Klimafreundlich, vernetzt, verlässlichSo könnte die Verkehrswende in Köln gelingen

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Roland Keiffer, Friederike Bach, Ehepaar Kreß, Herbert Heyde (von links)

Köln – Es gibt so viele Perspektiven auf den Verkehr in Köln wie Menschen, die sich jeden Tag in ihm tummeln. Im Schnitt legen die Kölnerinnen und Kölner täglich fast 37 Kilometer zurück und benötigen dafür gut eineinhalb Stunden. Menschen aus dem Umland übertreffen diesen Wert deutlich. Viel Lebenszeit, für die es einen gewaltigen Unterschied macht, ob wir sie als stressig oder entspannend wahrnehmen, sinnvoll genutzt oder vertan.

Mehrheit wünscht sich Mobilitätswende

Dass die Menschen in der Region sich eine Mobilitätswende wünschen, hat auch eine aktuelle Umfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ gezeigt, an der sich mehr als 8000 Bürgerinnen und Bürger beteiligten. Zu schaffen sei das vor allem, wenn der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) endlich bevorzugt werde, glauben die meisten. Wenn Radfahren noch attraktiver würde und Autofahren ein bisschen weniger attraktiv.

Wer morgens mit dem Rad durch die Venloer Straße fährt, weiß, wie gefährlich das sein kann. Wer die RB 25 aus dem Bergischen nehmen muss, sollte bei wichtigen Terminen mindestens eine, besser zwei Bahnen früher nehmen. Wer aus Widdersdorf mit dem Auto zur Arbeit ins Umland fährt, muss zu den Stoßzeiten eine halbe Stunde mehr einplanen. Das nervt. Und es wundert schon seit Jahrzehnten Bürgerinnen wie Touristen oder Architekten, dass die Altstadt noch von Autos befahren wird. Das hübsche Stadtantlitz von diesen Straßen zerfurcht sieht aus wie ein Gesicht voller Narben.

Rad ersetzt Auto - der Trend setzt sich fort

Augenfällig ist seit einigen Jahren allerdings auch ein anderer Trend: Das Rad ersetzt das Auto. 40 Prozent mehr Radfahrerinnen als vor zehn Jahren werden an den Zählstellen im Stadtgebiet registriert, im Stadtteil Ehrenfeld gibt es längst mehr Rad- als Autofahrer. Auf den zentralen Achsen der Innenstadt sind viele neue Radspuren eingerichtet worden, Leihräder stehen an jeder Ecke, auf den Ringen wurde Tempo 30 eingeführt, 30 000 neue Stellplätze für Räder wurden seit 2007 geschaffen, die Zahl der Verkehrsunfälle ging deutlich zurück. Köln soll sich in den kommenden Jahren weiter zur Fahrradstadt entwickeln, was die Stadtverwaltung bei der Einweihung jeder neuen Radspur hervorhebt, Kritikerinnen aber viel zu lange dauert.

Wie bewerten die Kölnerinnen und Kölner ihre täglichen Wege zur Arbeit, ins Kino, zum Sport und zu Freunden? Was wünschen, was fordern sie von der Politik in Zeiten der Erderwärmung?

Forderung nach vernetzter Mobilität

„Wenn man eine Verkehrswende möchte, was angesichts des menschengemachten Klimawandels dringend notwendig ist, muss man als Stadt deutlich schneller sein“, sagt Roland Keiffer. „Es ist nicht so, dass die Stadt nichts getan hätte, um vom Fokus auf das Auto wegzukommen“, findet der 52 Jahre alte Coach und Unternehmensberater, der in Ehrenfeld lebt und lange als Berater für ein Solarenergieunternehmen gearbeitet hat. Aus seiner Sicht ist allerdings nicht konsequent genug gehandelt worden. Was das hieße? „Öffentliche Verkehrsmittel und das Rad attraktiver zu machen. Regeln, was zu regeln ist. Bauen, was zu bauen ist.“

Keiffer

Roland Keiffer geht am liebsten zu Fuß. Das entspannt ihn.

