GerbungGutes Leder, schlechtes Leder

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Bis das Leder in dieser Form vorliegt, sind sehr viele Behandlungsschritte notwendig. (Bild: lassedesignen - Fotolia)

Bis das Leder in dieser Form vorliegt, sind sehr viele Behandlungsschritte notwendig. (Bild: lassedesignen - Fotolia)

Als drei Wissenschaftler aus Sachsen-Anhalt das Problem der Lederindustrie bei der Wurzel packen wollten, nahmen sie es sehr wörtlich: Sie fanden heraus, dass man mit einem Extrakt aus der Rhabarberwurzel Leder gerben kann. Das Gerben ist der zentrale Arbeitsschritt bei der Lederherstellung, es macht die Tierhäute haltbarer und geschmeidiger. Mittlerweile produzieren und verkaufen die Forscher unter dem Namen „Deepmello“ sogar iPad-Hüllen aus pflanzlich behandeltem Leder.

Doch dieses sogenannte vegetabil gegerbte Leder ist die absolute Ausnahme. Mehr als 90 Prozent des weltweit hergestellten Leders wird mit Chrom gegerbt, denn Rhabarber anzupflanzen ist aufwändig und teuer, während Chrom vergleichsweise günstig zu haben ist. Und das ist, zumindest aus Sicht von Umweltschützern, das Problem der Lederindustrie.

Gefährlichkeit von Chrom hängt von Oxidation abhängt

Chrom ist ein häufig auftretendes Metall, das in der Natur allerdings selten in Reinform vorkommt. Seine Gefährlichkeit hängt stark von der Oxidationsstufe ab. Zum Gerben werden die Tierhäute in ein Gerbfass gelegt, wo sie mit Wasser und dem ungefährlichen Chrom(III) bearbeitet werden, das in geringen Mengen sogar im Trinkwasser vorkommt. Bei unsachgemäßem Gerben oder bei qualitativ schlechten Gerbstoffen können jedoch Chrom(VI)-Verbindungen entstehen, die Krebs verursachen und bei Hautkontakt Allergien und Irritationen auslösen können. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat deshalb einen Grenzwert festgelegt, wonach Lederprodukte, die einen Chrom(VI)-Gehalt von drei Milligramm oder mehr pro Kilo aufweisen, in Deutschland verboten sind.

Das meiste Leder kommt jedoch nach wie vor aus Industrie- und Entwicklungsländern wie Indien, Vietnam, Bangladesch, China, Nepal und südamerikanischen Ländern. In vielen dieser Staaten gilt Chrom(VI) gar nicht als gefährlich und ist demzufolge nicht verboten. Dass man sich aber auch bei Produkten für den deutschen Markt von den hiesigen Gesetzen nicht beeindrucken lässt, musste das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in einem Test 2009 schmerzlich feststellen.

Erschütternde Ergebnisse bei vielen Tests

Das Bundesamt wollte mittels eines sogenannten risiko-orientierten Programms überprüfen, wie gut besagter Grenzwert eingehalten wird. Auch wenn das Amt Wert darauf legt, dass die Testergebnisse nicht repräsentativ sind, ist das Ergebnis besorgniserregend: Von 504 Proben waren 226 mit Chrom(VI) belastet. Am höchsten war der Chrom(VI)-Gehalt in Lederschuhen: Von 204 Schuhproben konnte das Bundesamt in 64 Fällen das giftige Metall nachweisen. Damit nicht genug: Als die Zeitschrift „Öko-Test“ im Jahr 2010 Sandalen auf Schadstoffe untersuchte, vergab sie von 16 getesteten Schuhen 16 Mal die Note ungenügend – erhöhte Chrom(VI)-Werte konnte sie ebenfalls nachweisen.

Nun sorgte auch noch ein Bericht des österreichischen Vereins für Konsumenteninformation (VKI) für Aufregung, der in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Verbraucherorganisationen 16 Lederschuhhersteller einem Umwelt- und Ethiktest unterzogen hat. Demnach konnte keiner der Hersteller nachweisen, dass seine Leder ohne Tierquälerei, Sklaverei oder Umweltverschmutzung produziert werden. Der Verein konstatiert: „Das Gerben von Leder zählt überhaupt zu den schmutzigsten Industriezweigen der Welt.“

Chromgerbung weist hohe Qualität auf

Die Frage lautet also: Ist pflanzlich gegerbtes Leder das Leder der Zukunft? „Chromgegerbtes Leder ist nach wie vor zeitgemäß, weil es die höchste Qualität aufweist“, sagt Manfred Renner vom Fraunhofer-Institut für Umwelt, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen. Renner beschäftigt sich seit sechs Jahren mit der Lederherstellung, zurzeit arbeitet er an einem neuen Gerbverfahren auf Chrombasis. Er sagt: „Natürlich gibt es Alternativen zur Chromgerbung, aber die füllen, betrachtet man die Gesamtmenge hergestellten Leders, zumeist Nischen – und die sind noch nicht einmal umweltfreundlicher.

