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Guerilla-Chef schickte eine Kalaschnikow

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"Ben Wisch" und sein kleines politisches Museum: In der Hand hält er ein Modell der Lufthansa-Maschine "Landshut", daneben liegt die Kalaschnikow der FMLN-Befreiungskämpfer aus El Salvador.

"Ben Wisch" und sein kleines politisches Museum: In der Hand hält er ein Modell der Lufthansa-Maschine "Landshut", daneben liegt die Kalaschnikow der FMLN-Befreiungskämpfer aus El Salvador.

„Balance“ stand auf der Einladung und alle haben gerätselt, was Ben Wisch damit meinen könne. Ein Versehen seiner Sekretärin. Kurz vor seinem 80. Geburtstag wolle er schlicht Bilanz ziehen.

Das Laufen falle ihm schwer, er sei froh über jeden Schritt, den er nicht mehr tun müsse. „Ich werde mir von meinem Arzt eine Spritze geben lassen, um meinen Geburtstag zu überstehen“, sagt Hans-Jürgen Wischnewski. „So ist das halt, wenn man 80 wird.“

Ben Wisch wird 80. Am kommenden Mittwoch. Es ist der Geburtstag eines Politikers, dessen Name untrennbar mit einer der schwersten politischen Krisen verbunden ist, die die Bundesrepublik Deutschland jemals erschüttert haben. Seit der Schleyer-Entführung im Herbst 1977 und der von ihm organisierten Befreiung von 200 Geiseln aus der Lufthansa-Maschine „Landshut“ haftet ihm das Etikett des „Helden von Mogadischu“ an.

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Doch wo beginnen mit der Bilanz eines politischen Lebens, das, wie er selbst sagt, „aus dem normalen Rahmen weitgehend heraus gefallen“ und in dem die Geisel-Befreiung von Mogadischu nur der bekannteste unter Hunderten von Mosaiksteinen deutscher Zeitgeschichte ist? Ben Wisch zündet sich ein neues Zigarillo an, erhebt sich langsam aus seinem blauen Sessel, lädt den Besucher zu einem Rundgang durch sein Haus im Hahnwald ein.

Nebenan, in seiner Bibliothek, die er gerade auf Kosten einer Fensterfront erweitern ließ, um mehr Platz für den Nahen Osten zu schaffen, fällt der Blick unwillkürlich auf ein Modell der „Landshut“, die bis vor kurzem als Brief-Beschwerer gedient hat. Eine Erinnerung der Landshut-Besatzung an Mogadischu. Gleich daneben, aufgeschraubt auf eine blank geputzte Holztafel, eine Original-Kalaschnikow. „Die habe ich von den FMLN-Rebellen aus El Salvador“, sagt Ben Wisch und hebt die Waffe vorsichtig in die Höhe. Ein etwas ungewöhnliches Dankeschön des Guerilla-Chefs, weil Wischnewski sich als Krisenmanager im Auftrag der Kohl-Regierung im November 1985 nach der Entführung der Tochter das salvadorianischen Präsidenten maßgeblich an der Verabschiedung eines umfangreichen Friedenspakets beteiligt hatte. Die Kalaschnikow sei eines Tages mit einem Dankesschreiben per Post am Flughafen Köln-Bonn eingetroffen. Dort habe das Präsent für mächtig Wirbel gesorgt, sei aber inzwischen längst nicht mehr einsatzbereit. Wischnewski muss schmunzeln: „Ich habe sie entschärfen lassen. Das hätte eine hübsche Schlagzeile ergeben. Ben Wisch kriegt Waffen per Flugzeug aus Mittelamerika.“

Drei Schrittchen und einen kleinen Schluck Cappuccino weiter zieht Wischnewski aus der obersten Reihe des Bücherregals ein kleines unscheinbares Buch mit grünem Einband. Lesen kann er es nicht, doch das ist selbst für den Politiker, der fließend englisch, französisch und spanisch spricht und als Krisenmanager die ganze Welt bereist hat, nur von untergeordneter Bedeutung. Der libysche Staatschef Muammar el Gaddafi hat ihm ein Exemplar des Grünen Buchs geschenkt - mit persönlicher Widmung. Seit vielen Jahren steht es jetzt im Hahnwald, in einem Bücherregal einträchtig neben Biografien von Henry Kissinger, Willy Brandt, Herbert Wehner, dem ehemaligen portugiesischen Staatschef Mario Soares und etlichen Politikern aus den Krisengebieten Mittelamerikas und des Nahen Ostens. Alle selbstverständlich handsigniert. Nur wenige Zentimeter entfernt von Fotografien, die Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker zeigen und mit persönlichen Widmungen versehen sind.

Das Bücherregal der Weltpolitik, oder, wie Ben Wisch es formuliert, „mein kleines politisches Museum“. Gleich daneben hängt ein Kunstwerk aus der UdSSR, ein Geschenk des ehemaligen Staats- und Parteichefs Leonid Breschnew - und, wohl aus Platzmangel etwas gequetscht, jene Urkunde, die Wischnewski besonders wichtig ist, weil sie ihn als Ehrenbürger von Bethlehem ausweist. „Darauf bin ich sehr stolz.“ Vor allem deshalb, weil Ben Wisch einer der wenigen Politiker ist, die sich in Israel, bei den Palästinensern und in der arabischen Welt gleichermaßen Anerkennung erworben haben.

Langsam lässt sich Hans-Jürgen Wischnewski wieder in seinem Sessel nieder, um dann auf ein Bild an der Wand zu zeigen, das ihm das Allerwichtigste ist. Es zeigt seine Frau Gika, die im Jahr 2000 an Blutkrebs starb. Ein Porträt, gemalt vom Kölner Künstler Wolfgang Loesche. „Ihren Tod werde ich niemals verwinden“, sagt der fast 80-Jährige leise. „Wir haben 35 Jahre miteinander verbracht.“ Der Tod seines „Engelchens“ und der Selbstmord seiner Tochter Elke aus erster Ehe, die 20 Jahre an multipler Sklerose litt, ehe sie mit ihrem Mann freiwillig aus dem Leben schied, seien die schlimmste Zeit seines Lebens gewesen. Auch das, sagt Hans-Jürgen Wischnewski, sei ein Teil seines Lebens und dürfe deshalb zu seinem 80. Geburtstag keinesfalls vergessen werden. Zumal ein großer Teil jener Gäste, die am kommenden Mittwoch bei Kölsch und „Zigeunermusik“ einen „fröhlichen Geburtstag bei hoffentlich schönem Wetter“ feiern werden, „seine Gika“ sehr geschätzt hätten. Alt-Kanzler Helmut Schmidt und Bundespräsident Johannes Rau beispielsweise. Sie zählen wie Kanzler Gerhard Schröder zu den 180 Gästen, darunter „auch viele Mitarbeiter, persönliche Referenten und Sekretärinnen, die mich im Laufe meines Lebens begleitet haben“.

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