Ein Einbahnstraßensystem auf den Sternstraßen gehöre dazu. „Die Venloer könnte nur noch stadtauswärts für Autos befahrbar sein, die nächste Sternstraße dafür stadteinwärts.“ Dazu ein dichterer Bahntakt, Radstraßen, autofreie Viertel und Innenstadtgebiete. Die Subventionierung von elektrischen Lastenrädern hält Keiffer genauso wenig für grüne Ideologie wie eine Citymaut – „ein geringer Preis für die Fahrt in die City würde viele davon abhalten, Auto zu fahren“.

Mobilität per App vernetzen

Wichtig wäre es, „die Mobilität zu vernetzen, zum Beispiel mit einer App, mit der ich gleichzeitig Carsharing, ein Rad mieten und Bahn fahren kann“. Ein persönlicher CO2-Preis könnte helfen, dass „uns bewusster wird, was wir verbrauchen – und dass das auch teurer ist“.

Er selbst nehme noch immer manchmal das Auto, weil Busse und Bahnen bei wichtigen Terminen „einfach zu unzuverlässig“ seien. „Es wäre gut, wenn die Politik mir helfen würde, mir das Auto abzugewöhnen.“ Am liebsten geht Keiffer zu Fuß. „Wenn ich Zeit habe und die Strecke ist nicht länger als vier, fünf Kilometer finde ich das entspannend“, sagt er.

Die Idee der fahrradfreundlichen Stadt ist alt

Hubertus Oelmann kommt mit dem E-Bike zum Treffpunkt am Alter Markt, er nutzt es für jede Strecke in der Stadt. Der heute 80-jährige Ingenieur war zwischen 1985 und 2001 Kölner Verkehrsdezernent. In seine Zeit als Behördenchef fallen Planung und Bau zahlreicher Bahnstrecken, die Einführung des ersten Parkleitsystems einer Großstadt in Europa – und – was kaum noch jemand wisse: „Wir haben damals schon Konzepte für eine fahrradfreundliche Stadt entwickelt. Uns war klar, dass der Autoverkehr auf ein notwendiges Maß reduziert werden muss. Das ist immer wieder so formuliert worden.“

Ex-Dezernent für Tieferlegung der Nord-Süd-Fahrt

Einerseits bestätige es ihn ein bisschen, wenn er sehe, dass heute mehr denn je Fahrrad und öffentlicher Nahverkehr im Fokus stünden. Andererseits sei es leider weder in seiner Amtszeit noch in den 20 Jahren danach gelungen, „den Autoverkehr auf ein erträgliches Maß zu reduzieren“, sagt Oelmann. Am Ende seiner Amtszeit sei die Idee diskutiert worden, die Nord-Süd-Fahrt tiefer zu legen, um die menschenfeindliche Autoschneise durch die City zu beseitigen – „und die Innenstadt dadurch strahlen zu lassen“.

Damit, sagt Oelmann, hätte man „die größte Bausünde der Stadtgeschichte binnen zwei Jahren beseitigen können“. Wie andere große Pläne für die Innenstadt sei die tiefergelegte Nord-Süd-Fahrt nie umgesetzt worden. So wird der Neumarkt weiter beidseitig von Verkehr umtost, können Autofahrer weiterhin Parkhäuser in der Altstadt ansteuern - statt die Plätze den Menschen zurückzugeben.

Rückbau von Straßen notwendig

„Eine Stadt wie Köln mit ihrer enormen Strahlkraft für Touristen kann sich den Individualverkehr und die vielen Autostraßen auf Dauer nicht mehr leisten“, sagt Oelmann. „Um attraktiver zu werden, müssen Straßen, vor allem Verkehrsschneisen innerhalb der Ringe, nach und nach zurückgebaut werden.“ Allzu oft mündeten die Ideen in Kompromissen. „Der Handlungsdruck steigt allerdings enorm – auch durch den Fokus auf den Klimawandel“, sagt Oelmann. „Ich bin überzeugt davon, dass auch der Rückbau der Nord-Süd-Fahrt irgendwann kommen wird.“ Autofrei werde die Stadt innerhalb der Ringe freilich „eher in 50 Jahren als in 20 Jahren“.

