Kerpener HeimatblätterKerpen in der NS-Zeit

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Noch ein Grabstein auf dem Kerpener Friedhof erinnert an die Familie Roer. Repro: MEISEN

Noch ein Grabstein auf dem Kerpener Friedhof erinnert an die Familie Roer. Repro: MEISEN

Kerpen – Ausgerechnet den „größten Nazi“ der Stadt traf Fritz Roer als Ersten, als er nach Kriegsende nach Jahren der Verfolgung, die ihn bis nach Auschwitz geführt hatten, wieder zurück in seine Heimatstadt kam. „Zwei andere Leute, die dabei waren, haben mich zurückgehalten, dass ich den nicht geschlagen habe“, berichtet Roer, der 1920 als Jude in Kerpen geboren wurde. In der Januar-Ausgabe der „Kerpener Heimatblätter“ findet sich ein Interview, das Joseph Voss mit dem seit 1949 in den USA lebenden Roer geführt hatte und das von Susanne Harke-Schmidt bearbeitet worden ist.

Roer schildert darin, wie sich die Stimmung in Kerpen erst langsam nach der Machtergreifung gegen die dort lebenden Juden gewandelt hatte: Vorher habe es „keinen Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden“ gegeben. „Man ist zusammen in die Wirtschaft gegangen und hat Skat gespielt.“ Dann seien die Leute, besonders die, „die arbeitslos“ waren, „aufgehetzt“ worden. So erinnert er sich noch an einen Jungen, mit dem er Fußball gespielt habe. Später habe dieser ihn mit den Worten „Die Juden haben auf der Straße zu gehen“ vom Bürgersteig gewiesen. Doch selbst während der Reichspogromnacht 1938 seien einige Kerpener wohlgesonnen gewesen. So habe der Polizeichef die Familie vor den Ausschreitungen gewarnt, so dass Fritz Roer und sein älterer Bruder Hermann sich für ein paar Tage in Sicherheit bringen konnten. Am Anfang des Krieges musste die Familie ihr Haus an der Hahnenstraße räumen, weil dort die Kerpener Nationalsozialisten ein „Hauptquartier“ einrichten wollten. Sie wurde erst in Köln einquartiert, schließlich nach Lodz und dann nach Auschwitz deportiert. Fritz Roer überlebte als Einziger und kam nach Kriegsende nach Kerpen zurück, wo er von einer antifaschistisch eingestellten Familie aufgenommen wurde. 1949 schließlich wanderte er aus.

Ein weiterer Beitrag in dem Januarheft beschäftigt sich unter dem Motto „Gerichtsakten erzählen Geschichte“ mit dem Kerpener Schöffengericht. Dr. Maria Rößner-Richarz berichtet darin etwa über einen Prozess im Jahre 1676, in dem es um Entjungferung und Abtreibung ging: So soll der Pferdeknecht Johann Heintzen die erst 13 Jahre alte Tochter seines Herrn geschwängert haben. Um die Einnistung des Fötus zu verhindern, habe er ihr Kalmuswurzel, eine damals gängige Medizin, gereicht. Auch das März-Heft der „Heimatblätter“ ist schon auf dem Markt: Darin geht es unter anderem um den „Müddersheimer Mühlenstreit“, um die Namensbezeichnung „Tenk“ in Blatzheim und um den Lebensraum des Eisvogels in Kerpen.

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