Kölner Ohrenarzt warnt„Wattestäbchen können zu Taubheit führen”

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HNO-Chefarzt Dr. Christoph Möcakel

Christoph Möckel ist seit 18 Jahren HNO-Chefarzt am St.- Franziskus-Hospital in Köln-Ehrenfeld.  Mit ihm sprach Marie-Anne Schlolaut.

Herr Dr. Möckel, wann beginnt der Mensch zu hören?

Schon im Mutterleib. Das bestätigen uns auch immer wieder werdende Mütter, die berichten, dass das Kind anfängt zu zappeln, wenn es beispielsweise das laute Martinshorn hört. Aber das Ohr baut schon im Mutterleib ab, denn bereits mit der Geburt beginnt die Altersschwerhörigkeit, weil man die ganz ganz hohen Töne nur im Mutterleib hören kann.

Warum haben wir zwei Ohren, täte es eins nicht auch?

Nein, wir brauchen zwei Ohren für das Richtungshören, um die Schallquelle lokalisieren zu können, wenn Gefahr droht, um das Gesicht dorthin zu wenden, wo die Geräuschquelle ist oder vermutet wird, also um die Ursache zu erkennen und richtig zu reagieren. Das war überlebenswichtig für unsere Vorfahren und ist es auch für uns.

Ist der Hörsinn genauer und leistungsfähiger als der Sehsinn?

Ja, wir wissen, dass taube Menschen im Vergleich zu Blinden weitaus mehr unter psychischen Problemen und Depressionen leiden. Das Hörorgan ist für unser Leben wichtiger als das Sehorgan.

Sind unsere Ohren für die moderne Zivilisation und die damit einhergehenden Lärmbelästigungen gemacht?

Unsere Ohren halten schon einiges aus, auch die Anforderungen der Zivilisation. Allerdings werden wir immer älter, und auch das Hörorgan altert, so wie alle anderen Organe auch. Folglich stellen sich Hörschädigungen schon allein aufgrund des Alters ein.

In welchem Bereich lässt das Hörvermögen zuerst nach?

Bei den hohen Tönen, die hören wir dann nicht mehr. Das sehe ich aber nicht als sonderlich problematisch an, da wir den mittleren und unteren Frequenzbereich brauchen, um Sprache zu verstehen. Die Sprache ist hinsichtlich des Frequenzaufbaus deutlich komplexer, vor allem was die Gehirnaktivität betrifft. Die Verarbeitung von Musik im Gehirn ist dagegen nicht so komplex.

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Hören Ohren nachts genauso akkurat wie tagsüber oder schläft das Gehör ein bisschen?

Die Hörqualität ist Tag und Nacht gleich gut, nur nachts dringen die aufgenommenen Geräusche, die uns bekannt vorkommen, nicht in unser Bewusstsein, sonst könnten wir nicht schlafen. Wir reagieren nur, wenn es unbekannte Geräusche sind.

Wenn Ohren immer aktiv sind, sollte man dann lieber bei geschlossenem Fenster schlafen?

Das muss jeder individuell entscheiden, ob er lieber frische Luft haben will und dadurch mehr Lärm oder eben die andere Variante.

Das Alter macht schwerhörig – und wie sieht es mit der Jugend aus?

Wissenschaftliche Untersuchungen haben nicht bestätigt, dass die Beschallung durch Walkman, Kopfhörer oder Knöpfe im Ohr das Gehör vorzeitig in die Knie zwingt. Das ist ein Ammenmärchen. Eine Geigenspielerin, die im Orchester direkt vor dem Posaunisten sitzt, wird ja auch nicht vorzeitig hörgeschädigt, es sei denn sie ist dieser Belastung täglich acht Stunden ausgesetzt und das über viele Jahre.

Wann sollten die Alarmglocken erklingen, dass man nicht mehr so gut hört?