E-Bike statt Auto

Der Weg von Rondorf zu Universität und Landgericht führt durch Felder und den Stadtwald, vorbei am Kalscheurer Weiher und einer Kleingartensiedlung, nur das letzte Stück geht durch viel befahrene Straßen. Inzwischen wundern sich Simone und Claus Kreß, dass sie früher täglich mit dem Auto gefahren sind. Seit knapp drei Jahren fahren sie – sofern das Wetter es zulässt – morgens um 8 Uhr zusammen mit dem E-Bike zur Arbeit; er zu seinem Institut für Strafrecht an der Universität, sie in ihr Büro an der Luxemburger Straße, Simone Kreß ist Vizepräsidentin des Landgerichts.

Am Dienstagmorgen fällt ihnen zwischen dem Weg, der an den Baggern für das gewaltige Rondorfer Neubaugebiet vorbei zum Stadtwald führt, schnell ein, was für Vorteile die Fahrt mit dem E-Bike hat. „Es ist gesund, man macht ein bisschen was für die Umwelt und spart auch noch Geld“, sagt er. „Wir fahren knapp 30 Minuten, mit dem Auto waren wir je nach Verkehr fast genauso lange unterwegs“, sagt sie. „Vor allem aber haben wir Zeit gewonnen, um uns zu unterhalten. Da wir beide lange arbeiten und oft erst am späten Abend nach Hause kommen, ist das immens wichtig.“

Vorbild Paris

Simone und Claus Kreß gehören nicht zu den Menschen, die über kaputte Straßen oder ewige Staus schimpfen. „Es geht in den vergangenen Jahren in Köln ja in die richtige Richtung: Mehr Radwege, mehr Tempo-30-Zonen. Eine Stadt wie Paris, die jetzt zumeist Tempo 30 vorschreibt, könnte auch für Köln ein Vorbild sein“, sagt Simone Kreß, die vor etwa 35 Jahren als „Au pair“ in Paris gelebt hat und verblüfft ist, „dass Menschen in der Metropole inzwischen gefahrlos Rad fahren können“. Eine Verkehrswende sei notwendig, um den Co2-Ausstoß zu reduzieren, pflichtet ihr Mann bei. „Dafür braucht es Anreize für die Menschen und schnellere Entscheidungen der Politik.“ Nicht jede und jeder könne auf Fahrrad oder E-Bike zurückgreifen.

„Die meisten Menschen können sich ein Haus in der Stadt auch als Doppelverdiener schon lange nicht mehr leisten“, sagt Simone Kreß. „Viele von ihnen brauchen das Auto, um zur Arbeit zu kommen.“ Am Zollstockgürtel verabschieden sich die beiden. Claus Kreß stellt sein E-Bike heute zum ersten Mal in der neuen Radstadion der Uni am Albertus-Magnus-Platz ab. Die bietet 1000 Stellplätze, eine eigene Werkstatt, einen Radverleih – und einige extra E-Bike-Plätze mit Stromanschluss.

Radfahren ist noch vielen Menschen zu gefährlich

Das Rad wird weiter an Bedeutung gewinnen, das Auto aber noch lange bleiben. Da ist sich Hubertus Oelmann mit vielen Städteplanerinnen und Verkehrsexperten einig. Herbert Heyde fährt dieser Tage aus Höhenberg mit dem Rad zur Arbeit am Heumarkt, wird aber bald wieder aufs Auto umsteigen. Mit dem Rad fährt er, weil die Tiefgarage seines Betriebes in den kommenden Monaten nicht nutzbar ist und er mit dem Rad schneller ist als mit der Bahn.

„Ich bin ein Fan der individuellen Mobilität“, sagt der 55-Jährige. Gegen Busse und Bahnen habe er „während der Corona-Pandemie einen starken Widerwillen entwickelt“, Rad fahre er grundsätzlich gern, auf die Dauer finde er es aber zu gefährlich. Erst vor ein paar Tagen sei er in einem Kreisverkehr von einem Autofahrer „fast überfahren worden, weil der Fahrer sich mit seinem Mobiltelefon beschäftigt hat statt mit dem Straßenverkehr. Solche Situationen sind leider nicht die Ausnahme“.

