Gerhard Stoltenberg - Der kühle Klare aus dem Norden

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Gerhard Stoltenberg spricht auf dem Festakt zum 50-jährigen Bestehen der CDU im Oktober 2000.

Gerhard Stoltenberg spricht auf dem Festakt zum 50-jährigen Bestehen der CDU im Oktober 2000.

Kiel/Bad Godesberg (dpa/lnw) - Als der "kühle Klare aus dem Norden" ging Gerhard Stoltenberg in die Politik-Geschichte der Bundesrepublik ein. Insgesamt ein Jahrzehnt lang vertrat der langjährige schleswig- holsteinische Ministerpräsident (1971-82) das nördlichste Bundesland als Minister in Bonn und verschaffte ihm bis dato nicht gekanntes bundespolitisches Gewicht. Schon Anfang der siebziger Jahre wurde der CDU-Politiker als Kanzlerkandidat gehandelt, später in der Regierung Helmut Kohls galt der damalige Chef des Finanzressorts als Star im Kabinett und Kohls "Thronfolger". Am Freitag starb Stoltenberg im Alter von 73 Jahren nach schwerer Krankheit in seinem Haus in Bad Godesberg. Im Oktober dieses Jahres hatte Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) Stoltenberg große Ehre angedeihen lassen: Sie kündigte an, ihn zum Ehrenbürger des Landes ernennen zu wollen. "Gerhard Stoltenberg hat als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein den Grundstein für einen umfassenden Strukturwandel in unserem Land gelegt", lobte die Regierungschefin. Durch seine zahlreichen Ämter im Bundeskabinett habe er Schleswig-Holstein auch nach außen hin "immer würdig vertreten und bekannt gemacht". Anfang nächsten Jahres sollte Stoltenberg geehrt werden. Ebenso spröde wie geradlinig wirkte der scharf denkende Analytiker Stoltenberg auf andere. Er liebte die Nordsee, die er besonders gern mit Ehefrau Margot in St. Peter-Ording genoss und im Winter das Skilaufen im Gebirge. In Schleswig-Holstein sprechen ehemalige Mitarbeiter noch fast 20 Jahre nach seinem Abschied als Ministerpräsident in höchstem Respekt von ihrem ehemaligen Chef. Aus dem Kosenamen "Stolti" spricht zudem eine Menge Sympathie. Höhen und Tiefen wie kaum ein anderer CDU-Politiker hat Stoltenberg in seiner Karriere erlebt, die 1998 im Alter von 70 Jahren mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag endete. Er wurde vom einfachen Parteimitglied zum "Senkrechtstarter" in Bonn - und musste am Ende unrühmlich seinen Ministerposten räumen. Drei Bundesministerien hat er geführt: Forschung (1965-69), Finanzen (1982-89) und Verteidigung (1989-92). Als Kassenwart sorgte der gebürtige Kieler wieder für Ordnung bei den Bundesfinanzen, wurde aber 1989 nach heftigen Konflikten um die Steuerreform von CSU-Chef Theo Waigel abgelöst. Sein politischer Abstieg begann mit der Versetzung in das Verteidigungsressort, der Absturz folgte im März 1992. Nach Bekanntwerden einer illegalen Panzerlieferung in die Türkei trat Stoltenberg zurück, "ein bisschen ärgerlich" fand er dies Jahre später. Wegen mehrerer Pannen und Pleiten stand Stoltenberg zuletzt als ein Ressortchef da, der unsensibel für die Zeitläufe und - zu sehr auf seine Offiziere horchend - nicht mehr Herr im Haus war. Sein Amt als schleswig-holsteinischer CDU-Landeschef hatte er schon 1989 im Strudel der Affäre um seinen politischen Zögling und Nachfolger als Ministerpräsident Uwe Barschel abgegeben. Doch die Landespartei wählte ihn zum Ehrenvorsitzenden. Bis zuletzt hatte sein Wort im Norden Gewicht. Der gebürtige Kieler (29.9.1928) und promovierte Historiker war 1947 in die CDU eingetreten. Er dozierte zunächst an der Kieler Universität, wechselte als Manager zum Krupp-Konzern und leitete von 1955 bis 1961 als Bundesvorsitzender die Junge Union. 1971 wurde er als CDU-Landeschef und Ministerpräsident in Schleswig-Holstein Nachfolger von Helmut Lemke. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskabinett war es ruhiger um Stoltenberg geworden, doch in der zweiten Reihe blieb er im Bundestag bis zuletzt aktiv. Im Norden legte sich der damals 71-Jährige vor der Landtagswahl 2000 noch einmal kräftig ins Zeug und unterstützte den schließlich gescheiterten CDU-Spitzenkandidaten Volker Rühe.

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