Gequältes Wimmern der Blümchen beim Blätterschneiden

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Erstaunliche Erkenntnis nebenher: Gurken sind schlauer als Weizenkeimlinge, und Bananen können Äpfel nicht ausstehen.

Bonn - Zerquetschte Bananen, gequälte Gurken oder Zimmerpflanzen, die herzlos auf dem Müll landen, weil man das Gießen vergessen hat: Bisher war es ein Leichtes, sich unliebsam gewordener Pflanzen zu entledigen. Sie jammern nicht wie ein kleines Kätzchen, schauen auch nicht aus traurigen Hundewelpen-Augen. Was aber, wenn Pflanzen das Sprechen lernen?

Physiker Ralph Gäbler am Institut für angewandte Physik in Bonn hat sich überlegt, wie Pflanzen auf sich aufmerksam machen können, wenn es ihnen schlecht geht. Die Idee gibt es schon länger: Ethylen ist dafür verantwortlich, wenn Pflanzen wachsen und Früchte reifen. Gärtner wissen: Kappen sie der Tomatenstaude die Ethylen enthaltene Spitze, wächst die Pflanze in die Breite statt in die Höhe. Fühlen sich Pflanzen unwohl, geben sie ein Gasgemisch aus Ethylen, Sauerstoff und Stickstoff stressbedingt ab. Je mehr Stress, desto mehr Gas. Gäbler leitet die abgegebenen Stoffe in einen Gas-Sensor - den „Photoakustischen Sensor“. Er beschießt sie sodann in Intervallen mit Laserlicht, das Ethylen wird abwechselnd erhitzt und abgekühlt, bewegt sich, „stößt“ die anderen Stoffe an, Druckschwankungen entstehen - und Schall. An Lautsprecher angeschlossen, ist jetzt die „Gas-Stimme“ der Pflanze zu hören. Ausgeglichene Blümchen blubbern ganz seicht vor sich hin, wie ein zufriedener Goldfisch im Wasser. Schneidet man ein Blatt ab, reagieren sie sofort: Der Ethylen-Ausstoß wird erhöht, aus dem Blubbern wird ein gequälter hoher Ton, fast ein Wimmern. „Setzen wir Mehltau an, sehen wir schon nach wenigen Stunden eine Reaktion. So kann beispielsweise beim Transport von Bananen gemessen werden, ob sie sich wohlfühlen,“ erklärt Gäbler. Denn gerade Bananen reifen besonders schnell. Stehen sie unter Druck, geben sie Ethylen ab, reifen noch schneller, und wenn sie im Supermarkt ankommen, sind sie unansehnlich braun. „Deswegen sollte man Bananen daheim nicht in den Kühlschrank legen. Sie mögen derart kalte Temperaturen nicht, fühlen sich unwohl, werden braun. Äpfel mögen sie auch nicht. Die brauchen so viel Ethylen, um zu reifen, dass sie Bananen mitreifen lassen. Also: keine Äpfel neben Bananen lagern,“ rät der Bonner Physiker.

Pflanzen können allerdings noch mehr, als auf Stress zu reagieren, wie einige Quäl-Aktionen zu Tage brachten. Eine Gurke mit Mehltau versetzt, quiekt besonders laut bei Tagesanbruch und bei Sonnenuntergang - man vermutet, dass dann der Mehltau besonders aktiv ist. Gäbler stellte fest, dass die Gurke aus Erfahrung schon kurz vorher anfing sich zu beschweren: Sie wusste, was sie zu erwarten hatte. „Wir haben sie dann ein wenig geärgert und mal einen Tag ausfallen lassen. Sie schrie trotzdem pünktlich zur gewohnten Zeit.“

Reagieren auf innere Uhr

Das heißt, sie besitzt eine innere Uhr. Dass Pflanzen auf ihre Besitzer hören und sich besonders wohlfühlen, wenn man mit ihnen spricht, bezweifelt Gäbler allerdings: „Längst gibt es Studien dazu, und danach hören Pflanzen einfach nicht. Die in unserem Labor sind konstantem Maschinenlärm ausgesetzt. Das berührt sie gar nicht.“

Nicht so schlau wie die ausgewachsenen Gurken sind Weizenkeimlinge. Anfangs wissen sie genau: Die Wurzeln müssen nach unten wachsen. Dreht man sie dann auf den Rücken, wachsen ihre Wurzeln weiter nach oben.

Die Anwendung des photoakustischen Sensors bei Früchtetransporten will sich Gäbler patentieren lassen und mit seiner Invivo GmbH als Transportüberwacher vertreiben. Denn während seiner Forschungen konnte er keinen Industriepartner finden. Die Bonner Förder-Organisation Pfau hielt seine Arbeit trotzdem für eine gute Idee und unterstützte ihn ein Jahr lang.

Gäblers Ziel ist nun, den Sensor benutzerfreundlicher zu konstruieren. „Den photoakustischen Sensor muss ein Physiker installieren. Ich will ihn also so vereinfachen, dass ihn jeder per Knopfdruck bedienen kann.“

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