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Interview mit Sting„Ich war immer alt im Kopf“

Lesezeit 8 Minuten
Sting war nicht nur Gründer der Band Police, sondern ist auch Namensgeber einer Froschart in Kolumbien: Hyla Stingi. (Bild: Reuters)

Sting war nicht nur Gründer der Band Police, sondern ist auch Namensgeber einer Froschart in Kolumbien: Hyla Stingi. (Bild: Reuters)

Sting, Sie leben seit fast 30 Jahren überwiegend in den USA und in Ihrer Heimat England. Ich würde gerne testen, wie englisch Sie heute noch sind. Ich nenne Ihnen ein paar amerikanische und englische Charakteristika, Sie sagen mir, welche Ihnen mehr zusagen. Tee oder Kaffee?

STING Kaffee. Ja, Kaffee! Sie müssen nicht so überrascht gucken. Ich weiß, dass ich in „Englishman in New York“ singe „I don’t drink coffee I take tea my dear“. Aber der Song handelt nicht von mir, auch wenn das viele glauben. Ich singe über den homosexuellen englischen Schauspieler und Schriftsteller Quentin Crisp, der lange in New York lebte. Aber im Gegensatz zu ihm liebe ich Kaffee, vor allem Espresso.

Die „New York Times“ oder der Londoner „Guardian“?

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STING Lese ich beide, jeden Tag.

Central Park oder Hyde Park?

STING Wie Sie sehen, lebe ich, wenn ich in New York bin, direkt am Central Park. Der ist mir näher als der Hyde Park.

Jürgen Klinsmann, der neue Coach der US-Fußballnationalmannschaft, oder Fabio Capello, der Trainer des englischen Teams?

STING Klinsmann. Da muss ich nicht lange überlegen.

Warum nicht?

STING Weil er Deutscher ist. Nein, im Ernst. Klinsmann ist eine sehr inspirierende Persönlichkeit. Ein Mann mit Charakter. Ich bewundere, was er erreicht hat. Ich bin fest davon überzeugt, dass er den amerikanischen Fußball weit voranbringen wird. Klinsmann ist intelligent und er versteht es, Menschen mitzureißen, das Beste aus ihnen herauszuholen. Ich bin ein Klinsmann-Fan.

James Bond oder Jason Bourne?

STING James Bond, ich bitte Sie!

Wo fahren Sie lieber – auf der rechten oder der linken Straßenseite?

STING Ich bin immer verwirrt, wenn ich nach längerer Zeit in den USA zurück nach England komme. Ich muss dann jedes Mal wieder fragen: „Auf welcher Seite der Straße fahren wir noch mal?“ Für mich müsste das Lenkrad irgendwo in der Mitte sein.

Ihren 60. Geburtstag am 2. Oktober feiern Sie in New York mit einem Konzert im Beacon Theatre, bei dem Sie mit Bruce Springsteen und Lady Gaga auftreten.

STING Ich gehe hier bereits am 1. Oktober um 20.30 Uhr New Yorker Zeit auf die Bühne, dann ist es in England bereits 1.30 Uhr am frühen Morgen des 2. Oktober. In New York bin ich rein rechnerisch also schon am 1. Oktober 60.

Wenn Sie in den Spiegel schauen, gefällt Ihnen, was Sie sehen?

STING Ich sehe nicht alt aus! Aber ich habe die Erinnerungen eines 60 Jahre alten Mannes. Das wird mich wohl in der nächsten Phase meines Lebens beschäftigen, dass ich mich mit dem Noch-älter-Werden auseinandersetze und damit klarkomme.

In Ihrem Beruf ist es nicht einfach, unverkrampft alt zu werden. Was auch daran liegt, dass viele Song-texte das Älterwerden verteufelten: „What a drag it is getting old“, „Hope I die before I get old“, die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

STING Was insofern kurios ist, weil die meisten der Musiker, die diese von Ihnen zitierten Zeilen geschrieben haben, Mick Jagger oder Pete Townshend, noch alle sehr lebendig und aktiv sind.

Die sind Ihnen, was das Alter betrifft, etwas voraus und werden in nicht allzu ferner Zukunft 70.

STING Bei mir ist es ein bisschen anders als bei diesen Kollegen. Auch wenn mich Musik jung gehalten hat, fühlte ich mich andererseits immer älter, als ich tatsächlich war. Ich war immer alt im Kopf, das ging mir schon als Teenager so. Ich war immer sehr ernsthaft, in mich gekehrt. Insofern bedeutet das Älterwerden im Pop-Geschäft für mich persönlich keine umwälzende Veränderung. Denn ich war nie dieser wilde, jugendliche Rock-´n´-Roll-Typ.

In den Augen Ihrer härtesten Kritikern waren Sie vor allem „altklug und prätentiös“.

STING Wen kümmert’s.

Sie haben schon vor mehr als 20 Jahren Zeilen wie diese geschrieben: „I swear in the days still left we will walk in fields of Gold.“

STING Ich habe mir in meinen Songs immer wieder vorzustellen versucht, wie das sein wird, älter zu werden. Jetzt, wo es tatsächlich eintritt, kommt es mir nicht mehr so seltsam vor. Ich habe mich darauf vorbereitet. Es ist wichtig, sein Ende zu proben.

Jetzt schwadronieren Sie wie der von Billy Crystal gespielte Mann in „Harry und Sally“, als er Meg Ryan mit dem Bekenntnis zu beeindrucken versucht, er denke ständig über den Tod nach.

STING Aber es ist mein großer Ehrgeiz, mein großes Ziel, auf eine gute Weise zu sterben. Auch um meinen Hinterbliebenen zeigen zu können, wie man es macht. Nur weiß ich leider selbst noch nicht, wie das geht. Ich kann nichts Verkehrtes daran finden, sich damit auseinanderzusetzen, zu trainieren, älter zu werden.

