Interview mit Wolfgang KleinwächterDie Große Chinesische Firewall

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Herr Kleinwächter, von China ist meist als einer Online-Diktatur die Rede. Dennoch boomt das Internet im Reich der Mitte. Ein Widerspruch?

WOLFGANG KLEINWÄCHTER: Ja und Nein. Das Internet ist für die Chinesen primär von ökonomischer Bedeutung. In dieser Hinsicht ist China auf dem besten Wege, eine Internet-Großmacht zu werden. Die Regierung hat unglaubliche Anstrengungen unternommen, das Internet weit zu verbreiten. Mit über 300 Millionen Internet Nutzern ist China die größte nationale Netzgemeinde der Welt. Größer als die der USA. Und mit 14 Millionen registrierten Domains unter .cn hat China die deutsche DENIC als bislang größte Länderregistry mit 12.5 Millionen .de Adressen überholt. Die Olympischen Spiele 2008 haben einen unglaublichen Infrastrukturschub gebracht. 2012 wird China die beste Breitbandverkabelung der Welt haben.

Und was ist mit der staatlichen Zensur? Wachsen mit der Dynamik des chinesischen Netzes auch die individuellen Freiheiten der Nutzer?

KLEINWÄCHTER: Schaut man sich das Nutzerverhalten der Chinesen an, dann dominiert die Unterhaltung: Videos und Musik und noch mehr Online Spiele. Bei baidu.cn, der populären chinesischen Suchmaschine, ist der Muskdienst der absolute Renner. Quantitativ steht die Suche nach politischen Informationen nur an fünfter Stelle. Aber dort geht das Problem los. Der „große Firewall“ filtert drakonisch alle Websites die nach Ansicht der Regierung „kriminelle und rechtswidrige Inhalte“ verbreiten. Internet Cafes stehen unter staatlicher Kontrolle. Jeder Besucher dort muss sich ausweisen und seine persönliche Daten hinterlegen damit seine Onlinespur im Zweifelsfall nachvollzogen werden kann. Privatsphäre und Datenschutz sind Fremdworte. Freie Meinungsäußerung findet schnell Grenzen an den häufig sehr schwammig formulierten Gesetzen. Man sollte aber nicht unterschätzen, daß diese Grenzen fließend sind und sich die individuellen Freiräume, unmerklich von unten, auszuweiten beginnen.

Rund 150 Millionen Chinesen bloggen. Entwickelt sich da ein subversiver demokratischer Diskurs?

KLEINWÄCHTER: Ich weiß nicht, ob man das subversiv nennen kann, aber es ist ohne Zweifel ein basisdemokratischer Diskurs. Die chinesische Blogosphäre geht mitunter sehr kritisch mit den Zuständen in China um. Die Chinesen, mit denen ich mich unterhalte, gehen davon aus, dass das Auswirkungen auf das politische System hat, allerdings eher mittelfristig. Vorsicht ist geboten bei den Reizthemen, den drei „Ts“ Tiananmen, Tibet, Taiwan und bei Falun Gong. Dort hört für die Regierung der Spaß auf. Aber es gibt eine Grauzone, in der sich vieles bewegt. Die Generation der nach 1980 Geborenen, die 1989 noch nicht mal Teenager waren, hat kaum eine Vorstellung mehr von den Zuständen der chinesischen Kulturrevolution unter Mao. Das ist eine sehr selbstbewusste Generation, die kritisch gegenüber ihrer eigenen Regierung ist, ihr Land liebt, aber häufig die westliche Kritik an China nicht versteht und auch zurückweist.

Offenbar ist es relativ einfach, die Restriktionen von Suchmaschinen zu umgehen. Ist das allgemein üblich, über Proxi-Server etc. den Staat auszuschalten?

KLEINWÄCHTER: Ja, jede Internet Sperre kann umgangen oder untertunnelt werden. Das ist nicht so kompliziert und die einschlägigen Instruktionen sind auch in China im Netz zugänglich. Die chinesische Regierung geht offensichtlich davon aus, dass der „Große Firewall“ keine hundertprozentige Lösung ist, ihr genügt es aber 80 bis 90 Prozent der User mit ihren Beschränkungen zu erreichen. Der Rest, das sind dann immerhin 30 Millionen, wird als kleine Elite betrachtet, der man Freiheiten einräumen kann. Damit dort nicht übertreiben wird, wird immer mal wieder eine Blogger spektakulär inhaftiert. Das ist dann mehr eine Abschreckungsmaßnahme. Für die westliche Gemeinschaft sind solche Individualfälle natürlich nicht hinnehmbar. Aber wir sollten das Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren.

