Hans-Jörg Bullinger: Den Ideen-Speicher füllen

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Hans-J. Bullinger, geb. 1944, ist Professor für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement. Seit Oktober 2002 steht er an der Spitze der Fraunhofer-Gesellschaft, die anwendungsorientierte ingenieurwissenschaftliche Forschung betreibt.

Hans-J. Bullinger, geb. 1944, ist Professor für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement. Seit Oktober 2002 steht er an der Spitze der Fraunhofer-Gesellschaft, die anwendungsorientierte ingenieurwissenschaftliche Forschung betreibt.

Noch nie waren Innovationen für dieses Land so wertvoll wie heute. Denn sie treiben die Wirtschaft an. Angesichts der anhaltenden und tief greifenden konjunkturellen Schwäche sind sich in diesem Punkt alle in Wirtschaft und Politik einig. Doch gleichzeitig fehlen hier wie dort Mut, Fantasie und Durchsetzungsvermögen zur Erneuerung. Eine lähmende Tristesse liegt über dem Land. Wie groß muss der Schock sein, um aufzuwachen?

Eine Exportnation wie Deutschland kann nur Beschäftigung und Wohlstand sichern, wenn ihre Produkte auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sind. Ein Preiswettbewerb mit Ländern wie Korea, Taiwan oder Ungarn ist nicht zu gewinnen. Und wie sollten wir unseren höheren Lebensstandard begründen, wenn wir Produkte herstellen, die überall produziert werden können? Dazu gibt es nur eine Alternative: Ständig neue, bessere Produkte in den Markt einzuführen. „Vorsprung durch Technik“ erreicht man aber nicht durch ein bloßes Hinterherrennen, sondern durch Überholen auf neuen Wegen: durch Innovation. Innovation ist zum Synonym für die Überlebensfähigkeit und Zukunftsorientierung der Unternehmen und Industrieländer geworden. Siemens-Vorstand Heinrich von Pierer betonte kürzlich: „Wenn man bedenkt, dass Siemens über drei Viertel des Umsatzes mit Produkten macht, die jünger als fünf Jahre sind, dann wird schnell klar, dass wir Jahr für Jahr eine Menge neuer Ideen brauchen.“

Wenn in Deutschland der Mittelstand weiterhin den größten Teil zur Wertschöpfung beitragen will, muss er sich dem Innovationswettbewerb stellen. Wer zu lange in Geschäften bleibt, die kaum noch wachsen, gerät in eine Sackgasse. Wer sich nicht selbst erneuert, veraltet.

Voraussetzung dafür ist, dass auch die mittelständische Wirtschaft wieder mehr in Forschung und Entwicklung investiert. Denn wir müssen den Speicher an Ideen ständig auffüllen. „Man muss viele Frösche küssen, um auf einen Prinzen zu stoßen!“, brachte Arthur Frey, der Erfinder der Haftnotizen, die Erkenntnis auf den Punkt, dass unaufhörliches Suchen nach Neuem die Grundlage für den Erfolg schafft. In einer empirischen Untersuchung konnten wir einmal nachweisen, dass aus knapp 2000 Erstideen nur elf erfolgreiche Produkte hervorgegangen sind. Kreativität ist daher die wichtigste Fähigkeit, die wir in Zukunft brauchen.

Doch Innovationsprozesse sind langwierig und mit hohen Risiken verbunden. Umso wichtiger ist es, Innovationen systematisch zu entwickeln. Das ist eine Kunst, die man erlernen kann, wie unser eben erschienenes Buch „Kunststück Innovation“ an vielen Praxisbeispielen demonstriert.

Das Zurückfallen Deutschlands in der technologischen Leistungsfähigkeit ist eine langfristige Folge des seit den 90er Jahren anhaltend schwachen Wirtschaftswachstums. Wir leben von der Substanz. Besonders Besorgnis erregend ist, dass wir in den dynamisch wachsenden Zukunftstechnologien den Anschluss verloren haben. Problem ist nicht, dass wir schlechter, sondern dass die anderen besser geworden sind, weil sie sich schneller erneuern. Zwar haben in den vergangenen Jahren sowohl die Unternehmen wie auch das Bundesforschungsministerium ihre Aufwendungen für Forschung und Entwicklung wieder erhöht. Doch das reicht bei weitem nicht aus, um wieder zu den führenden Industrienationen aufrücken zu können. Im OECD-Vergleich lag Deutschland in puncto Forschungsintensität im Jahr 2001 mit Ausgaben in Höhe von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nur noch knapp über dem Durchschnitt von 2,2 Prozent.

Dabei gibt es auch jetzt Lichtblicke. In allen Branchen finden wir Unternehmen, die gegen den Trend erfolgreich sind und dynamisch wachsen. Weil sie nicht - oder noch nicht - im Fokus der Öffentlichkeit stehen, werden sie oft „Hidden Champions“ (versteckte Sieger) genannt. Deutschland verfügt über eine große Zahl solcher mittelständischer Weltmarktführer. Von ihnen können nicht nur die anderen Mittelständler, sondern auch die Großunternehmen lernen.

Besondere Wachstumschancen eröffnen sich bei den wissensintensiven Dienstleistungen. Eine wichtige Rolle im Innovationsgeschehen nehmen technologieorientierte Unternehmensgründungen ein. Sie sind nicht nur besonders wichtig für Strukturwandel und Erschließung neuer Märkte, sondern auch besonders beschäftigungsintensiv.

Dauerhafte Vorsprünge im Innovationswettbewerb erreichen nur die Unternehmen und Länder, die immer wieder zu Höchstleistungen angetrieben werden. Tonangebende „Lead Markets“ sind für Deutschland der Automobil- und der Maschinenbau. Was sich hier im harten Konkurrenzkampf durchsetzt, ist fit für den Weltmarkt. Beide Branchen stehen in einem besonders intensiven Partnerschaftsverhältnis zur deutschen Wissenschaft und angewandten Forschung, aus der sie ihre technologische Stärke schöpfen.

Wir müssen die Fähigkeit zur Innovation auch auf anderen Gebieten zurückgewinnen - in der Wirtschaft, wie in Politik und Verwaltung. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die Veränderungsprozesse nicht aufhalten oder verzögern, sondern beschleunigen. Wir müssen Kreativität nicht nur fordern, sondern auch fördern. Gerade in turbulenten Zeiten sind Innovationen das probate Mittel, um den Wandel aktiv zu gestalten. Die Zukunft wird die Investitionen in Forschung und Entwicklung, die wir jetzt vorleisten müssen, reichlich zurückzahlen. Schon Michael Faraday, der berühmte britische Physiker, antwortet einem Finanzminister auf die Frage nach dem Sinn seiner Experimente, nur lapidar: „Sir, eines Tages werden Sie es besteuern können!“

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