüren wieder öffnen dürfen. Wir wollen einfach nur kochen und Gäste glücklich machen.

Und wann werden Sie die jüngste Zwei-Sterne-Köchin Deutschlands?

Hoffentlich schnell. Ich werde mir Mühe geben und kämpfen. Aber es wäre schön, erstmal den ersten Stern zurückzubekommen.

Das Gespräch führte Sarah Brasack

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