Trotz harscher Zensur gelingen chinesischen Medien doch immer wieder investigative Erfolge (Geschichten über den Einsturz maroder Schulen, Handel mit Aids-infiziertem Blut, SARS-Zahlen, Milchpulver-Skandal). Unterschätzt der Westen die Courage und auch die Zahl engagierter Medien in China?

KLEINWÄCHTER: Ja, das denke ich. Wir hatten hier zur Leipziger Buchmesse 2009 chinesische Autoren zu Gast, die sich sehr kritisch mit lokalen Verhältnissen auseinandersetzen, sich mit der Regierung anlegen. Das sind sehr couragierte Leute. Die Vorstellung, dass China ein Land der gleichgeschalteten Duckmäuser sei, ist völlig falsch. Ich habe in Aarhus seit einiger Zeit auch chinesische Studenten, die ebenso kritisch und mutig wie selbstbewusst auftreten. Aber sie haben ihre eigenen Wertvorstellungen und übernehmen nicht 1:1 den westlichen Wertekanon. Das Streben nach Harmonie und Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft werden häufiger als wichtiger angesehen als Konkurrenzkampf und Individualität. Der wieder erstarkende Konfuzius läßt hier grüßen.

Machen sich Google, Yahoo, Cisco und Microsoft in China zu Handlangern des autokratischen Regimes?

KLEINWÄCHTER: Das wurde der so genannten Viererbande vom US-Kongress vorgeworfen. Sie haben das zurückgewiesen. Google argumentiert, man halte sich in China, wie in jedem anderen Land auch, an die nationale Rechtsordnung. Google hätte keinen Einfluß auf die chinesischen Gesetze. Das wäre Sache der US Regierung. Die sollte größeren Druck in Bejing ausüben und in Sachen Menschenrechte ebenso konsequent handeln wie beim Schutz (amerikanischen) geistigen Eigentums. Die Einschränkungen würden überdies nur bei google.cn, nicht aber bei google.com gelten. Und wer bei google.cn nach „Demokratie“ sucht, wird dort informiert, daß die Suchergebnisse gefiltert sind und weitere Quellen unter google.com erreichbar sind. Das macht Google übrigens auch in Deutschland wo nach deutscher Gestzgebung bei google.de Naziseiten ausgefiltert werden, die bei google.com angegeben werden. Die Server für gmail betreibt Google übrigens außerhalb des chinesischen Territoriums. So kann Google den Zugriff der Zensurbehörden auf individuellen email-Verkehr verhindern. Wenn Google von einem chinesischen Funktionär zur Auskunft über einen bestimmten Nutzer aufgefordert wird, antwortet Google mit der Bitte, man möge Ihnen die Anfrage bitte schriftlich einreichen mit Hinweis auf die gesetzliche Grundlage für die erwünschte Auskunft. In 98 Prozent der Fälle, sagt Google, folge kein Brief. Das ist also ein Katz-und-Maus-Spiel und die Unternehmen sind sich nach meiner Meinung ihrer delikaten Situation bewusst. Aber ohne google.cn wäre der Informationsmarkt in China erheblich ärmer. Es war übrigens nicht Yahoo, die den chinesischen Regimekritiker 2005 ans Messer geliefert hat, sondern die Yahoo-Tochter in Hongkong, an der 51 Prozent einem chinesischen Partner gehören.

China führt eigene Domains in eigener Sprache ein. Wie groß ist die Gefahr einer Abtrennung des chinesischen Internet? Wird die Zensur dann nicht viel leichter alle User ermitteln können, die auf Seiten außerhalb Chinas zugreifen?