Wenn ich den Fernseher immer lauter stellen und in Gesprächen nachfragen muss. Je länger dieser Zustand anhält und je länger man wartet, bis man sich ein Hörgerät zulegt, desto schwerer tut sich das Gehirn damit, das Hören wieder zu lernen. Wir kennen diesen Zustand. Das nennen wir Schubladen-Hörgeräte, was sich dann so darstellt, dass Oma das Gerät bei der Familienfeier rausholt, anlegt und sagt: Das ist so laut, ich verstehe nix. Eben weil das Gehirn, dort wo die Töne verarbeitet werden, das neue Hören nicht lernen konnte, da das Hörgerät die meiste Zeit in der Schublade lag.

Kann man im Alter noch ein Gehör wie ein Luchs haben, und was kann man dafür präventiv tun?

Es gibt nun mal Menschen, die sind von Natur aus bis ins hohe Alter mit einem guten Gehör ausgestattet, und die anderen eben nicht. Zudem ist der eine mehr gehörempfindlich als der andere. Ob das genetisch bedingt ist, wissen wir nicht definitiv. Aber im Ohr gibt es einen Mechanismus, der die lauten Töne dämpft und einen Mechanismus, der die leisen Töne verstärkt. Wenn diese Dämpfer kaputt sind, dann hat man eine höhere Lärmempfindlichkeit, die als extrem störend wahrgenommen wird.

Warum gehen diese Dämpfer kaputt?

Entweder durch langjährigen beruflichen Lärm oder auch durch bestimmte Medikamente, zum Beispiel seltene Antibiotika. Ob Schädigungen vorhanden sind, können wir durch Tests untersuchen.

Kann man sein Gehör trainieren?

Durch tägliches Üben wie es beispielsweise Musiker tun oder alle anderen Menschen in ihrem jeweiligen Beruf. Dadurch entwickeln sich Fähigkeiten, Nuancen besser wahrzunehmen.

Muss man die Ohren putzen?

Bitte nicht. Durch die Hauterneuerung im Gehörgang wird das Schmalz nach außen transportiert. Wer Wattestäbchen zum Reinigen nimmt, drückt das Ohrschmalz zurück. Feine Fussel der Wattestäbchen bleiben im Gehörgang, was Juckreiz auslöst, und der PH-Wert im Gehörgang verändert sich nachteilig, ganz zu schweigen von den Verletzungen, die sich Menschen dadurch am Trommelfell zufügen was bis hin zur Ertaubung führen kann.

Was kann man reparieren, was ist irreparabel?

Den Verlust der hohen Töne kann man nicht rückgängig machen, aber Defizite in mittleren und tiefen Frequenzbereichen, die man dringend braucht, um Sprache zu verstehen, werden durch Hörgeräte ausgeglichen.

Welche Viren und Bakterien schädigen das Gehör?

Ganz unterschiedliche Bakterien, vor allem wenn sie in die hochsterile Gehörschnecke eindringen, die vom stärksten Knochen, den wir haben, umgeben ist und tief im Schädel geschützt liegt. In der Gehörschnecke liegen die 20 000 Hörzellen und die Schäden, die dort verursacht werden, sind gravierend.

Kann man diese Schäden reparieren?

Wir können eine Hörelektrode einführen und die noch vorhandenen Nervenenden stimulieren, sprich elektrisch erregen. Das ist das Cochlea Implantat, das auch taub geborenen Kindern eingesetzt wird.

Höre ich damit wieder gut?

Man kann damit nahezu normal hören, vor allem wenn man schon mal gehört hat. Je kürzer der Abstand ist zwischen Ertaubung und dem Einsetzen des Implantats, desto besser hört man wieder. Taub geborene Kinder haben es deutlich schwerer.

Zur Person

Christoph Möckel ist seit 18 Jahren HNO-Chefarzt am St.- Franziskus-Hospital in Köln-Ehrenfeld. Der gebürtige Stuttgarter ist zudem Spezialist für plastisch-kosmetische Nasenoperationen, operative Verbesserung des Hörvermögens und die Implantation eines Zungenschrittmachers bei schwerer Schlafapnoe, was bis dato Alleinstellungsmerkmal des Ehrenfelder Krankenhauses ist. Mittels eines Nervenstimulators wird die Zunge in der Nacht durch elektrische Impulse nach vorn geschoben, was nicht nur das Schnarchen, sondern vor allem die lebensbedrohlichen Atemaussetzer verhindert.

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