Jedes Bild ein Kuss

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Zur Hochzeit erhielt Dorothea Tanning 1946 das D-Painting "Les phases de la nuit" ("Die Phasen der Nacht"), das die surrealistische Traumempfindung thematisiert.

Zur Hochzeit erhielt Dorothea Tanning 1946 das D-Painting "Les phases de la nuit" ("Die Phasen der Nacht"), das die surrealistische Traumempfindung thematisiert.

Poetische Zeugnisse einer großen Liebe sind die 36 D-Paintings, die Max Ernst seiner Frau Dorothea Tanning in den 34 Jahren ihres gemeinsamen Lebens geschenkt hat.

Brühl - Es ist eine der romantischsten Liebesgeschichten des vergangenen Jahrhunderts: Max Ernst und Dorothea Tanning. Das kreative Künstlerpaar lebte bis zu Ernsts Tod 1976 zusammen und verbrachte 34 gemeinsame Jahre, von denen es dreißig Jahre lang verheiratet war. Schon eine Woche nach ihrer ersten Begegnung zog der 51-jährige Ernst zu der fast zwanzig Jahre jüngeren Künstlerin und blieb - für immer. Zu jedem Geburtstag schuf der Brühler für seine Dorothea eine künstlerische Liebeserklärung: Er malte, collagierte und zeichnete die 34 „D-Paintings“, die nun im neuen Max-Ernst-Museum einen konzentrierten Blick auf das Spätwerk des Künstlers erlauben. Ergänzt wird die poetische Reihe noch durch zwei weitere „D-Paintings“, die zu besonderen Anlässen entstanden: zur Hochzeit und zur Silberhochzeit. In jeder der Arbeiten ist ein „D“ versteckt.

Erst wenige Monate war Max Ernst 1942 mit der amerikanischen Sammlerin Peggy Guggenheim verheiratet, die ihm während des Zweiten Weltkriegs bei der Flucht in die USA geholfen hatte. Von ihr erhielt er im Dezember 1942 den Auftrag, eine Ausstellung mit Werken von 31 jungen amerikanischen Künstlerinnen zusammenzustellen. Einer der Atelierbesuche führte ihn auch zu der jungen Dorothea, doch nicht nur ihre Werke erregten seine Aufmerksamkeit, sondern auch die schöne Künstlerin selbst und ihr Schachbrett. Schon nach kurzer Zeit beginnen die beiden ein Schachspiel, setzen es am nächsten, auch am darauf folgenden Tag und den Rest der Woche fort. Dann, nach nur sieben Tagen, zog Max Ernst bei seiner neuen Liebe ein. In ihren Erinnerungen „Birthday“, benannt nach dem Bild, das Ernst als Erstes in ihrem Atelier entdeckt und gleich betitelt hatte, schreibt Dorothea Tanning: „Es war, als hätte er ein Haus gefunden. Ja, ich denke, ich war sein Haus. Er wohnte in mir; er schmückte mich aus; er wachte über mich. Von der einen zur anderen Stunde wurde meine kahle, hallende Etage gepackt wie ein Haufen Kisten, so dass, als das Schieben und Schleppen getan war, unsere Stimmen sich nahe blieben, wie sie es von Anfang an gewünscht hatten. Ich schaute zu im wohligen Zustand leichten Schwindelns.“ Und sie folgert: „Max war mein Weihnachtsgeschenk.“ Peggy Guggenheim hingegen konstatierte in ihren Lebenserinnerungen „Von Kunst besessen“: „.. und ich begriff, dass ich nur dreißig Frauen in meiner Ausstellung hätte zeigen sollen.“

Das Paar zieht 1946 nach Sedona in Arizona und baut dort ein Holzhaus, ein Jahr später wird es durch ein mit Maskenfriesen geschmücktes Steinhaus vergrößert - dort leben die beiden Künstler fast sieben Jahre lang. Am 24. Oktober 1946 heiraten Max Ernst und Dorothea Tanning in Beverly Hills, gleichzeitig gibt auch Man Ray seiner Freundin Juliet Browner in einer Doppelhochzeit das Jawort. „Na also. Gesagt, getan. Kurz und schmerzlos, gleich wieder zu vergessen.“, kommentiert Ernsts Braut in ihren Lebenserinnerungen. Auch Man Ray war dieses bürgerlich-bürokratische Ereignis scheinbar etwas suspekt, Tanning erinnert sich: „Man Ray fand es lustig: In der Absicht, zu heiraten, waren wir nach Hollywood gekommen, wo er wohnte. Hochzeit in Hollywood! Wir alle lachten darüber, aber am anderen Morgen sagte er: »Vielleicht gehen wir mit. Was Max kann, das kann ich auch.« Und fügte kläglich hinzu: »Obwohl ich etwas so Rechteckiges noch nie gemacht habe.«“

1953 kehrt das Ehepaar endgültig nach Frankreich zurück, zwei Monate lang leben sie vorübergehend in einer kleinen Atelierwohnung in Paris und ziehen dann in zwei bescheidene Mansardenzimmer, das Geld ist knapp. Nach der Biennale in Venedig 1954, bei der Max den Großen Preis für Malerei erhielt - Miró für Graphik und Hans Arp für Plastik - bessert sich die finanzielle Situation des Paares: „Geld. Eine ganz neue Annehmlichkeit nach dem Ereignis von Venedig. Es begann hereinzukommen, wie es so schön heißt, und Max gewöhnte sich schnell an, mit behaglich gebauschten Taschen herumzulaufen.“, erinnert sich Tanning in ihrer Autobiographie. Ab 1954 siedeln Max Ernst und Dorothea Tanning in das französische Touraine bei Huismes um und lassen sich 1970 in Seillans in einem von Tanning entworfenen Haus nieder, das mit einem Appartement in Paris zu Ernst Arbeitsstätte der letzten Lebensjahre wird. 1980, vier Jahre nach Max Ernsts Tod, kehrt Dorothea Tanning nach New York zurück, wo sie noch heute lebt und arbeitet.

Als Schatz gehütet

Bis zu ihrem neunzigsten Lebensjahr, bis zum Jahr 2000, hatte sich die amerikanische Malerin noch nie von den wertvollen „D-Paintings“ getrennt und sie als Schatz gehütet, sie hingen in den privaten Wohnungen des Paars und wurden bei allen Umzügen mitgenommen. Nur zwei der Arbeiten waren bis dahin jemals öffentlich zu sehen gewesen. Als eine versöhnliche Geste der Stadt Brühl gegenüber, die sich lange mit dem visionären Genie Max Ernst schwer getan hatte, durften die Arbeiten im Frühjahr 2000 im Brühler Max-Ernst-Kabinett in einer spannenden Ausstellung gezeigt werden.

Im Frühjahr dieses Jahres überraschte die nun 95-jährige Witwe Ernsts, einen ihrer Besucher mit dem Angebot, die Arbeiten zu verkaufen: Dr. Klaus Tiedecken von der Kreissparkasse Köln (KSK) wollte für sein Geldinstitut eigentlich „nur“ eine Option auf die „D-Paintings“ sichern. „Das ist ein riesengroßes Kompliment an uns, dass sie sich davon trennt.“, befand damals Hans-Peter Krämer, Vorstandsvorsitzender der KSK. Die Kreissparkasse erwarb das ungewöhnliche Konvolut und stellt es nun als Dauerleihgabe dem neuen Museum zur Verfügung, in es dem die faszinierende Liebesgeschichte der beiden Künstler erzählt.

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