»Die Musik, mit der ich mich beschäftige,muss nicht unbedingt Musik genannt werden.In ihr gibt es nichts, woran man sich erinnernsoll. Keine Themen, nur Aktivität vonTon und Stille.« Der Musiker, Autor, Bild- undMultimediakünstler John Cage ist zweifelsohneeiner der revolutionären Erneuererder Musik im 20. Jahrhundert. Er hat denMusikbegriff grundlegend neu gefasst undinterdisziplinär erweitert, indem er Zufallsoperationen,Unbestimmtheit und Simultaneitätin die Kompositionen einbrachte, dieStille als musikalische Zutat emanzipierteund das Instrumentarium originell ergänzte.
Ausgehend vom Studium der BildendenKunst und der Musik, ließ er sich von Schriftstellernwie James Joyce und Henry DavidThoreau, einem Bildenden Künstler wieMarcel Duchamp, einem Konstrukteur wieRichard Fuller und Medienvisionär MarshallMcLuhan ebenso inspirieren wie von fernöstlicherPhilosophie, der christlichen MystikMeister Eckharts und dem zeitgenössischenTanz.
Seine Partituren schauen aus wie grafi scheKunstwerke, über die Töne seiner Kompositionenließ er oft den Würfel, das chinesischeOrakelbuch, Astronomie-Atlanten, mathematischeVerfahren und den Computerentscheiden. Die Keimzelle für diese Zufallsoperationenist John Cages Vorstellung vonMusik, die er – beeinfl usst durch den Zen-Buddhismus – in den späten 1930er und denfrühen 1940er Jahren entwickelte. Demnachsollte ein Komponist »die Töne zu sich selbstkommen lassen, anstatt sie für den Ausdruckvon Gefühlen, Ideen oder Ordnungsvorstellungenauszubeuten«.
Cage zufolge solltedas musikalische Material objektiv undnicht mit einem ästhetischen Sinn versehensein, jede Form des Seins, also auch jederKlang, jedes Geräusch und jeder Ton auf einerübergeordneten Ebene letztlich die gleicheWertigkeit haben – egal ob hervorgerufenvon einer Flöte oder einem fallendenStein. Beide haben ihre eigentliche Bedeutungin sich selbst. Entsprechend dem Zufallsprinzipwählt er die Töne nicht nurvöllig unabhängig von einem wertendenAufbau, sondern auch unabhängig von seinemindividuellen Geschmack, einer aufgezwungenenAbstraktion sowie von jeglichenpsychologischen und traditionellen Zusammenhängenaus.
Ein Schlüsselwerk seines Schaffens ist sicherlichdas legendäre »4‘3"« von 1952. Dieeinzige Spielanweisung für die drei Sätzelautet »Tacet«, Anzahl der Ausführendenund Instrumentierung sind frei wählbarund ergeben sich zufällig – etwa wie bei derUraufführung durch Würfeln. Die »Musik«ergibt sich allein aus Geräuschen – des Publikums,einer quietschenden Tür, eines vorbeifahrendenLastwagens oder des Plätschernsvon Regen.
Einige Jahre nach derKomposition von »4‘3"« erklärte Cage in einemInterview, dass er das Stück nicht mehrbenötige, da er inzwischen in der Lage sei,es ständig zu hören. »Die Musik, die mir amliebsten ist und die ich meiner eigenen oderirgendeines anderen vorziehe, ist einfachdie, die wir hören, wenn wir ruhig sind.« Soist es sicherlich auch mit sein Verdienst,(Alltags-)Geräusche in den »Tempel der sakralenTöne« eingeschleust und sie auf eineEbene mit Tönen und somit der Musik gehobenzu haben.
Präpariertes Klavier
Bei Cage vermengen sich viele Bedeutungsebenen,amerikanische Experimentierfreudigkeittrifft nicht nur auf traditionell europäischeKompositionsform und institutionellePräsentation, sondern auch auf den fernenOsten mit seinem Einfühlungsvermögen indie Verbundenheit aller Prozesse und Situationen.
Nach der Zen-buddhistischen Methodehielt es Cage für wichtig, der Vernunft unddem Rationalen zu entfliehen und das Bewusstseinzu einem ganzheitlichem Erlebenzu erweitern, das auch das Irrationale miteinschließt. Das Ergebnis ist ein Cocktail ausvielen scheinbar disparaten Zutaten, intuitivund clever im richtigen Verhältnis gemixt –konnte Cage sich doch letztlich auf die Irrationalitätseiner Vorstellungswelt berufen.
Wenn es um den musikalischen Kosmos JohnCages geht, darf das berühmte »präparierte«Klavier nicht fehlen: Beim Konzert der Percussion-Spezialisten Martin Grubinger, RainerFurthner und Slavik Stakhov sowie demPianisten Markus Hinterhäuser kommt nebenden »Sonatas and Interludes« für ebenjenesInstrument – die Kölner Schlüsselwerklistezählt sie zu den zentralen Werken der NeuenMusik – auch »Amores« (für drei Percussionspielerund präpariertes Klavier) zur Aufführung.Ein durchaus kratzbürstiges Werk,mischt sich hier doch ein Geräusch aus demAlltag unter die Tom-Toms und das Holzschlagwerk– das einer Drahtbürste!
Christoph Guddorf
01.05.2012, Dienstag 20:00
Markus Hinterhäuser Klavier
Martin Grubinger Schlagzeug
Rainer Furthner Schlagzeug
Slavik Stakhov Schlagzeug
John Cage
Sonatas and Interludes (1946-48)für präpariertes Klavier
Amores (1943) für drei Percussionspielerund präpariertes Klavier
David Lang
The Anvil Chorus (1999) für Schlagzeug
Rolf Wallin
Scratch (1991) für verstärkten Ballon
Stere Reich
Nagoya Marimbas (1994)für zwei Marimbaphone