Ringo, Rache, RoadmovieDrei Streaming-Neustarts, die Sie nicht missen sollten

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Yesterday

Himesh Patel spielt Jack Malik, Ed Sheeran sich selbst.

  • Auch diese Woche starten die Stremingdienste mit lange erwarteten Blockbustern ins Heimkino.
  • Diesmal mit dabei: Eine Beatles-Neuauflage, ein actionreicher Rachefeldzug und ein berührender Roadmovie.
  • Lesen Sie hier unsere Kritiken.

Nach einigen Wochen daheim, wird dem ein oder anderem schon schmerzlich bewusst, wie sehr die selbst unregelmäßigen Kinobesuche im Alltag fehlen. Eingesfleischte Filmfans werden aber auch ausreichend Zeit gehabt haben, sich daheim einen gut ausgestatteten Heimkinobereich zu installieren, damit dem ultimativen Filmgenuss auch zuhause nichts im Weg steht. Wir haben drei Filmempfehlungen für Sie.

1. Yesterday

Eigentlich wollte Jack Malik die Gitarre schon an den Nagel hängen. Die notorisch leeren Säle, der dünne Applaus in den Kneipen, wo die Leute einfach weiterreden, wenn er singt, der unermüdliche Zuspruch Ellies, die leider mehr beste Freundin als effektive Managerin ist! Jack hat genug, und dann kommt es auch noch zu einem weltweiten Stromausfall, in dessen Verlauf ihn ein Bus rammt. Danach fehlen ihm nicht nur Selbstbewusstsein und Zuversicht, sondern auch noch zwei Schneidezähne.

Die Helden in Danny Boyles Filmen sind selten Siegertypen, zumindest nicht zum Auftakt. In „Trainspotting“ taucht Ewan McGregor in die dreckigste Toilette Schottlands hinab, um an die dort versteckten Drogen zu gelangen. In „Slumdog Millionaire“, ausgezeichnet mit acht Oscars, kämpft sich Jamal Malik erst einmal durch die Hölle des ärmlichen Mumbai, bevor er das ganz große Los zieht.

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Jack Malik in „Yesterday“ ist nun nicht nur Jamals Namensvetter, sondern auch ein Verwandter im Geiste – dass sein Darsteller, der noch weitgehend unbekannte Himesh Patel, denselben Nachnamen trägt wie der „Slumdog“ Dev Patel, ist allerdings Zufall. Oder vielleicht doch ein Wink des Schicksals in einem Film, der auf umwerfend komische Weise mit den großen Fragen von Vorherbestimmung und freiem Willen spielt?

Wer sind diese Beatles?

Jack jedenfalls bekommt zum Trost für die ausgeschlagenen Zähne von Ellie eine neue Gitarre geschenkt, und auf der will er ein ganz besonderes Lied spielen. Er stimmt „Yesterday“ von den Beatles an. Die Reaktion der Zuhörer ist allerdings mehr als verstörend: Sie scheinen den Song zum ersten Mal in ihrem Leben zu hören. Auch der Name der Band löst bloß Fragezeichen aus: Die Beatles? Wer?

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Help! Der globale Stromfall hatte offenbar weitere Folgen als nur Jacks Kollision mit dem Bus. Niemand – außer dem erfolglosen Sänger und, wie sich später herausstellt, zwei weiteren Zeitgenossen – kann sich mehr an die Fab Four erinnern. Wer die Namen Paul und John googelt, bekommt zwei Päpste zu sehen, beim Eintrag „Beatles“ erscheint ein VW Käfer. Die größte Band der Popgeschichte ist aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht. Wie übrigens auch Oasis und einige weitere unverzichtbare Bestandteile der westlichen Kultur.

Das ist die wunderbar schräge Prämisse in „Yesterday“, aus der Danny Boyle eine nicht minder magische Geschichte destilliert. Das Drehbuch stammt von Richard Curtis, der so herzerwärmende romantische Komödien wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ und „Notting Hill“ geschrieben hat.

Und tatsächlich, auch „Yesterday“ ist eine RomCom, womit Boyle ein eher ungewohntes Feld betritt: Die rasanten Schnitte, die gewagten Perspektiven, die wir aus seinen Filmen kennen, weichen hier einem melodischen Sentiment, in dem die Kompositionen der Beatles mit einer Liebesgeschichte verschmelzen, die einfach nicht an ihr glückliches Ende kommen will.

70er trifft YouTube

Wenn es einen Grund gab, der reichlich trübsinnigen Fortsetzung von „Mamma Mia“ etwas abzugewinnen, dann hieß er Lily James. In „Yesterday“ spielt sie die zauberhaft lebenslustige, dabei aber hochsensible Ellie, die Jack noch aus Schulzeiten kennt und die als Managerin nun ausgedient zu haben scheint, als der ewige Loser sein Erfolgsmodell entdeckt: Er gibt die ehrwürdigen Songs der Beatles als seine eigenen aus.