Verkehr_Heyde

Herbert Heyde bevorzugt das Auto. 

Viele Radwege seien in schlechtem Zustand, zu schmal oder mit Glasscherben bedeckt. „Auch wenn die Haltung nicht populär ist, oute ich mich als Autofan“, sagt Heyde. „Leider hat man als Autofahrer in Köln immer öfter das Gefühl, nicht erwünscht zu sein.“ Parkplätze rund um die Bahnhöfe seien in den vergangenen Jahren zurückgebaut worden; wenn er in der Innenstadt parken wolle, zahle er für 15 Minuten einen Euro – „so käme ich auf 16 Euro bis mittags, dann müsste ich umparken und zahlte nochmal das gleiche“.

Viele brauchen weiterhin das Auto

Kürzlich hat er einen Dauerstellplatz in einem Parkhaus in der Nähe des Heumarkts gefunden. Die 85 Euro pro Monat sind es ihm wert. „Die Stadt hat in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig in die Verkehrsinfrastruktur investiert", sagt Heyde. „Das gilt für Bahnen und Radwege, Autostraßen und Brücken.“ Eine Verkehrswende, glaubt er, könne nur gelingen, wenn es sicher sei, mit dem Rad zu fahren und man mit Bus und Bahn zuverlässig und schnell ans Ziel komme. „Solange das nicht gewährleistet ist, braucht es das Auto, egal ob mit Verbrennungsmotor oder Batterie. Und viel mehr kluge Möglichkeiten, E-Fahrzeuge aufzuladen.“

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Verkehrsexperte Oelmann glaubt, dass „über Elektroautos in 20 Jahren kaum noch jemand reden wird“. Die Batterien seien zu stark von seltenen Rohstoffen abhängig, die Herstellung zu energieintensiv. Er geht davon aus, dass „der Hype um Elektrofahrzeuge“ abgelöst werde von einem Innovationsschub für wasserstoffbetriebene Fahrzeuge, die ihrerseits momentan noch zu teuer seien – „weil sich der Markt stark auf E-Fahrzeuge konzentriert“. Das größte Potenzial für Städte wie Köln habe neben dem Fahrrad freilich ein besser ausgebauter Bahnverkehr – und eine Vernetzung aller Fortbewegungsmittel.

Klimawandel macht schnelles Handeln nötig

Friederike Bach fährt seit vielen Jahren mit der Linie 18 von Brühl aus zur Arnulfstraße. Von dort geht sie noch einige Minuten zur Uniklinik, wo sie als Ärztin arbeitet. Von der Haustür bis zum Krankenhaus brauche sie 30 Minuten, sagt die 60-Jährige, vor allem genieße sie die pro Strecke 17 Minuten, „um zu lesen, die Bahnfahrt ist die einzige Zeit des Tages, in der ich dazu komme“. Manchmal sei die Bahn unpünktlich, manchmal falle auch eine aus. „Eigentlich ist die Anbindung aber gut. Ich denke, wir sind in Deutschland auch ein bisschen verwöhnt.“

Verkehr_Friederike_Bach

Friederike Bach fährt seit 30 Jahren mit der Bahn zur Arbeit.

Wünschen würde Bach sich einen dichteren Bahntakt in den Abendstunden – und ein besser ausgebautes Radwegenetz. „Ich würde von Brühl aus viel öfter das Rad nehmen, wenn ich nicht einen Großteil der Strecke an Autostraßen entlangfahren müsste“, sagt sie. Dass mehr Radstreifen entstehen, sieht sie, wenn sie mit der Bahn durch die Stadt fährt. Allerdings verlagere sich der Verkehr höchstens langsam Richtung Rad und Bahn. Dabei bleibe vor dem Hintergrund der Klimakrise nicht mehr viel Zeit.

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