Initiative „Köln begeistert”Beim Elementaren Tanz ist alles erlaubt – ein Kursbesuch

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„Elementarer Tanz“ macht viel Spaß und hält fit. 

Müngersdorf – Ihr ganzes Leben war eine einzige Choreografie, sagt sie. Durchgetaktet, organisiert bis in die letzte Bewegung. Wenn Ada Fischer heute die Arme zur Musik hebt, ihre Beine im Takt über den grauen Turnhallenboden schweben lässt, dann fühlt sich die 76-Jährige frei. „Jetzt kann mir alles egal sein“, meint sie – und tanzt. Ganz wie sie möchte, ohne Choreografie. Es könnte genau diese Sehnsucht nach einer Flucht vor Leistungsdruck und Jugendkult sein, die Menschen wie Ada Fischer bei ihr suchen, vermutet Krystyna Obermaier, die in Müngersdorf Senioren zum Tanzen ohne festes Schema anleitet.

Einmal mehr schraubt Obermaier am Lautstärkeregler ihres Ghettoblasters, die südamerikanischen Klänge schallen jetzt lauter denn je durch die unscheinbare Sporthalle nahe des Müngersdorfer Stadions. Von enttäuschtem Vertrauen, einer zerrütteten Freundschaft singen die Sänger auf Spanisch, doch das ist den Frauen, die gerade zur Musik zu tanzen beginnen, ohnehin egal. Sie haben auch schon zu breitester Volksmusik und zum Hip-Hop der Hamburger Band Deichkind getanzt.

Und zwar immer ganz so, wie sich die Musik für die rund zehn Frauen, die heute in die Sporthalle gekommen sind, gerade anhört. „Elementarer Tanz“ heißt diese Spielart des Modernen Tanzes, die von der UNESCO bereits zum immateriellen Kulturerbe erklärt wurde – entstanden in den 1920er Jahren in Deutschland. „Hier geht es eben nicht um das klassische Tanzschema Vormachen-Nachmachen, sondern das Kreative steht im Vordergrund“, betont Obermaier, die Elementaren Tanz an der Kölner Sporthochschule studiert hat und heute diplomierte Choreografin ist. Sie hatte ihre Gruppe auf „koelnbegeistert.de“ angemeldet, um Kölner auf ihr Sportangebot aufmerksam zu machen. Vor allem, wie ihre Mitglieder den Alltag hinter sich lassen können, möchte sie in zwei Gruppen für Senioren ab 70 und 80 Jahren vermitteln. „Der eine kommt vom Amt, hat sich vielleicht geärgert, der nächste hat besonders gut oder besonders schlecht geschlafen. Diese verschiedenen Hintergründe abzufedern, schafft der Elementare Tanz besonders gut.“

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Aus dem Ghettoblaster schallen noch immer südamerikanische Klänge. Nacheinander setzen sich die Frauen in Bewegung, laufen durch die Halle. Ihre Körper erzählen davon, wie unterschiedlich die Tänzerinnen das spüren, was sie gerade hören. Eine gleitet geradezu sanft durch die Halle, eine andere springt immer wieder in die Luft, die nächste stampft mit ihren Füßen auf den Boden. Jeder hier darf die Musik ganz für sich selbst auffassen, niemand bewertet die Interpretation des anderen.

Das erfordert vor allem das große Vertrauen jedes Einzelnen in die Gruppe, betont Obermaier. „Das ist mir am Anfang wirklich schwer gefallen, sich für Musik, die einem gar nicht gefällt, zu öffnen“, sagt Liane Fischer (72), die seit vielen Jahren Teil der Gruppe ist. „Heute ertappe ich mich oft dabei, wie ich beim Radiohören zu Musik mitwippe, die mir früher gar nicht gefallen hätte.“ Niemand der Seniorinnen hatte vor ihrer Mitgliedschaft in der Tanzgruppe eine entsprechende Vorbildung, sagt Obermaier.„Dabei kostet eine solche Tanzform ganz besonders viel Arbeit mit sich selbst.“

Als Tanzlehrerin hatte Obermaier schon mit Kindern, Erwachsenen, Profis wie Amateuren gearbeitet. Doch als sich die Diplom-Choreografin entscheidet, den Elementartanz ausgerechnet Senioren näherbringen zu wollen, drängt sich ihr ein Zweifel auf: „Wie belastbar sind Menschen im gehobenen Alter?“, fragte sie sich damals. Heute, zehn Jahre später, ergänzt sie die Antwort im selben Atemzug. „Sehr, extrem sogar“.

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www.koelnbegeistert.de

Dabei ist es Obermaier wichtig, ein Zeichen zu setzen gegen den Jugendkult und Perfektion, gegen Einengung und Choreografierung. Doch ganz ohne Vorgaben geht es auch hier nicht. „Der Mensch kann mit zu viel Freiheit nichts anfangen, das wäre dann schnell auch wieder Beliebigkeit“, sagt Obermaier und klatscht in die Hände, die Tänzerinnen versammeln sich um sie. „Jetzt benutzt bitte eure Arme“, sagt sie, Sekunden später bewegen sich die Frauen wieder zur Musik.

Diesmal kreisen, schwingen, schütteln alle auch ihre Arme zum Takt, kurz danach klatscht Obermaier wieder. „Jetzt nehmt bitte untereinander Verbindung auf“, erklärt sie, bevor die Tänzerinnen beginnen, sich zur Musik immer wieder entgegen zu laufen, sich an den Händen fassen. Der Elementare Tanz, so scheint es, ist ein Spiel zwischen Freiheit und Begrenzung. Für Irina Selitser ist er auch zu einem Spiel mit zwischenmenschlicher Kommunikation und Nähe geworden. Als die heute 71-Jährige vor 20 Jahren aus Lettland nach Köln kam, war sie hier fremd, kannte niemanden. „Der Tanz hat mir ganz viel gegeben – als ich noch kein Deutsch konnte, vor allem nonverbal“, berichtet sie. „Die wichtigste Lehre aber war, etwas zu wagen, über meinen eigenen Schatten zu springen.“ Das habe ihr auch bei der Integration geholfen, berichtet Selitser – und tanzt.

Die Elementar-Tanz-Gruppen treffen sich dienstags ab 10 und samstags ab 11 Uhr im Sportpark Müngersdorf. 30 Euro kostet der Kurs pro Stunde. Anmeldung und weitere Informationen unter 0171/530 38 66.

www.elementarertanz.de

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