KartoffelkriegRaubzug über bergische Felder

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Eine Aufnahme der Eisenbahn bei Brambach, 1936 fotografiert von Benninghoff. Auf dieser Strecke sind die gestohlenen Kartoffeln weggeschafft worden. (Bild: Sammlung Kowalski)

Eine Aufnahme der Eisenbahn bei Brambach, 1936 fotografiert von Benninghoff. Auf dieser Strecke sind die gestohlenen Kartoffeln weggeschafft worden. (Bild: Sammlung Kowalski)

Overath – Straßenschlachten mitten im beschaulichen Overath, Gewehrschüsse und Schreie: Dramatische Szenen müssen sich vor rund 88 Jahren in dem beschaulichen Ort an der Agger abgespielt haben. Plündernde und hungernde Kölner kämpften gegen bergische Bauern, die ihr Hab und Gut schützen wollten.

Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg herrschte in weiten Teilen Deutschlands Mangel. Besonders in den Städten gab es zu wenig Lebensmittel. Die Menschen versetzten Wertgegenstände, um zu überleben. Geld wollte kaum einer lange haben. Die galoppierende Inflation entwertete Papiergeld rasend schnell. Die Regale der Geschäfte blieben zu oft leer oder die Waren waren unerreichbar teuer.

Auch viele Kölner verkauften ihren letzten Schmuck für Nahrung. Einige versuchten auf anderen Wegen, an Lebensmittel zu gelangen. Ende 1923 kam es in Köln zu Plünderungen der hungernden Menschen. Wegen der Not unternahmen die Bewohner immer wieder „Hamsterfahrten“ mit der Eisenbahn ins Umland, wo die Kölner deswegen in dieser Zeit keine allzu gern gesehenen Gäste waren. Eine Gleisstrecke führte über Rösrath nach Overath. Dort lebten die Menschen zwar nicht in Saus und Braus, Felder und Wiesen sorgten aber für ausreichend Nahrung. „Große Gruppen von Hamsterern trafen ein, um die Felder dort und im Umland zu plündern“, schreibt Eberhard Dommer im Buch „Eine Bahn ins Bergische“ des Geschichtsvereins Rösrath.

Die Stimmung zwischen Städtern und Landbevölkerung war aufgeheizt. Im Oktober 1923 eskalierte der Streit. Die Bahnbehörde Köln hatte einen Sonderzug in Richtung Bergisches Land zusammengestellt. Der Landbevölkerung dräute, was auf sie zukommen würde. Deswegen versuchte sie, die Kölner am Verlassen des Overather Bahnhofsgebäudes zu hindern. Die Kölner durchbrachen die Kette der Bauern und stürmten in den Ort und das Umland. Am Ende des Tages blieben ein erschossener Kölner, ein erschlagener Bauer und zahlreiche Schwerverletzte zurück. Die Zeitung berichtete damals, dass „Tausende plündernd und raubend durch die Kartoffelfelder ziehen“.

Wenige Tage später kamen die Kölner erneut. „Am 27. Oktober hatte die Eisenbahn wieder tausende Menschen ins Aggertal gebracht, das Dorf Overath war vollständig belagert, der Bahnhof von Plünderern besetzt und der Bahnhofsvorsteher seiner Funktion enthoben“, schreibt Dommer. Ganz erfolglos waren die Kölner an diesem Tag nicht. Sie fuhren mit zehn Waggons geraubter Kartoffeln zurück in die Stadt.

Dorfwehr aufgestellt

Das wollten sich die Overather kein weiteres Mal bieten lassen. Sie stellten eine rund 1500 Mann starke Dorfwehr auf, die sich an den Ortseingängen postierte. Von der französischen Militärverwaltung konnten die Overather laut Dommer keine Hilfe erwarten. Die Franzosen förderten separatistische Bewegungen im Rheinland und wollten Overath mit der unterlassenen Hilfe unter Druck setzen.

Als die Kölner wieder mit dem Zug nach Overath fuhren, nahm das Unglück seinen Lauf. In den schweren Auseinandersetzungen drängten die Overather die Kölner in den Zug, der in Richtung Domstadt abdampfte. Ein Mensch starb. Den nächsten Zug ließen die Overather gar nicht mehr auf ihr Stadtgebiet. Sie empfingen ihn bereits am Honrather Bahnhof mit Gewehren im Anschlag. Ob dieses massiven Auftretens zogen sich die Kölner zurück. Daraufhin reagierte die Obrigkeit. Anfang November 1923 wurde der Zugverkehr nach Overath eingestellt. Die französischen Besatzer verlegten eine Kompanie Kolonialtruppen in den Lindenhof nach Overath. Der Kampf um Lebensmittel ging als Kartoffelkrieg in die Geschichte ein.

Die Geschichte des Kartoffelkrieges basiert auf dem Text von Eberhard Dommer im Buch „Eine Bahn ins Bergische“, ISBN 978-3-922413-61-5, des Geschichtsvereins Rösrath. In einem größeren Kontext hat Andreas Heider die Vorgänge in der „Achera Nr. 7“ (2001) des Overather Geschichtsvereins aufgearbeitet.

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