Die meisten trainieren, um jünger zu wirken. Wie trainieren Sie das Älterwerden?

STING Man sollte darüber nachdenken, was ein erfülltes Leben ausmacht und wie man sich ein hoffentlich langes Leben vorstellt. Ich möchte noch älter werden, ich will jetzt noch nicht sterben. Songs darüber zu schreiben – das ist wie eine Art Meditation. Ich kann mir kein interessanteres Thema für einen Autor vorstellen als den Tod – ganz gleich, ob es um Pop-Songs oder Romane geht. Die Vorstellung des Todes ist, aus dem Blickwinkel eines Künstlers betrachtet, unglaublich inspirierend.

Das ist bei vielen Ihrer Kollegen in eine Todessehnsucht umgeschlagen: „I hate myself and want to die“ schrieb Kurt Cobain kurz bevor er sich erschoss.

STING Das meine ich nicht. Aber dass wir am Ende unseres Lebens diese definitive Grenze sehen, macht das Leben an sich wertvoller, bedeutsamer. Der Tod ist etwas Furchtbares, er bedeutet aber auch: Jede gelebte Minute ist wichtig. Wenn man jung ist, fühlt man sich unsterblich, man verschwendet ständig seine Zeit – eine Stunde, eine Woche, ein Jahr. Ich will meine Zeit nicht verschwenden. Jede Stunde ist wichtig, weil ich spüre, es sind nicht mehr so viele übrig wie zu jener Zeit, als ich 20 war.

In Kolumbien hat man einen Frosch nach Ihnen benannt – Hyla Stingi, eine Anerkennung für Ihr Regenwald-Engagement.

STING Das war doch mal eine nette Auszeichnung, zumal es nicht irgendein Frosch ist, sondern eine Art psychedelische Kröte. Wenn du an seinem Rücken leckst, wirst du high. Es ist wie ein Drogentrip. Ich hab’s mal probiert, allerdings nicht mit dieser Spezies, sondern mit einer anderen.

Reden wir über Ihre politischen Songs, von denen Sie jetzt einige auf Ihrer Werkschau-CD-Box wiederveröffentlicht haben. Ein Lied wie „Russians“, geschrieben während des Kalten Krieges, kann man sich heute kaum noch anhören, weil es die Zeit seiner Entstehung wiederspiegelt. Der einzige Lichtblick war für Sie damals Ihre Hoffnung, dass auch die Russen ihre Kinder lieben. Trauen Sie sich heute solche Zeilen zu singen, wenn Sie in Moskau auftreten?

STING Ich habe den Song dort oft gespielt, allerdings erkläre ich vorher immer, in welchem politischen Klima das Lied entstanden ist. Ich hatte Anfang der 80er hier an der New York University einem befreundeten Wissenschaftler dabei zugesehen, wie er TV-Signale aus der Sowjetunion empfing, heute würde man sagen: herunterlud. Darunter waren auch Kindersendungen. Das hatte mich damals zu dem Song inspiriert.

Menschen, die Kindersendungen produzieren, können nicht böse sein?

STING Das Lied atmet den Zeitgeist jener Jahre. Auf beiden Seiten wurden Bedrohungsszenarien aufgebaut, der Gegner wurde dämonisiert. Ich habe kein Problem damit, mich heute vor ein russisches Publikum zu stellen und das zu erklären.

Aber wie erklären Sie denn einen Satz wie „I hope the russians love their children too“? Dem geht ja voraus, dass Sie wie viele andere auch geglaubt haben, dass die bösen Russen ihre Kinder nicht liebten. Und sowas anzunehmen, ist doch grotesk.

STING Sehen Sie, wenn ich heute vor russischen Zuschauern stehe, erzähle ich ihnen, wie wir uns damals im Westen vor den Russen gefürchtet haben, wie wir dazu neigten, Russen eher als ideologische Roboter, statt als Menschen zu sehen. Man darf nicht vergessen: Wir waren damals in einer Gesellschaft des Kalten Krieges anders konditioniert. Im damaligen Kontext hatte so ein Song eine andere Wirkung – auch wenn es natürlich schon damals offensichtlich war, dass auch Russen ihre Kinder lieben. Ich wollte mit dem Satz nur eins zeigen: Unsere vermeintlichen Feinde sind auch nur Menschen.

Wie reagiert denn das russische Publikum auf Ihre Vorträge?

Sting Die Russen lieben „Russians“. Ihnen gefällt natürlich auch, dass der Song von einer Melodie Prokofjews inspiriert wurde.

Sie haben in den letzten Jahren immer wieder auf das zurückgeblickt, was Sie mal waren. Sie schrieben eine Autobiografie und spielten alte Hits. Neue Songs haben Sie in den letzten acht Jahren keine mehr geschrieben. Fällt Ihnen nichts mehr ein?

STING Ich finde nichts Schlechtes daran, all die Songs, die ich bisher geschrieben haben, immer wieder mal aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und zu interpretieren.

Vita

Sting, am 2. Oktober 1951, als Gordon Matthew Sumner in Newcastle geboren, war Englisch- und Sport-Lehrer und spielte in Jazz-Rockbands. Einer seiner Musiker-Kollegen gab ihm den Spitznamen Sting (Stachel), weil er in seinem gelb-schwarzen Pullover an eine Wespe erinnerte. 1977 gründete er in London „The Police“. Nachdem sich die Band 1984 getrennt hatte, brachte Sting sie 2007 und 2008 für eine Welt-Tournee zusammen, danach spielte er Kirchen- und Winterlieder. Kurz vor seinem 60. Geburtstag ist die Werkschau „Sting: 25 Years. The Definite Box Set Collection“ erschienen.

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