Gerade pflanzlich gegerbtes Leder braucht wesentlich mehr Wasser und mehr Energie als chromgegerbtes.“ Wenn also nicht mal pflanzlich hergestelltes Leder wirklich sauber ist – welches Leder können Verbraucher dann ruhigen Gewissens kaufen? „Lederherstellung ist generell nicht das sauberste, was man machen kann“, befindet Renner. „Und das rückt mehr und mehr ins Bewusstsein des Verbrauchers – was gut ist.“ Das Interesse der Industrie, einen neuen Gerbstoff zu entwickeln, der Chrom ablösen kann, sei gewaltig, sagt Renner. Womöglich ist ein synthetischer Stoff die Lösung.

Traditionelle Gerber sind skeptisch gegenüber Alternativen

Doch darauf möchte Thomas Heinen nicht warten. Heinen ist Lederfabrikant aus dem rheinischen Wegberg. Auf der Homepage seines Unternehmens verweist er nicht ohne Stolz auf die Auszeichnungen, die er für seine umweltfreundliche Lederherstellung bereits gewonnen hat. Ganz transparent sind alle Arbeitsschritte der Lederproduktion aufgelistet. Unter Punkt 5 steht: „Die Lederfabrik Heinen gerbt mit Chrom, dem weltweit verbreitetesten und umweltfreundlichsten Gerbstoff.“ Angst davor, mit dieser Offenheit umweltbewusste Kunden zu verschrecken, hat er nicht. Über das Rhabarberbeispiel kann er nur milde lächeln: „Wenn wir die ganze Welt mir Rhabarber vollpflanzen würden, könnten wir damit ein Zehntel des weltweiten Lederbedarfs decken.“

Das sogenannte vegetabil gegerbte Leder habe durchaus seine Daseinsberechtigung als Exot, „aber die pflanzlichen Gerbstoffe sind nun mal der große Engpass“. Zudem, bemängelt Heinen, ließen sich bestimmte modische und technische Anforderungen an das Leder von heute mit der pflanzlichen Variante gar nicht erfüllen, wie beispielsweise wasserfestes Leder. „Auch lässt sich das Abwasser, das beim vegetabil gegerbten Leder entsteht, wesentlich schwieriger reinigen als das, was bei der Chromgerbung entsteht.“ Der grünen Variante kann Heinen zwar auch einiges abgewinnen, für sein Unternehmen denkt er aber lieber pragmatisch: „Pflanzlich gegerbtes Leder ist wahrscheinlich das schönste Leder der Welt – aber es ist nicht die bessere Gerbtechnologie.“

IVN zertifiziert Naturleder

Trotz zahlreicher Auszeichnungen – ein Siegel wird Chromgerber Heinen so schnell wohl nicht bekommen: das vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN). Das Siegel „IVN zertifiziert Naturleder“ zeichnet nur jene Leder aus, die gänzlich ohne Chrom gegerbt wurden. Eine hohe Hürde, was sich auch in der überschaubaren Anzahl der bislang ausgezeichneten Hersteller widerspiegelt: Seit diesem Jahr dürfen es gerade mal drei Ledererzeugnisse tragen.

Anett Matthäi erklärt die strengen Regeln: „Der Einsatz von Chromgerbstoffen sowie chromhaltigen Farbstoffen ist als bedenklich anzusehen, da auch unter Einhaltung hoher Produktionsstandards eine spätere Freisetzung des Chroms nicht ausgeschlossen werden kann.“ Matthäi arbeitet für das Schweizer Institut für Marktökologie, den Zertifizierer des IVN. Die Umwandlung von Chrom(III) in Chrom(VI) lasse sich während des Gerbprozesses vielleicht verhindern, „jedoch ist es nicht möglich, dies über die gesamte Lebensdauer des Lederproduktes oder für seine Entsorgung zu garantieren“, sagt Matthäi. „Leder als Naturprodukt kann verrotten, Schwermetalle wie Chrom aber können nicht in harmlose Bestandteile abgebaut werden.“

Auch dem Pragmatismus der Chromgerber widerspricht man beim Textilverband: „Es ist sehr wohl möglich, im Industriemaßstab pflanzlich zu gerben. Es ist eine Frage des Preises“, sagt Heike Scheuer vom IVN. „Chromgerben geht natürlich viel schneller und ist billiger. Noch hören wir von Gerbereien: »Das geht nicht, das ist zu teuer«. Aber es geht. Nur müsste die Lederindustrie natürlich Einsatz bringen und Geld in die Hand nehmen.“

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