Köln am 30. JanuarMitten im Umsturz

Lesezeit 5 Minuten
Die "Machtergreifung" in Berlin – nachgestellt im Sommer 1933

Die "Machtergreifung" in Berlin – nachgestellt im Sommer 1933

Es war ein nasskalter Tag, die Temperaturen lagen um den Gefrierpunkt, seit Wochen litten die Kölner unter dem extrem kalten Wetter. Neun Tote hatte eine Grippewelle bereits gefordert, die die Kölner seit dem Jahreswechsel beunruhigte. Auch der 15-jährige Heinrich Böll lag, an einer schweren Grippe erkrankt, im Bett, im Haus Maternusstraße 32 in der Südstadt. „Ich las“, so erinnerte sich Böll später, „wahrscheinlich Jack London, es kann aber sein, dass ich gleichzeitig Trakl las. Der riesige Kachelofen im sogenannten Erkerzimmer brannte ausnahmsweise, und ich entnahm ihm Feuer für die - verbotene - Zigarette.“ Ein Mitschüler brachte ihm die Nachricht ans Krankenbett, Hitler sei zum Reichskanzler ernannt worden. „Das ist der Krieg“, berichtet Böll, soll seine Mutter gesagt haben: „Hitler - das bedeutet Krieg.“

Köln am 30. Januar 1933. Es ist ein Montag. In den Zeitungen ist die Grippe natürlich auch ein Thema: Ein Sechstel der 260 Mann starken städtischen Feuerwehr ist krank, berichtet der „Stadt-Anzeiger“ in seiner Morgenausgabe. Dabei habe die Feuerwehr gerade jetzt sehr viel Arbeit mit Krankentransporten, „innerhalb von 24 Stunden waren 120 Kranke zu befördern, eine Zahl, die bisher noch nie vorgekommen ist“. Im Sportteil wurde ausführlich über ein denkwürdiges Pokalspiel im Kölner Norden berichtet - der unterklassige Bickendorfer Klub Schwarz-Weiß Köln hatte vor annähernd 3000 Zuschauern die favorisierte Alemannia aus Aachen mit 3:2 nach Hause geschickt: „Ein vollauf verdienter Sieg“, so das Fazit des begeisterten Berichterstatters.

Was viele Kölner noch mehr bewegte: Es wurde wieder Karneval gefeiert - 1931 und 1932 waren die Rosenmontagszüge als Folge der Weltwirtschaftskrise ausgefallen. In dieser Session hatte sich ein Bürgerausschuss gebildet, der unter Mitwirkung von Oberbürgermeister Konrad Adenauer dafür gesorgt hatte, dass 1933 wieder ein Zoch stattfinden konnte; „Karneval wie einst“ sollte sein Motto lauten. Im Gürzenich feierte die „Große Karnevalsgesellschaft“ am Sonntag ihr 111. Jubelfest, Sitzungspräsident Michel Hollmann fand dabei herzliche Worte für Adenauer und dessen charmante Gattin, die die „Mutter Colonia“ verkörpere. Und auf dem Neumarkt hatte das Tanzkorps der Altstädter zugunsten der „Kölner Nothilfe“ ein „Sonntagsständchen“ veranstaltet - „in den musikalischen Rhythmus mischte sich das Klappern der Sammelbüchsen“ war im „Stadt-Anzeiger“ zu lesen.

Alles zum Thema Feuerwehr Köln

Obwohl in den Zeitungen schon am Wochenende kolportiert worden war, politische Kreise in der Reichshauptstadt hielten ein Kabinett Hitler / von Papen für „durchaus möglich“, kam die Nachricht aus Berlin überraschend - kurz nach 12 Uhr unterbrach der Rundfunk an diesem Montag sein Programm. Reichspräsident Paul von Hindenburg, so verkündete der Sprecher, habe den Führer der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler ernannt. Köln war keine Hochburg der Nazis, bei den Reichstagswahlen am 6. November 1932 war die NSDAP in Köln auf einen Stimmenanteil von 20,4 Prozent gekommen. Insofern hielt sich die Begeisterung der Kölner in Grenzen. Nur im „Braunen Haus“ in der Mozartstraße, dem lokalen Hauptquartier der Nazis, brach Jubel aus. „Wie ein Lauffeuer“, so schrieb das Parteiblatt „Westdeutscher Beobachter“ am nächsten Tag, „durchjagte die Meldung die Stadt. Ungläubige, der Überraschung nicht mächtig, wurden belehrt; Gegner, kaum zu sehen, schwiegen erdrückt von der Wucht des befürchteten Geschehens.“ Und sofort organisierte die Partei nach Berliner Vorbild eine pompöse „Siegesfeier“, die allerdings erst am 31. Januar in der Deutzer Messehalle stattfand. Gauleiter Josef Grohé versprach den angetretenen SS- und SA-Formationen, dass der „Führer“ die nun errungene Macht nie mehr aus den Händen geben werde.

