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InterviewWar Schumann gar nicht geisteskrank?

Lesezeit 6 Minuten
Pascal Greggory als Robert Schumann mit Martina Gedeck als Clara Schumann in einer Szene des Films „Geliebte Clara“. (Bild: dpa)

Pascal Greggory als Robert Schumann mit Martina Gedeck als Clara Schumann in einer Szene des Films „Geliebte Clara“. (Bild: dpa)

Herr Peters, Sie haben jüngst zwei Bücher publiziert, in denen Sie die These von Schumanns finalem Wahnsinn widerlegen. Schumann, dessen 200. Geburtstag die Musikwelt in diesem Jahr begeht, war demnach nicht wahnsinnig, sondern man hat ihn aus Unkenntnis wie Böswilligkeit für wahnsinnig erklärt, um ihn in der Heilanstalt Endenich wegsperren zu können. Das ist geeignet, die etablierte Schumann-Forschung auf den Kopf zu stellen. Die scheint aber nicht bereit, Ihre Erkenntnisse zu diskutieren. In den aktuellen Veröffentlichungen zum Schumann-Jahr fällt Ihr Name nicht.

UWE HENRIK PETERS: Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Was ich schreibe, liegt natürlich so quer zum Bild, das man gemeinhin von Schumann hat, dass man da nicht so schnell ran will. Vielleicht ist der Mythos Schumann auf absehbare Zeit noch stärker als die Realität. Im übrigen: Alle haben sich auf das Schumann-Jahr lange vorbereitet und einschlägige Bücher und Würdigungen geschrieben. Das will man sich wohl nicht in letzter Minute noch kaputt machen lassen. Es dürfte aber in der Tat zum größten Teil überholt sein.

Es geht ja nicht nur um die Biografie, sondern auch um das künstlerische Werk, das man oft genug unter der Perspektive des bevorstehenden Wahnsinns-Ausbruchs gedeutet hat.

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PETERS: Ja, das betrifft besonders das Spätwerk, worin man ja immer wieder einen durch die Geisteskrankheit bedingten Substanzverlust wahrnehmen wollte. Vor allem natürlich bei den so genannten „Geister-Variationen“ für Klavier, die man gewiss nicht überschätzen muss. Aber es gibt da beispielsweise Aufnahmen, die sind so langsam, dass man beim Hören verrückt wird - wie aus dem Grab heraus. Ich bin bereits mit dem Kölner Pianisten Pavel Gililov im Benehmen, mit dem ich auch etwas in Dialogform zusammen machen werde - ein Hörbuch. Der sagt mir: „Ich spiele Schumann nach deinen Büchern ganz anders als vorher.“ Ich muss allerdings betonen: Ich bin nicht Musikwissenschaftler oder Musiker, sondern Psychiater, Psychotherapeut, Psychologe und Musikliebhaber. Mein Ansatz ist ein anderer.

Die disziplinäre Trennung zwischen Medizin und Geisteswissenschaft hat also die Schumann-Forschung behindert.

PETERS: Das ist richtig. Darauf bin ich selbst ja auch erst durch die Diskussion mit Gililov gekommen. Von allein hätte ich mich nicht an eine Uminterpretation des kompositorischen Werkes herangewagt. Aber es scheint so, dass insgesamt die „wahnsinnigen“ Züge von Schumanns Musik - etwa in den „Kreisleriana “ - nichts mit einer entsprechenden persönlichen Disposition zu tun haben, sondern Teil einer höchst bewussten und artifiziellen Selbstverfertigung und -stilisierung des Komponisten waren. Ganz auf der Linie, auf der die Romantik insgesamt Genie und Wahnsinn in eine enge Nachbarschaft rückte.

Noch einmal zu den Geister-Variationen: Sie sind also nicht in einer Phase beginnender Umnachtung komponiert?

PETERS: Nein. Die Variationen zum Thema hat er überhaupt erst komponiert, als er wieder gesund war. Schumann war Alkoholiker - davon ist in den Quellen immer wieder die Rede, wenn auch verdeckt und indirekt. Was man heute gemeinhin als die Ausbruchsphase der Geisteskrankheit im Februar 1854 bezeichnet, war - eine genaue Analyse der Symptome lässt gar keinen anderen Schluss zu - ein Delirium tremens, das zweifellos mit lebhaften akustischen und optischen Halluzinationen verbunden war - den angeblichen „Geisterstimmen“. Da er Musiker war, halluzinierte er vor allem Musik. Man nennt das Beschäftigungsdelir. Aber das war nach vier Tagen vorbei. Leider haben seine beiden Düsseldorfer Ärzte eine Fehldiagnose gestellt.

