Schwierige Nachfolger-SucheKölner Mediziner warnt vor Hausarzt-Kollaps

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Stefan Streit Gesundheitscheck 240419

Stefan Streit, Arzt in Mülheim

Köln – Der Hausarzt ist die erste Anlaufstelle, wenn der Mensch krank ist oder sich krank fühlt. Wohl dem, der einen Hausarzt in zumutbarer Nähe findet und über Jahre ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufgebaut hat. In der Online-Umfrage des „Kölner Stadt-Anzeigers“ und der „Kölnischen Rundschau“ im Rahmen des Gesundheits-Checks gab die Mehrheit der Leser an, dass es zu wenig Hausärzte und Fachärzte in Köln gebe und dass Patienten trotz eines festen Termins viel zu lange im Wartezimmer sitzen müssten, bis sie schlussendlich an der Reihe seien.

Laut Statistik gibt es in Köln weder einen Hausarzt- noch einen Facharzt-Mangel. Was es aber sehr wohl gibt ist, dass einige Stadtteile deutlich besser versorgt sind als andere.

Die „anderen“ sind in der Regel die, die in den sozialen Brennpunkten liegen, mit wenigen bis gar keinen Privatpatienten. So auch in Höhenberg, wo erst vor kurzem auf die Bitte des Bürgervereins hin der Allgemeinmediziner Axel Kottmann eine für die Patienten schmerzhafte Lücke in der Hausarzt-Versorgung geschlossen hat und an zwei Tagen in der Woche zusätzlich Sprechstunden anbietet.

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Auch der Allgemeinmediziner Dr. Stefan Streit, der mit seiner Frau, einer Internistin, in Mülheim seit 14 Jahren als Hausarzt-Team tätig ist, weiß von Engpässen zu berichten. In seiner Nachbarschaft schloss Anfang des Jahres eine Hausarztpraxis, weil der Mediziner in den Ruhestand ging. Ein Nachfolger ließ sich nicht finden, und rund 1000 Patienten standen sprichwörtlich auf der Straße und mussten sich einen neuen Hausarzt suchen. Das schürt bei Patienten Ängste und ist nervenaufreibend. Auch für die Ärzte, die die zusätzliche Klientel in ihren Arbeitsalltag integrieren müssen. In Mülheim hat man das mit vereinten Kräften geschafft, was auch daran liegt, „dass Mülheim, was die Versorgung mit Hausärzten angeht, ein Sahneschnittchen ist im Vergleich zu der Versorgungslage auf dem Land, verteilen sich die Patienten doch immer noch auf relativ viele Ärzte“, so Stefan Streit. „Allerdings schrumpft die Zahl auch hier, aktuell verlässt eine weitere Hausärztin Mülheim.“

Umstrukturierungen sorgen für Probleme

Je mehr Mediziner ihre Praxen aus Altersgründen schließen oder in andere Stadtteile verlegen, desto häufiger führt das zukünftig zu bedenklichen Engpässen. Der Grund: Die noch praktizierenden Hausärzte sind in die Jahre gekommen und junge Nachfolger sind nicht in Sicht. „Die Gefahr, dass es zu einem Hausarzt-Kollaps kommt, ist durchaus real“, urteilt Streit. Und kommt vielleicht schneller als befürchtet. „Manche geben schon vorzeitig auf, weil die Politik uns immer wieder zwingt, in Praxen und bei medizinischen Abläufen umzustrukturieren.“

Man kennt sich: Auf dem Weg zur Arbeit hat der Mülheimer Hausarzt Dr. Stefan Streit immer noch Zeit für einen kleinen Plausch mit dem freundlichen Nachbarn.

Man kennt sich: Auf dem Weg zur Arbeit hat der Mülheimer Hausarzt Dr. Stefan Streit immer noch Zeit für einen kleinen Plausch mit dem freundlichen Nachbarn.

Das ist in der Regel mit bürokratischem und finanziellen Aufwand verbunden und verbraucht die Kräfte, die der Arzt samt Team für Versorgung, Therapie und Betreuung seiner Patienten benötigt. „Also überlegen sich die, die kurz vor dem Ruhestand stehen, ob sie sich das in ihren letzten zwei Berufsjahren noch antun sollen“, weiß Streit. Das Ergebnis solcher Überlegungen kann sein, dass Patienten ihren Hausarzt vorzeitig verlieren. Oder aber bestehende Hausarzt-Praxen werden in Großpraxen und medizinische Versorgungszentren integriert, geführt und dirigiert von Kapitalgesellschaften. Streit: „Das Management macht dann eventuell kein Mediziner mehr, sondern ein Betriebs- oder Volkswirt, manchmal für 30 Ärzte. Das alles verändert die Rahmenbedingungen der Ärzte, die ökonomische Zwänge so weit wie möglich aus den ärztlichen Entscheidungen raushalten wollen.“

Hausarzt als „Helfer in der Not“

Der Allgemeinmediziner Streit ist Arzt aus Leidenschaft. Die Entscheidung zur Arbeit in der eigenen Praxis hat er bis jetzt nie bereut. Seine Sprechstunde besteht aus Vorsorgeuntersuchungen, Akuterkrankungen und – manchmal lebensgefährlichen – psychosomatischen Symptomen, vielen erklärungsbedürftigen Normalbefunden und der Medizin beim älteren Menschen. In der Mittagspause oder den Abendstunden, wenn die Praxis geschlossen ist, absolviert er Hausbesuche. Das „Alleinstellungsmerkmal eines Hausarztes“, wie Hausbesuche gern beschrieben werden, erledigt er in Mülheim am liebsten mit dem Fahrrad, weil es schnell geht und er ein bisschen Bewegung hat. Meist sind es alte Menschen, die er zu Hause besucht. „Die Hausbesuche dienen dazu, den Hochbetagten einen Krankenhausaufenthalt zu ersparen.“ Und dann muss der Hausarzt Streit oft als „Helfer in der Not“ Angehörige oder Nachbarn mobilisieren, damit sie nach dem hilflosen Menschen schauen, ihm etwas zu essen machen oder Medikamente besorgen. Solche Besuche lassen sich nicht mit der Stoppuhr in der Hand erledigen.

