Skistar über Bewegungsmangel„Wenn das so weitergeht, enden wir in einer Katastrophe”

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Ex-Rennläufer Felix Neureuther hält Skifahren für Kinder für die beste Übung fürs Leben.

  • Immer wieder beobachtet Ex-Rennläufer Felix Neureuther Kinder, die mit Handy am Essenstisch sitzen und von ihren Eltern nebenher etwas zu Essen in den Mund geschoben kriegen.
  • Er sieht mit Sorge, dass Kinder immer dicker werden und sich immer weniger bewegen.
  • Im Interview spricht er über mögliche Gegenmaßnahmen, die Faszination Skifahren, seine liebsten Abfahrten und seinen Rat an Eltern, die ihren Kindern Skifahren beibringen wollen.

Herr Neureuther, welche ist die erste Erinnerung, die Sie ans Skifahren haben?

Tatsächlich ist das ein schwarzer Skianzug, in dem ich als kleines Kind immer umhergedüst bin. Ich habe diesen Anzug geliebt.

Wissen Sie noch, was Sie damals schon am Skifahren so begeistert hat?

Die Geschwindigkeit und die Freude, jeden Tag mit meinen Freunden draußen ein neues Abenteuer zu erleben. Ich erinnere mich auch, dass die letzte Abfahrt, die ich als Kind mit den Eltern und auch später als Jugendlicher nach dem Training gemacht habe, durch einen kleinen Waldweg führte. Das war ein riesengroßer Spielplatz für mich. Du musstest unter Bäumen durch, irgendwo drüber springen und ausweichen. Ähnlich wie bei Super Mario. Nur draußen und in echt. Das war einfach schön.

Sie waren ein eher wildes Kind und haben sich auf der Piste häufig verletzt. Das Skifahren halten Sie trotzdem für Kinder geeignet?

Absolut. Und wie! Die Kinder lernen eine bestimmte Art von Bewegung und sie lernen, an ihre Grenzen zu gehen. Ja, man stürzt, aber das ist doch was Gutes. Es wäre doch schlimm, wenn alle Kinder in Watte gepackt groß würden. Du lernst hinzufallen und auch wieder aufzustehen. Darum geht’s doch prinzipiell. Ich finde, das Skifahren ist die beste Übung fürs Leben.

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Was ist der größte Fehler, den Familien machen können, die mit ihren Kindern zum ersten Mal Skifahren?

Zu erwarten, dass sie sofort alleine den Lift nehmen und die Piste hinunterfahren können. Am besten, man fängt an einem kleinen Hügel mit Zauberteppich an. Man sollte Kinder nicht überschätzen und als Eltern das Ganze geduldig und spielerisch begleiten. Oft ist das leider aber nicht der Fall - und dann vergessen Eltern auch noch, dem Kind einen Helm aufzusetzen. Wir sind da alle anders groß geworden. Aber ein Helm für Kinder ist überragend wichtig. Ich würde auch nicht empfehlen, das Kind immer in der Skischule abzugeben und erst nach fünf Stunden wieder abzuholen. Das Schöne ist doch, dass man den Kindern selber als Eltern etwas beibringen kann, wovon sie ein Leben lang profitieren. Man kann gemeinsam mit ihnen eine super Zeit genießen. Daran werden sich Kinder ein Leben lang gerne erinnern.

Kinder liegen Ihnen sehr am Herzen. Sie haben bereits in Ihrer aktiven Zeit Trainingsprogramme für Kinder entwickelt. Das Ganze nennt sich „Beweg dich schlau!“. Was wollen Sie Kindern beibringen?

In erster Linie geht es mir darum, Kinder wieder mehr in Bewegung zu bringen. Das scheint heute, in der digitalen Zeit, besonders schwierig geworden zu sein. 80 Prozent der 10 bis 17-Jährigen in Deutschland bewegen sich zu wenig. Wir Deutsche schneiden im internationalen Vergleich sehr schlecht ab. In den USA sind es nur 30 Prozent. Dort haben sie an den Schulen ein viel größeres Angebot, das Kinder motiviert, Sport zu treiben. Deshalb müssen wir etwas tun.

