HirnforschungDie Schaltstelle für Gefühle im Gehirn

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Sitz des Mandelskerns (Amygdala) Gehirn. (Grafik: Boehne)

Sitz des Mandelskerns (Amygdala) Gehirn. (Grafik: Boehne)

Ein Mensch ohne den nur wenige Gramm schweren Mandelkern (Amygdala) im Hirn käme im Leben nicht gut zurecht – außer, er hätte aufmerksame Begleiter um sich.

Doch zum Glück wird jeder Mensch mit Mandelkern geboren. „Ein entwicklungsbedingtes Fehlen der Amygdala ist unbekannt“, sagt der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth. Solche Gehirne wären ohnehin „so schwer geschädigt, dass sie sich gar nicht weiterentwickeln“. Allerdings gibt es ein seltenes, genetisch bedingtes Fettstoffwechsel-Leiden, das 1929 erstmals als eigenständige Krankheit beschrieben wurde und nach seinen Entdeckern Urbach-Wiethe-Syndrom genannt wird. Es hat bei den bisher nur wenige hundert Betroffenen nicht nur Haut und Schleimhaut verändert, sondern auch den Mandelkern umgangssprachlich „verkalkt“. Daran Erkrankte sind „unfähig, negative Situationen und Gesichter zu erkennen und entsprechende negative Gefühle differenziert zu erleben“, erklärt Roth.

Die beiden Zellhaufen des Mandelkerns – jeweils einer in der linken sowie rechten Hirnhälfte – sind Teile des Zwischenhirns, das den noch älteren Hirnstamm umfasst und gehören zum limbischen („saumförmigen“) System. Dort werden Gefühle verarbeitet, das Schmerzempfinden reguliert und Triebhandlungen in Gang gesetzt.Die Nerven-Netzwerke des limbischen Systems „werden immer dann erregt, wenn etwas passiert, das uns unter die Haut geht, das uns also irgendwie vorübergehend aus dem Gleichgewicht bringt“, schreibt der Neurobiologe Gerald Hüther in seinem Buch „Gehirnforschung für Kinder“, das sich auch an Erwachsene richtet.

Archaische Notfallreaktionen

Es geht hier also um unwillkürliche Erregungsabläufe, die von der stammesgeschichtlich jüngeren Großhirnrinde nicht mehr kontrolliert werden können – etwa wenn wir völlig verwirrt sind. Deshalb finden Menschen im Angststress auch nur selten kreative Lösungen für ein Problem. „Dann kann man komplizierte Handlungen nicht mehr gut planen und nicht mehr vorausschauend denken, sich nicht mehr in andere Menschen hineinversetzen, Frustrationen aushalten und innere Impulse unter Kontrolle bringen“, sagt Hüther.

In seiner Not bevorzugt das Hirn dann „bewährte Vorgehensweisen, manchmal auch primitive“. Damit meint der Göttinger Hirnforscher „Lösungswege, die im Hirn schon während früher Kindheit gebahnt worden sind, oder sogar – wenn es besonders eng wird – archaische Notfallreaktionen“. Diese sind im Hirnstamm von Mensch und Tier angelegt und mündeten, falls sie aktiviert werden, „in Angriff, Verteidigung oder panische Flucht – und wenn gar nichts mehr geht, in ohnmächtige Erstarrung“.

Vom limbischen System aus breitet sich die Erregung über den Hirnstamm, das Rückenmark und weitere Nerven zu den inneren Organen, der Haut, der Bauchdecke oder den Muskeln aus. Ist der Mandelkern an der Reaktion beteiligt, kommt es Hüther zufolge zu typischen Empfindungen: „Es stockt uns der Atem vor Angst, die Knie werden weich, wir haben ein komisches Gefühl im Bauch.“

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