Immer wieder kommt es vor, dass sich zum Beispiel ein Patient mit Rückenschmerz anmeldet, aber „kaum, dass er im Sprechzimmer Platz genommen hat, in Tränen ausbricht. Dann kann ich nicht sagen: So, jetzt hören Sie mal auf zu weinen“. Manches dauere eben länger, denn „manchmal sind wir Ärzte die einzigen Ansprechpartner“. Streit weiter: „Ja, wir brauchen mehr Zeit zum Zuhören. Wenn Politik und Verwaltung tatsächlich der Meinung sind, dass es wichtig ist, was wir tun, dann muss auch der Sprechmedizin die Bedeutung beigemessen werden, die sie verdient. Empathisches Gespräch geht nun mal nicht in drei Minuten.“ Vor allem dann nicht, wenn Akutpatienten in offener Sprechstunde behandelt werden. Mit den Vorgaben für die Sprechzeit betritt die Politik ein schwieriges Terrain. Zu definieren wäre, was genau Sprechzeit bedeutet: Die offene Praxistüre oder auch die Zeit, in der danach noch die im Wartezimmer sitzenden Patienten behandelt werden, was Ärzte und Praxisteam bisher mit den Patienten einvernehmlich regeln.

Vorab informiert dank des Internets

Früher konnten Mediziner wie Stefan Streit für Patienten je nach Dringlichkeit kurzfristig selbst die Facharzttermine besorgen. Heute sind Terminvergabezentren diverser Anbieter zwischengeschaltet. Für Streit und seine Kollegen „kein ungetrübter Quell der Freude, denn die so vermittelten Patienten konkurrieren mit denen aus der ärztlichen Sprechstunde um die Termine. Diese Facharztvermittlungsstellen erzeugen zusätzlichen Termindruck – letztlich kein befriedigendes Ergebnis.“

Zudem hat sich der medizinische Alltag eines Hausarztes geändert. Streit: „Patienten heute, vor allem jüngere Patienten, achten mehr auf sich.“ Sie kommen gut informiert dank Dr. Google zu ihm. „Sie haben viel gelesen über ihre Symptome und sich informiert. Das unterstützt mich als Arzt, bei der Klärung des medizinischen Problems, allerdings muss ich jetzt viel genauer nachfragen, welche Ängste der Patient hat. Das Internet hat eine neue Facette in den Arztberuf gebracht.“ Streit weiß aus Erfahrung: „Wenn sich jemand im Internet schlau gemacht hat, dann hat er ganz andere Befürchtungen als jemand, der einfach nur krank ist.“ Laut Stefan Streit ist die Zeit, in der man als Arzt nur Sprechstunde machen konnte, vorbei. Er ist überzeugt, dass die Digitalisierung in der Medizin die hausärztliche Sprechstunde für Patienten und Ärzte völlig verändern wird.

Arztversorgung

Köln liegt mit einem Versorgungsgrad an Hausärzten bei knapp 111 Prozent, ist also mehr als gut bestückt. Diese rein statistische Aussage betrifft die Gesamtstadt und berücksichtigt nicht, wie die Verteilung der Hausärzte in den einzelnen Stadtteilen ist, in denen es durchaus eng werden kann, vor allem in jenen Stadtgebieten, die sozial nicht so gut aufgestellt sind und in denen die Krankheitslast im Vergleich zu sozial gut aufgestellten Stadtteilen deutlich höher ist. Köln liegt mit einem Versorgungsgrad an Hausärzten bei knapp 111 Prozent. Das betrifft die Gesamtstadt und berücksichtigt nicht die Verteilung der Hausärzte in den einzelnen Stadtteilen, in denen es durchaus eng werden kann, wenn sie  sozial nicht so gut aufgestellt sind. In der Regionaldirektion Köln der AOK Rheinland/Hamburg können die Versicherten sich einen Termin bei einem Facharzt vermitteln lassen. Rund 2000 Anrufe und die damit verbundenen Vermittlungen pro Jahr verbucht die AOK  in Köln. Wer Hilfe braucht, kann sich vermitteln lassen unter  Ruf  02 21/ 16180. Die Termin-Servicestelle (TSS) der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein unterstützt gesetzlich Krankenversicherte bei der Vermittlung eines Facharzttermins. Patienten sollen Termine innerhalb von vier Wochen vermittelt werden. Voraussetzung für die Vermittlung ist eine Überweisung. Ausnahme sind Termine bei Augen- und Frauenärzten. Telefonnummer: 0211/ 5970 8990, jeweils montags bis freitags von 8-12  und 15-17 Uhr. Ebenfalls gut aufgestellt ist Köln mit der Versorgung von Fachärzten. Versorgungsgrad  Fachärzte (Angaben in Prozent/Quelle AOK): Augenärzte 114 %, Chirurgen 144 %, Frauenärzte 111 %, Hautärzte 121%, HNO-Ärzte 113% , Nervenärzte 108%, Orthopäden 126%, Psychotherapeuten 192%, Urologen 128%, Kinderärzte 121 %. Ein nachweislicher Engpass besteht in Köln bei den Rheumatologen und den Endokrinologen. (mas)

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