Was genau tun Sie?

Ich habe Bücher geschrieben und Trainings- und Aktionsprogramme entwickelt, die nicht nur für den Körper, sondern auch für den Kopf gut sind. Darunter sind zum Beispiel Koordinationsübungen, die die kognitiven Fähigkeiten schulen. Es sind auch Bewegungsübungen dabei, mit denen Kinder auf spielerische Art und Weise rechnen lernen. Man muss dafür nicht fünf oder sechs Stunden still in der Klasse sitzen. Ich setze mich deshalb auch für einen neue Art von Unterricht in den Schulen ein. Mein großes Ziel ist es, die prognostizierte Bewegungsarmut zu verhindern. Wenn es so weiter geht, dann enden wir in einer Katastrophe.

Zur Person

Felix Neureuther, 35 , ist mit fünf Weltmeistertiteln und 13 Weltcup-Siegen der erfolgreichste alpine Skifahrer Deutschlands. Er lebt mit seiner Frau, der Biathletin Miriam Neureuther, und der gemeinsamen zwei Jahre alten Tochter in Garmisch-Partenkirchen. Das zweite Kind ist auf dem Weg. Neureuther hat sich früh für Kinder engagiert. Heute gibt es die „Felix Neureuther Stiftung“. Dazu hat er Übungen konzipiert, mit denen Kinder, aber auch Erwachsene, zum Sport motiviert werden sollen.

www.bewegdichschlau.com

Sie haben heute selbst eine Familie, Ihre Tochter ist zwei Jahre alt. Will sie schon Ski fahren?

Ja, natürlich. Sie hat wie alle Kinder einen unglaublichen Bewegungsdrang. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder ihn ausleben können. Ich habe leider sehr oft beobachtet, dass Kinder mit einem Handy in der Hand am Tisch sitzen – und die Eltern schieben ihnen nebenher was zu Essen in den Mund. Das kann doch nicht unsere Zukunft sein. Wir können nur gesund, konzentriert und ausgeglichen durchs Leben gehen, wenn wir uns anständig ernähren und genug bewegen. Zu viel Zucker und Bewegungsmangel können auf lange Sicht Krankheiten wie Demenz und Diabetes bei Kindern zur Folge haben. Es ist ein Wahnsinn! Den Trend darf man nicht fortsetzen.

Zu einem anderen Trend: Sie sind in den Bergen zuhause, die sich durch den Klimawandel schon drastisch verändert haben. Welche Rolle spielt dabei der Skisport? Kann man den noch guten Gewissens ausüben?

Natürlich kann man das. Die Kinder lernen die Natur erst zu schätzen, wenn sie die Natur erleben. Dann werden sie auch verantwortungsvoll damit umgehen. Dafür müssen sie raus und sollen meiner Meinung nach auch Skifahren dürfen. Aber ich erlebe den Klimawandel natürlich auch, am meisten an den Gletschern, darüber muss man gar nicht reden. Das ist schon sehr erschreckend.

Muss sich deshalb nicht auch der Skitourismus, mit dem dramatischen Autoverkehr durch die Täler zum Beispiel, nicht doch verändern?

Natürlich braucht man Kompromisse. Ich bin auch nicht dafür, dass man versucht, alles zu erweitern und zu vergrößern, aber das Vorhandene darf man schon noch nutzen. Man kann in die Natur gehen, ob man im Sommer auf dem Rasen Fußball spielt oder im Winter über den Schnee fährt. Ich glaube, man kann Ski fahren und trotzdem verantwortungsvoll mit der Natur umgehen. Das eine hat mit dem anderen für mich nichts zu tun.

Wo fahren Sie selbst am liebsten Ski?

Am liebsten in meiner Heimat. Da kenne ich mich aus. In Amerika gibt es natürlich gigantische Skigebiete. Aber das Skigebiet in Garmisch ist sehr schön, weil für alle etwas dabei ist. Für die Kinder und für die Könner. Wir haben ein schönes Angebot und alles ist überschaubar. Wer aber mal etwas Wilderes ausprobieren möchte, der sollte an den Arlberg fahren.

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