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Grüner Strom aus heißem Wasser

Lesezeit 4 Minuten
Mit bis zu 6000 Grad Celsius ist es im Erdkern so heiß wie auf der Sonnenoberfläche. Nach außen hin kühlt sich der Erdball allmählich ab.

Mit bis zu 6000 Grad Celsius ist es im Erdkern so heiß wie auf der Sonnenoberfläche. Nach außen hin kühlt sich der Erdball allmählich ab.

Ein Pilotprojekt im mecklenburgischen Neustadt-Glewe soll 500 Haushalte mit Elektrizität versorgen.

Wer bei einem Kraftwerk an Schornsteine, riesige Werksgelände und Lagerhalden denkt, wird enttäuscht sein. Die Turbine von Deutschlands erstem Kraftwerk, das Erdwärme zur Stromerzeugung nutzt, passt in einen normalen Container. Der Kühlturm ist keine sechs Meter hoch, und das Pumpenhaus erinnert mit seinem blauen Wellblech mehr an eine Garage als an ein ordentliches Kraftwerk.

Riesiges Potenzial

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Aber auch Microsoft-Gründer Bill Gates hat einst klein angefangen. Und in der Erdkruste steckt ein riesiges, erschließbares Energiepotenzial. Dränge man bis in eine Tiefe von sieben Kilometern vor, überstiegen die dort schlummernden Energiereserven das 600fache des deutschen Strombedarfs, stellte Anfang des Jahres das Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag in einer Studie über die „Möglichkeiten geothermischer Stromerzeugung in Deutschland“ fest.

Theoretisch könnte die Bundesrepublik also ihren Energiebedarf decken, ohne auf fossile Brennstoffe zurückgreifen zu müssen. In der Praxis ist man davon noch weit entfernt. Die bescheidenen Ausmaße des 220-Kilowatt-Kraftwerks, das morgen im mecklenburgischen Neustadt-Glewe seinen Betrieb aufnimmt, machen das deutlich. Die Turbine soll 500 Haushalte mit elektrischem Strom versorgen. Nicht viel, „aber ein weiterer Schritt bei der Entwicklung dieser Technologie“, freut sich Projektleiter Egbert Broßmann.

Grundsätzlich liegt Energie in der Erdkruste in zwei Zuständen vor - größtenteils direkt im Gestein, aber auch in Heißwasser-Lagerstätten („Aquiferen“). Solche Heißwasser-Lagerstätten gibt es zum Beispiel im süddeutschen „Molasse“-Becken - und eben in Mecklenburg-Vorpommern. In Neustadt-Glewe fanden sich die heißen Quellen in rund 2200 Metern Tiefe. Sie wurden noch zu DDR-Zeiten erschlossen. Seit 1995 wird das 98 Grad heiße Wasser bereits genutzt, um 1350 Wohneinheiten und 25 Kleinbetriebe mit Warmwasser zu versorgen.

Um aus dem Thermalwasser nun außerdem auch noch Strom gewinnen zu können, schalteten die Betreiber direkt am Pumpenhaus einen Kraftwerkskreislauf vor. Dem heißen Wasser wird Energie mit Hilfe eines Wärmetauschers entzogen. Verwendet wird dabei der organische Stoff Perfluorpentan, der bereits bei 31 Grad Celsius siedet. Der dabei entstehende Dampf treibt eine einstufige Turbine an. Sie verwandelt die Wärmeenergie in elektrischen Strom. Das Perfluorpentan wird wieder auf 25 Grad abgekühlt und im Wärmetauscher erneut vom heißen Quellwasser erhitzt. Im Kühlturm werden dabei pro Stunde 400 Kubikmeter Kühlwasser umgewälzt.

Nur noch 70 Grad warm fließt das Quellwasser danach ins Filterhaus und über eine Fernleitung zum 500 Meter entfernten Heizwerk. Dort gibt es - wie bisher - in einem Wärmetauscher seine Energie an einen separaten Kreislauf ab. Über ein zweites, 1200 Meter entferntes Bohrloch wird es schließlich, nur noch etwa 50 Grad warm, wieder in den Untergrund eingespeist.

Rund 900 000 Euro investieren die drei beteiligten Stromversorger in das Pilotprojekt. Die Berliner Bewag hält an der „Erdwärmekraft GbR“ 51 Prozent, die Schweriner Wemag und eine Tochtergesellschaft der Energie Südwest aus dem pfälzischen Landau jeweils 24,5 Prozent. Das Bundesumweltministerium steuerte 400 000 Euro bei, denn „mit 98 Grad Wassertemperatur sind wir in Neustadt-Glewe die Einzigen auf der Welt, die mit einer derart niedrigen Temperatur Strom erzeugen“, erklärt Broßmann.

Allerdings nur solange das Thermometer nicht unter minus fünf Grad Celsius fällt. Dann muss die Turbine zur Stromerzeugung abgestellt und das Wasser direkt zum Heizwerk geleitet werden. Sonst säßen 1350 Haushalte im Kalten.

Geeignete Quellen

Doch gerade die kombinierte Nutzung von Erdwärme zur Gewinnung von Strom und Warmwasser hat Vorteile. Die Kapazität der Lagerstätte kann - mit 110 Kubikmetern pro Stunde - das ganze Jahr genutzt werden. Zudem profitiert das Erdwärmekraftwerk in Neustadt-Glewe von den bereits vorhandenen Bohrungen. „Hätten wir hier das Wasserreservoir erst anbohren müssen, könnten wir in Neustadt-Glewe nicht wirtschaftlich Strom produzieren“, sagt Egbert Broßmann. Pro Kilometer kostet eine Bohrung rund eine Million Euro.

Die Optimierung der Suche nach geeigneten Quellen und die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit gehören zu den Hauptzielen der derzeitigen Geothermie-Forschung. Broßmann ist optimistisch: „Geothermie wird sich langsam aber sicher zu einer wichtigen Energiequelle in Deutschland entwickeln.“

Die Vorteile auch gegenüber den anderen erneuerbaren Energiequellen liegen auf der Hand. Erdwärme ist vom Wetter unabhängig und das ganze Jahr über vorhanden. Anders als bei Wind- und Sonnenenergie müssen die Stromversorger keine teuren Reserveleistungen vorhalten, sagt Broßmann: „Sie ist die einzige Energiequelle, die in dieser Beziehung mit den fossilen Kraftwerken und Kernkraftwerken voll konkurrenzfähig ist.“

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