Günter StruveAbschied von „Mister ARD“

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Günter Struve (Bild: dpa)

Günter Struve (Bild: dpa)

„Man muss sich auf das Einfache besinnen“, sagt Günter Struve gerne. Oder: „Da bleibe ich ganz gelassen.“ Meist sagt er das in einem Ton, der unterschiedlich aufgenommen wird - von denen, die ihn mögen und von denen, die ihn nicht mögen. Da ist Ironie, Sarkasmus, Zynismus, so wie bei Harald Schmidt, um dessen Rückholung sich der „Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen“ so bemühte.

In zwei Tagen wird der 68-jährige Struve den Titel, den er 16 Jahre geführt hat, sang- und klanglos an Volker Herres abgeben. „Ich bin schleswig-holsteinischer Bauer“, erklärte er auf seiner letzten ARD-Pressekonferenz in Köln. „Ich habe allen Zeitungen das Lebensabschlussinterview abgelehnt. Sowas ist fast immer Klugscheißerei.“

„Mister ARD“ kennen nur wenige Zuschauer, die meisten aber sein Programm. Denn dass „Das Erste“ seit 1998 oft vor RTL, Sat 1 und ZDF das meistgesehene Programm ist, verdankt die ARD zu 75 Prozent Struve, bezeugt MDR-Intendant Udo Reiter. Wenn die Einschaltquote also das ausschlaggebende Kriterium für Erfolg ist, dann war es eine erfolgreiche „Ära“ Struve. Dafür zahlte die ARD einen hohen, wie viele finden, zu hohen Preis, programmlich und politisch. Denn das öffentlich-rechtliche Profil des „Ersten“ hat unter Struve gelitten - und mit ihm viele ambitionierte Programmmacher.

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1992 war Struve die Antwort der ARD auf den damaligen RTL-Chef Helmut Thoma, der bekanntlich erklärte, der Wurm müsse dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Nach dieser Devise nachte Struve - zuvor WDR-Fernsehdirektor - als Planungsmanager aus dem „Ersten“ ein mehrheitsfähiges, aber auch stromlinienförmiges Programm: Nachmittagstalk mit „Fliege“, Vorabendserien wie „Marienhof“, das Boulevardmagazin „Brisant“, Arzt-Serien um 20.15 Uhr. Statt deutsche Filmgelder nach Hollywood zu überweisen, steckte Struve es in die „Süßstoff-Offensive“ der seichten Degeto-Filme am Freitagabend; enorme Summen liefen in Olympia-, Fußball- und Tour-de- France-Rechte. Gleichzeitig holte Struve die Köpfe von der Konkurrenz zurück; Beckmann, Schmidt, Pilawa, Pocher - bei Jauch wollte es ihm nicht gelingen.

Clever, aber auch skrupellos, was die Quote angeht, mit einem Gespür für Taktik, sammelte Struve - mehr als seine Vorgänger Hans Abich und Dietrich Schwarzkopf - enorme Machtfülle. „Ich alleine entscheide, ob es einen »Brennpunkt« gibt, ob diese oder jene Sendung herausgenommen, ob der Sport abgebrochen oder verlängert wird.“ So rückte er selbstherrlich die „Osgar“-Preisverleihung an Helmut Schmidt ins „Erste“, eine Werbeveranstaltung für die „Bild“-Zeitung, über die sich nicht nur Kurt Beck erregte. Gegen Struve vermochte kein ARD-Intendant seine Vorstellungen durchzusetzen. Im Gegenteil: Struves Quotendenken färbte auf alle anderen öffentlich-rechtlichen Programmdirektionen ab. Inzwischen steht jede Sendung im „Ersten“ - und längst auch in den „Dritten“ - unter unbedingtem Quotendiktat, mit der Folge, dass nichtmehrheitsfähige, ambitionierte Programme entweder zu nachtschlafender Zeit gesetzt werden oder aber bei Arte, 3sat und Phönix laufen. Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, ordnungspolitische, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Themen zur besten Sendezeit in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, wird negiert oder weitgehend in Talksendungen erledigt.

Quotendiktat mit Folgen

Diese Entwicklung zeitigte Folgen: Über Jahre hinweg wurde Schleichwerbung in Serien oder „Tatorten“ platziert, von denen Struve nichts gewusst haben will; Geheimverträge mit Extrahonoraren für den Radsportler Jan Ullrich will Struve nicht gelesen haben. „Die Zeit“ schrieb, dass Struve wenigstens „den Boden bereitet hat, auf dem die Sumpfblüten gedeihen konnten“. Tatsächlich kann sich kaum ein Insider vorstellen, dass Struve von all dem nichts mitbekommen haben soll - nachweisbar war es nicht.

Vor allem Struves glänzende Rhetorik - er kam als Redenschreiber für Willy Brandt, als Sprecher des Berliner Senats ursprünglich aus der Politik - hat ihm geholfen, diese Affären zu überleben. Entschlossen, beharrlich und streitfreudig konnte er Alleingänge rechtfertigen - und Misserfolge als Konsequenz der schwierigen föderalen ARD-Struktur verkaufen.

Sein Nachfolger Volker Herres (NDR) erbt die misslungene ARD-Programmreform: Die Vorverlegung der „Tagesthemen“ auf 22.15 Uhr führte letztlich zu völlig unberechenbaren Anfangszeiten der Hauptnachrichtensendung, die Kürzung der Polit- und Wirtschaftsmagazine waren nur ein Kollateralschaden. Die neue Intendantengeneration, die den Granden Voß, Plog & Pleitgen folgte, wird eine derartige Machtballung und Selbstherrlichkeit nicht mehr zulassen. „Die Mengenfixierten und Kampflustigen unter den ARD-Granden werden ihm nachweinen“, sagt Grimme-Chef Uwe Kamann, „die anderen werden sagen: Endlich, im Ersten wird auch anderes wieder zählen.“ Selbst das wird Struve gelassen hinnehmen.

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