KLEINWÄCHTER: Ja, die Gefahr einer „Balkanisierung des Internet“ besteht. Die Chinesen haben Toplevel-Domains in chinesischen Buchstaben eingeführt. Das wollen auch die Russen in kyrillischer Sprache, die Ägypter in Arabisch oder die Iraner. Wenn ICANN 2010 mit den internationalisierten Toplevel Domains beginnt, schlägt die Stunde der Wahrheit. Wird das Rootzonefile für .cn oder .com in Chinesisch oder .rf in Kyrillisch in die von der US Regierung kontrollierten IANA-Datenbasis eingegeben oder nicht? Wenn nicht, dann haben wir mehrere Sprach- (oder besser Skript-) basierte Internets. Die kann man natürlich mit Brücken verbinden. Aber Brücken lassen sich leichter kontrollieren als ein diversifiziertes Netz das die (nationalen) Grenzen von Zeit und Raum nicht kennt. Wenn sie dann vom chinesischen Netz ins ASCII Netz wollen, müssen sie vielleicht bei einer staatlichen Stelle ein Password beantragen. Das wäre dann so wie früher in der DDR die Beantragung eines Passports wenn man ins (westliche) Ausland wollte.

Welche Rolle spielt hier ICANN, die die kritischen Internetressourcen wie Domainnamen, IP Adressen und Rootserver verwaltet? ICANN ist mit einem Vertrag an die US Regierung gebunden, der jetzt Ende September 2009 ausläuft. Was passiert dann?

KLEINÄCHTER: Das auslaufende „Joint Project Agreement“ (JPA) hat eine große symbolische Bedeutung. Die weltweite Erwartung an die Obama-Administration ist, daß sie ICANN in die Unabhängigkeit entläßt. Viele US Unternehmen – und auch einige US Senatoren – möchten aber lieber nichts am gegenwärtigen Zustand ändern. Sie sehen die Stabilität und Sicherheit des Netzes gefährdet, wenn die US Regierung ihre schützende Hand über das Internet zurückzieht. Die Chinesen möchten nach dem JPA am liebsten eine zwischenstaatliche Regierungsorganisation als Aufsichtsbehörde über das Internet. Die EU Kommissarin Vivian Reding hat jetzt den Vorschlag einer G 12 – elf Regierungen und der CEO von ICANN - ins Gespräch gebracht. .

Was wäre so schlecht an einer solchen Lösung?

KLEINWÄCHTER: Wenn Sie das Management der technischen Ressourcen einem zwischenstaatlichen Gremium übergeben, bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit die Dynamik des Internet auf der Strecke und Regierungskontrolle hält Einzug. Die Offenheit für Innovation, das End-zu-End Prinzip der Internet Architektur ohne einer zentralen Aufsichtsbehörde ist das eigentliche Geheimnis hinter der unglaublichen Erfolgsgeschichte Internet bei der binnen 20 Jahren die Zahl der Nutzer (und Nutznießer) des Internet von weniger als 100 000 auf 1.6 Milliarden wuchs. Google, Wikipedia, Ebay, Amazon, Youtube, Facebook, all das wurde nur möglich weil es niedrige Einstiegsbarrieren gab, keine großen bürokratischen Hürden rumstanden und nur wenig Startkapital vonnöten war. Die Registrierung der Domain Google.com, auf der sich heut ein Imperium aufbaut, kostete damals nicht mehr als 35 US Doller. Wenn sie erst die Einigung der Regierungen der USA, Chinas, Russlands, Indien, Brasiliens und der EU - alles potentielle Mitgliedskandidaten für Redings G 12 - brauchen, z.B. bei der Einführung neuer Top Level Domains, können sie auf den Sankt Nimmerleinstag warten. Ich bin für eine G 0. Man sollte ICANN in Ruhe lassen. In ICANN sind alle Stakeholder – Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft, technische Community – vertreten. Regierungen können über ICANNs „Beratenden Regierungssausschuss“ (GAC) ihre Stimme einbringen. Nach zehn Jahren hat ICANN genügend interne und externe Mechanismen die verhindern, das ICANN die neue Freiheit missbrauchen könnte. Da braucht es keine Regierungskontrolle mehr. Was anderes sind Themen, die nur indrekt mit den technischen Inernetressourcen aber viel mit öffentlichem Interesse zu tun haben wie Cyberkriminalität, eCommerce oder Schutz der Prtivatsphäre und Meinungsäußerungfreiheit im Netz. Da braucht man die Regierungen. Damit könnte man aber kundige Sherpas bei der G 20 beauftragen und muss nicht eine neue G12 gründen.

Das Gespräch führte Rüdiger Heimlich

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