Zunächst ist es nicht einfach, den Bogen von den 1960er und frühen 1970er Jahren in die Zeiten von YouTube, iTunes, Instagram und Facebook zu schlagen – ja, Boyle inszeniert einen regelrechten Clash der Kulturen, wenn er die Generation 2.0 mit „Let it be“ und „Eleanor Rigby“ konfrontiert.

Aber weil sein Film nicht zuletzt eine Hommage oder noch vielmehr eine glückstrunkene und dabei manchmal auch ergreifend melancholische Liebeserklärung an die Songs von John, Paul, George und Ringo ist, erobern die Beatles die Welt ein zweites Mal – diesmal in Gestalt des tapsigen Jack, der im Laufe des Films immer mehr zum Rockstar heranreift und an der Hand der superzynischen Managerin Debra (Kate McKinnon) durch die Untiefen des zeitgenössischen Musikbusiness gelotst wird.

Unerwartete Schützenhilfe erhält er von niemand anderem als Ed Sheeran, der sich in „Yesterday“ selbst spielt. Eines Abends klopft er an die Tür des unscheinbaren Reihenhauses, in dem Jack mit seinen Eltern lebt, und engagiert das überraschende neue Talent fürs Vorprogramm seiner Russland-Tournee. Sheeran spielt in „Yesterday“ eine wahrhaft unerschrockene selbstironische Rolle, denn schon bald muss er erkennen, dass er nur Salieri, Jack aber Mozart ist.

„Yesterday“ ist ein unerhört leichthändiger Film, der seinen Helden am Ende doch vor eine ernste Entscheidung stellt: Folgt er dem Schicksal, dem vermeintlichen, oder hört er auf seine eigene Stimme? Vor allem aber will man die Beatles wieder hören, wenn man ihn gesehen hat. Vom Plattenspieler oder auf iTunes, ganz egal.

Hommage oder noch vielmehr eine glückstrunkene und auch ergreifende Liebeserklärung an die Songs von John, Paul, George und Ringo. Erhältlich auf Amazon/google play. Yesterday UK 2019, 117 Minuten, R Danny Boyle, D Himesh Patel, Lily James, Ed Sheeran, Kate McKinnon, Joel Fry.

2. The Rhythm Section – Zeit der Rache

Nach dem ersten Schuss ist erst mal Pause. „Du musst deine Atmung kontrollieren. Keine Panik. Ruhige Atmung, fester Stand. Du musst den ganzen Bereich Rhythmus in den Griff kriegen. Wie in der Musik. Alles klar?“ Der Mann mit der Pudelmütze spricht diese Sätze ganz konzentriert, und die Frau vor ihm, die die Waffe hält, hört aufmerksam zu. Es geht noch weiter: „Dein Herz ist das Schlagzeug, deine Atmung ist der Bass. Wenn du das kontrollierst, kontrollierst du dich selbst.“ Die Frau zielt noch einmal und trifft zum ersten Mal ins Ziel. Ihre Rhythmusabteilung hat also zu sich gefunden.

Die Frau mit der Waffe sinnt auf Rache, seit sie weiß, dass der Tod ihrer Familie bei einem Flugzeugabsturz die Folge eines Sprengstoffattentats war. Davor war Stephanie Patrick in die dunkelsten Bereiche Londons abgestürzt; ein Wrack, gefangen im Sumpf von Drogen und Prostitution. Hier erhielt sie Besuch von Keith Proctor, einem Journalisten, der den Hintermännern des Anschlags auf der Spur war. Das weckte Stephanies Lebensgeister.

Das Töten lernt sie in der Einöde Schottlands, wo Ian Boyd, ein ehemaliger Auftragsmörder des MI 6, sie ins Training genommen hat. Noch ist die Zeit der Bewährung und der Rache nicht gekommen, und es ist längst nicht ausgemacht, ob Stephanie dieser Herausforderung gewachsen sein wird.

Siegeszug der weiblichen Actionhelden

Im Actionfilm gibt es ein Subgenre, wo die Protagonisten ehemalige Agenten oder Auftragsmörder sind, und hier etablierte sich eine Unterabteilung, in der die Protagonisten Frauen sind. Welch reizvolle Kontraste sich ergeben können, wenn das vermeintlich schwache Geschlecht athletisch und technisch aufrüstet und eine zunächst unvorbereitete und dann nur noch chancenlose männliche Gegnerschaft das Fürchten und Sterben lehrt, ist seit Luc Bessons „Nikita“ ein fruchtbarer Boden für brutale Gewaltausübung in Hochhackigen.

Wie einst Anne Parillaud muss sich auch Blake Lively aus tiefsten Tiefen nach oben arbeiten und trägt dabei zunächst eine wilde Pumuckl-Frisur über  unliebenswürdigen Gesichtszügen. Es wird einen Punkt geben, wo die innere Verletzlichkeit durch den verkrusteten Seelenpanzer bricht, danach geht es aufwärts zu Schönheit und Tod – dem von anderen, wie sich versteht.

