GutenMorgenKölnDie Weisheit von Bob Marley

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In der Bulungula Lodge hat sich in den vergangenen Jahren nicht viel getan. (Bild: Karabasz)

In der Bulungula Lodge hat sich in den vergangenen Jahren nicht viel getan. (Bild: Karabasz)

KAPSTADT - Es gehen nicht viele betonierte Straßen von der Autobahn N2 ab, sobald man die Transkei erreicht hat. Eine von ihnen ist jene, die irgendwann in dem Küstenort Coffee Bay endet und eine unzählbare Anzahl Schlaglöcher aller Größen und Tiefen aufweist. Davon zweigt wiederum eine der vielen „Dirtroads“ ab, was man wohl am besten mit Feldweg übersetzt, was jedoch nicht ganz das gleiche ist. Dirtroads sind relativ breite, größtenteils auch mit einem Auto ohne Vierradantrieb befahrbare Straßen, die jedoch nicht betoniert sind und daher streckenweise deutliche Spuren der Abnutzung aufweisen.

Eineinhalb Stunden quält sich mein Auto mit durchschnittlich höchstens 50 Kilometern in der Stunde über den steinigen Untergrund, bis die Straße in einem kleinen Shop mit Parkplatz endet. Dort wartet ein Shuttle, das mich in die „Bulungula Lodge“ bringen wird. Selbst mit Vierradantrieb ist die Strecke nur schwer zu bewältigen. Eine ausgebaute Straße gibt es hier überhaupt nicht. Die Landschaft ist sehr ursprünglich. Die Bevölkerung wohnt meistens in runden Lehmhütten, überall sieht man Schafe, Ziegen, Esel, Hühner, Kühe, Pferde und Hunde. Ein paarmal muss die Hupe des alten Pick-Up’s die Tiere aus dem Weg scheuchen. Schließlich ist das Ziel erreicht.

Die „Bulungula Lodge“ ist ein Backpacker, das zu 40 Prozent der örtlichen Dorfgemeinde gehört. Im Dorf gibt es keinen Strom, kein fließendes Wasser, der nächste Shop ist etwa 45 Minuten Fußweg entfernt. Das Backpacker wird ausschließlich mit Wind- und Sonnenenergie betrieben. Direkt neben den Gebäuden rauscht der indische Ozean.

Schlechte Schulen

Am nächsten Tag nimmt mich Albert mit in das Dorf und erklärt mir, wie es ist, hier zu leben. Das Dorf hat keinerlei Ortskern oder Zentrum. Eingegrenzt wird es durch zwei Flüsse und den Ozean. Albert heißt eigentlich Nkuthalo Nogwina, doch wie die meisten hat er sich einen englischen Spitznamen zugelegt. Der 25-Jährige kommt ursprünglich aus dem etwa 70 Kilometer entfernten Hafenort Port St. Johns und wohnt seit anderthalb Jahren in der Lodge. Er ist einer der wenigen hier, die fließend englisch und xhosa sprechen. „Es gibt zwar eine Schule hier“, meint er, „doch die Qualität der Lehrer lässt zu wünschen übrig. Viele Kinder können nach zwei Jahren Englisch in der Schule nicht mal einen ganzen Satz sagen.“

Während wir durch das Dorf laufen, sehen wir eine Frau, die in einem Bottich am Fluss ihre Wäsche wäscht. Eine andere selektiert selbst geschroteten Mais, indem sie die Kraft des Windes nutzt. „Das Leben hier hat sich in den letzten Jahren nicht wirklich verändert“, erklärt Albert, „es gehorcht immer noch den gleichen Regeln.“ Was das für Regel sind? „Alle hier sind sehr freundlich und hilfsbereit. Hier gibt es keine Polizei und selbst, wenn man sie rufen würde, wäre sie nicht vor dem nächsten Tag da. Die Kinder respektieren die Regeln ihrer Eltern, da diese sie sonst disziplinieren würden. Kriminalität gibt es hier so gut wie gar nicht.“

Und falls es doch einmal Unstimmigkeiten gibt, hat trifft ein „Headman“ (Dorfoberhaupt) die Entscheidung. Er ist die wichtigste Person im Dorf, alle respektieren was er sagt. Er wird von den Bewohnern gewählt und ist meist älter. „Es gibt ein Sprichwort in Xhosa“, erzählt mein Begleiter, „übersetzt heißt es etwa: Wenn du jung bist und ein Problem hast, dann geh und frage eine ältere Person mit mehr Erfahrung.“ Zu diesem Oberhaupt gehen wir jetzt. Sein englischer Name ist Bob Marley. Er ist blind und vielleicht so um die sechzig, hat neun Kinder, das jüngste ist etwa acht Jahre alt. Englisch spricht er nicht, Albert übersetzt. Das Oberhaupt erzählt viel Gutes über das Leben im Dorf; wie friedlich und menschlich es hier ist. Dennoch gebe es Probleme: „Das Krankenhaus ist anderthalb Stunden entfernt.“ Wie man dorthin komme, sei jedoch eine Frage. Autos gibt es hier keine, angesichts der fehlenden Straßen nicht verwunderlich.

Wut auf die Regierung

Bob Marley ist sauer: „Die Regierung kümmert sich nicht um die Menschen auf dem Dorf. Nur kurz vor den Wahlen kommen sie vorbei und machen Versprechungen.“ Als vor ein paar Jahren eine Seuche unter den Schweinen ausgebrochen ist, weil sie Fäkalien aßen, hat die Regierung alle Schweine schlachten lassen, anstatt für ein Abwassersystem zu sorgen, erzählt mir Albert später.

Wir sitzen lange vor Bob Marleys Hütte. Er und Albert erzählen über das Leben auf dem Dorf, die Aussichten und den Heiratsmarkt. „Wer hier heiraten möchte, geht zu einer Frau und hält um ihre Hand an. Egal ob er sie vorher schon einmal gesehen hat, oder nicht. Liebe ist hier nicht vorrangig. Der Vater des Bräutigams zahlt die Familie der Braut aus. Meistens in Kühen.“ Ich werde zum Essen eingeladen, es gibt eine traditionelle Mahlzeit aus verschiedenen Bohnen. Es ist ganz lecker und vor allem sättigend. Als die Sonne hinter den Bergen untergeht gehen wir.

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