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KeupstrasseGabriel spricht von Demütigung

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Das Politiker-Pilgern auf der Keupstraße geht weiter: Nach Gesine Lötzsch und Jürgen Roters besucht am Donnerstag auch SPD-Chef Sigmar Gabriel den Tatort des Nagelbombenattentats. Gabriel (r.) spricht mit Friseur Özcan Yildrim (Mitte) und einem Dolmetscher. (Bild: Arton Krasniqi)

Das Politiker-Pilgern auf der Keupstraße geht weiter: Nach Gesine Lötzsch und Jürgen Roters besucht am Donnerstag auch SPD-Chef Sigmar Gabriel den Tatort des Nagelbombenattentats. Gabriel (r.) spricht mit Friseur Özcan Yildrim (Mitte) und einem Dolmetscher. (Bild: Arton Krasniqi)

Köln – Bericht vom 18.11.2011

KÖLN - Die fünf Herren, die sich jeden Morgen im Kulturcafé auf der Keupstraße in Mülheim zum Kaffeetrinken treffen, bleiben am Donnerstagmorgen erst einmal draußen stehen und beobachten das hektische Treiben auf der anderen Straßenseite. Deutsche und türkische Kamerateams und Journalisten belagern einmal mehr den Eingang zu Özcan Yildrims Haarstudio, an diesem Tag sind es so viele, dass kein Kunde mehr durchkäme. Yildrim hat aber auch gar keinen Termin zum Haareschneiden vergeben, er sitzt hinten in seinem Salon und spricht mit dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel.

Vor dem Fenster klicken die Kameras, Kölns Bürgermeisterin Elfi-Scho-Antwerpes (SPD), Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs und Mustafa Kemal Basa, Generalkonsul der Türkei, müssen mit den Journalisten draußen frieren. Gabriel wird sich später dafür entschuldigen. Er wollte in Ruhe mit dem Mann sprechen, dessen Name und Gesicht mittlerweile für die Menschen der Keupstraße stehen. Deren Leben hat sich am 9. Juni 2004 verändert, als ein Rechtsradikaler eine Nagelbombe vor ihren Schaufenstern in die Luft jagte.

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„Man muss sich dafür schämen, dass damals ausschließlich in Richtung Milieustraftat ermittelt wurde“, sagt Gabriel. Die Ermittler zogen 2004 einiges in Betracht – auch einen Racheakt wegen nicht geleisteter Schutzzahlungen. Dafür entschuldigt Gabriel sich bei Yildrim. „Ich kann mir gut vorstellen, wie die Verhöre abgelaufen sind – das ist demütigend.“

Der Politiker zeigt sich „entsetzt über die rechtsextremistischen Anschläge“. Es sei eine unselige Tradition, immer Einzeltaten zu sehen. „Den Deutschen fällt es schwer, bei rechtsradikalen Taten einen Zusammenhang zu sehen.“ Auf die Frage, ob der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind sei, antwortet er: „Teilweise scheint das so zu sein.“ Nun müsse alles dafür getan werden, die Verwicklungen staatlicher Behörden aufzuklären.

Gabriel spricht von einem „rechtsradikalen Sumpf“, der nur in sozial entleerten Räumen entstehen könne. „Neonazis dringen in Kultur- und Jugendzentren ein, um die sich niemand kümmert.“ Er ist für ein Verbot der NPD. „Sie verbreiten menschenverachtende Propaganda, die mit Steuergeldern bezahlt wird.“

Gabriel nimmt auf seinem kurzen Spaziergang durch die Keupstraße auch zu dem regelrechten Polit-Tourismus Stellung, der sich in den vergangenen Tagen entwickelt hat. „Es ist peinlich genug, dass Politiker sich sieben Jahre nicht blicken lassen.“ Er selbst habe den Besuch spontan eingeschoben und sei eigentlich aus anderen Gründen in Köln. Die Geschäftsleute scheinen sich schon an die fürsorgliche Belagerung gewöhnt zu haben. Außer den fünf Herren vor dem Café ist an diesem Tag niemand mehr neugierig.

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