Nun wurde Schumann also für geisteskrank erklärt - und hatte keine Möglichkeit, aus diesem Käfig herauszukommen . . .

PETERS: Ja. Was konnte er denn selbst tun, um da herauszukommen? Es wurde in Endenich von ihm verlangt, dass er sich geistesgesund verhält. Das hat er auch getan. Ich bin ja überhaupt erst durch die Lektüre seiner überaus „vernünftigen“ Briefe aus Endenich misstrauisch geworden. Schumann hat dort übrigens auch weiter komponiert - das ist alles vernichtet worden. Aber dann hat man gesagt: Der macht das ja nur, um als gesund zu erscheinen. Was hätte er da noch tun sollen?

Was aber ist mit dem Selbstmordversuch vom 27. Februar 1854, dem Sprung in den Rhein - der ja der unmittelbare Anlass war, Schumann in die Heilanstalt nach Endenich zu bringen?

PETERS: Dieser 27. Februar ist vor allem der Tag, an welchem Clara mit ihren Kindern aus der ehelichen Wohnung auszog und sich für immer von ihrem Mann trennte. Der Sprung in den Rhein ist wohl eine Legende. Keiner, der darüber berichtet, ist selbst dabei gewesen. Als das Gerücht einmal in der Welt war, hat dann einer vom anderen abgeschrieben, ohne den Wahrheitsgehalt zu prüfen - bis heute.

Schumann ist an diesem Tag, das ist wohl richtig, in höchster Erregung aus seiner Wohnung in der Bilkerstraße nach draußen gelaufen. Warum? Sein Arzt, Dr. Hasenclever, war gekommen, hatte sich aber nicht zu ihm, sondern zu seiner Frau Clara begeben. Was ja an sich merkwürdig genug ist. Möglicherweise haben die beiden über eine notwendige Einlieferung Schumanns in eine psychiatrische Anstalt gesprochen. Das hat er durch die Wand mitbekommen, und da hat er dann in Panik die Flucht ergriffen. Zu beweisen ist das nicht, aber aus den glaubwürdigen Quellen heraus sehr gut möglich.

Das rückt Clara Schumann in ein neues und nicht sonderlich günstiges Licht.

PETERS: Nach Schumanns Absturz als Musikdirektor war Clara diese Ehe offensichtlich leid. Die dauernden und zusehends ungewollten Schwangerschaften behinderten sie in ihrer Pianistenkarriere.

Schumanns Alkoholismus konnte sie nicht öffentlich zugeben, weil sie dann ihrem Vater Friedrich Wieck Recht gegeben hätte, der ja - auch wegen des Alkoholproblems - immer gegen diese Verbindung gewesen war. Clara selbst hatte seinerzeit Roberts Verzicht auf Alkohol zur Bedingung für ihre Ehe gemacht. Schließlich war da die frische erotische Beziehung zum jungen Brahms. Schumann störte in mehrfacher Hinsicht - da ergriff sie eine „günstige“ Gelegenheit. Durch Endenich wurden ihre eigenen Lebens- und Berufsprobleme auf eine „unauffällige“ Art gelöst. Sie hat dann auch alle Versuche systematisch und hartnäckig hintertrieben, Schumann - der ja immer wieder verlangte: Ich will hier weg! - aus Endenich herauszuholen.

Kein Verständnis für Clara, immerhin die Frau auf dem Hundert-Mark-Schein?

PETERS: Als Psychiater bin ich mit moralischen Urteilen zurückhaltend. Aber es gab auf jeden Fall eine humanere Alternative: die Scheidung. Die wäre für Clara allerdings sehr viel schmerzhafter gewesen.

Wie kommt es, dass noch keiner vor Ihnen diese eigentlich nahe liegenden Überlegungen angestellt hat?

PETERS: Sie müssen eins sehen: Viele Quellen sind erst vor relativ kurzer Zeit zugänglich geworden - das Endenicher Krankentageblatt zum Beispiel. Als ich das gesehen habe, war meine Reaktion sofort: Aus dem, was mir da vorliegt, kann ich nicht schließen, dass Schumann an einer syphilitischen Hirnparalyse litt, also geisteskrank war.

Das Gespräch führte Markus Schwering

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