In einigen Teilen der Stadt feierten die Nazis allerdings schon an jenem Montag. Max-Leo Schwering, Jahrgang 1924, früherer stellvertretender Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, erinnert sich, dass vor dem Haus des Bankiers von Schröder am Stadtwaldgürtel (in dem der denkwürdige Pakt zwischen Hitler und von Papen geschlossen worden war) einzelne Trupps der SA „einen Fackelzug durchführten, genau wie in Berlin“. Schwerings Vater, ein bekannter Zentrumspolitiker, sei darüber regelrecht entsetzt gewesen.

Und in der Abenddämmerung seien SA-Männer vor dem Haus in der Wiethasestraße aufgetaucht. „Warum hängt hier noch keine Hakenkreuzfahne?“ hätten sie gefragt. Die schwarz-rot-goldene Fahne, die neben dem Postkasten hing, fanden die Schwerings am nächsten Morgen heruntergerissen. „Braunsfeld war in der Tat ein braunes Viertel“, sagt Schwering heute. „Da wohnten sie alle, der Kreisleiter Schaller, der Gauleiter Grohé, der spätere Oberbürgermeister Schmidt.“

„Am 30. Januar saß ich abends einsam vor dem Lautsprecher“, so notierte Artur Joseph, ein Kölner Jude, Eigentümer mehrerer Schuhgeschäfte, „und als die misstönende Stimme Hitlers vom Primat der Politik schwelgte, glaubte ich, den Mantel der Geschichte rascheln zu hören.“ Joseph suchte noch am Abend seine Mutter auf, um mit ihr über den Verkauf der Geschäfte und den Gang in die Emigration zu reden. Die den Sohn aber ermahnte: „Wirf nicht vorschnell die Flinte ins Korn, deine Pflicht ist und bleibt im Geschäft.“ Erst 1938 emigrierte Joseph nach Palästina.

Die Mehrheit der Kölner sah in Hitlers „Machtergreifung“ indessen keine einschneidende Änderung der politischen Lage. In vielen Familien herrschte die Überzeugung, das werde - wie bei den Regierungen zuvor - nur ein paar Wochen dauern: „Dann ist er weg!“ Ein Trupp Kommunisten rief SA-Leuten, die sich abends auf dem Neumarkt versammelt hatten, dann auch geringschätzig zu: „Der Hitler - der kann uns am Arsch lecken!“ Auch in der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) unterschätzte man den Willen der Nazis, an der Macht zu bleiben. Hans Berger, später Botschafter der Bundesrepublik beim Vatikan, hat über seinen ersten Besuch im Kölner Kettelerhaus, der KAB-Zentrale, geschrieben: „Man erklärte mir, die Betrauung Hitlers mit dem Kanzleramt sei eine politische Notwendigkeit, um endlich die Nationalsozialisten zu entlarven. Innerhalb der nächsten sechs Monate würden sie an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten scheitern.“ Es sollte anders kommen.

Oberbürgermeister Konrad Adenauer konstatierte dagegen schon am 4. Februar in einem Brief an eine Freundin: „Wir sind mitten in einem regelrechten Umsturz - Recht und Verfassung gelten nichts mehr.“ Am Rosenmontag stand er noch als Stadtoberhaupt auf dem Balkon des Rathauses und sah sich den Zug an, zwei Wochen später, nach der Kommunalwahl, aus der die NSDAP mit einem Stimmenanteil von 39,6 Prozent als stärkste Partei hervorging, wurde er gestürzt: Am 13. März 1933 übernahmen die Nazis auch in Köln offiziell die Macht.

 www.ksta.de/1933

KStA abonnieren