Der Reiz  besteht in der enormen physischen Präsenz der Hauptdarstellerin und dem Kontrast, der sich daraus ergibt, dass die Bond-Produzenten Broccoli und Wilson eine Regisseurin aus dem US-Independentlager engagierten. Reed Morano legt Wert auf einen Look ohne Glamour, lässt an den (für Amerikaner) exotischen Schauplätzen Schottland, Madrid und Tanger nur milchiges Licht durch die Fenster einfallen und zeigt sich auch sonst nicht an Postkartenfarben interessiert. Wenn es  ernst wird, schwingt sich der Film zu  verbissenen Kampfszenen und Verfolgungen auf. Die Heldin zeigt dabei bisweilen Verunsicherung und  Angst. Eine Killerin, die auch ein Mensch ist. Sehr aufregend ist das.

Eine Frau trainiert sich zum Racheengel. Ein oft erprobter Plot bewährt sich dank starker Hauptdarstellerin und verbissen geführten Kämpfen. Digital Download The Rhythm Section – Zeit der Rache USA/GB/E 2019, 109 Minuten, R Reed Morano, D Blake Lively, Jude Law

3. The Peanut Butter Falcon

Wo sehen sie sich in fünf Jahren?“ – auf diese Phrase aus Bewerbungsgesprächen hätte Zak (Zack Gottsagen) eine schlichte Antwort: „Auf den Brettern eines Wrestling-Rings“. Doch zwischen ihm und dem Kindheitstraum, in der Schule des legendären Profi-Catchers „Salt Water Redneck“ (Thomas Hayden Church) das Handwerk eines Wrestlers zu erlernen, steht der Staat von North Carolina. Der junge Mann, der mit Trisomie 21 zur Welt kam, wurde von lieblosen Bürokraten in ein Altersheim verfrachtet, doch dass er das Down-Syndrom hat, macht ihn noch lange nicht zum alten Mann.

Folglich tritt Zak die Flucht aus der trostlosen Verwahranstalt an. Er versteckt sich unter der Plane eines Krabbenfischer-Bootes, das im Hafen vor Anker liegt. Das gehört dem Fischer Tyler (Shia LaBeouf), der seinerseits keine Zukunft mehr in diesem Küstenort hat. So beginnt eine abenteuerliche Reise entlang der Küste von North Carolina, deren wilde Sumpflandschaft  jede Menge skurrile Gestalten bereithält, denen die beiden auf ihrem Trip begegnen. Rasch wird deutlich, dass bei dem anfangs abweisenden Tyler unter der rauen Schale ein weiches Herz schlägt.

Shia LaBeouf, der ehemalige Teeanger-Schwarm aus den „Transformers“-Filmen, ist der Star des Films, doch sein eigentliches Zentrum ist Zack Gottsagen. Die beiden Regie-Debütanten Tyler Nilson und Michael Schwartz haben dem Schauspieler mit Down-Syndrom eine Filmgeschichte auf den Leib geschrieben. Das ist ihnen in puncto Figurenzeichnung auch bestens gelungen, das eigentliche Road-Movie hätte ruhig etwas mehr Tiefgang vertragen.

Wenn Zack Gottsagen und ein angenehm zurückhaltender Shia LaBeouf auf ihrer Reise zusammenwachsen, strahlt der Film wahrhaftige Wärme aus. Eingebettet wird ihr Spiel in die traumhaft schönen Bilder des Kameramannes Nigel Bluck, der die Landschaft in den Südstaaten in jenen rauen, märchenhaften Zustand versetzt, den schon Mark Twain beschwor.

An dessen Klassiker „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ erinnert der Film nicht nur, wenn die Flucht auf einem selbstgebauten Floß weitergeführt wird. Zu diesem Zeitpunkt ist schon Zaks einfühlsame Pflegerin Eleanore (Dakota Johnson) zu dem Duo dazu gestoßen – eine kleine Patchwork-Familie, die es Richtung Ayden treibt, wo Zak in Rednecks Schule zum Wrestler werden will. Leider geht dem Film auf der Zielgeraden etwas der Atem aus.

Die  Balance aus authentischem Spiel und märchenhafter Szenerie, die während des Road-Trips so prächtig funktioniert, kippt im Finale in Richtung Kitsch. Der Auftritt von Zack Gottsagen als titelgebendem „Peanut Butter Falcon“ wirkt alberner als seine Flucht in Unterhosen, und Shia LaBeouf, der über die gesamte Dauer des Filmes mit elementarer Ehrlichkeit überzeugte, wird einem aufgesetzten Happy End geopfert. Ein Ärgernis, das allerdings den stimmungsvollen Gesamteindruck nur kurz stört.

Moderne Huckleberry-Finn-Adaption in märchenhaften Bildern mit etwas kitschigem Happy End. Erhältlich auf Amazon/Google Play The Peanut Butter Falcon, USA 2019, 97 Minuten. R Tyler Nilson, Michael Schwartz, D Zack Gottsagen, Shia LaBeouf, Dakota Johnson.

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