Klartext von Kölner Pfleger„Sich am Gesundheitssystem zu bereichern, ist verwerflich“

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„Das ist doch erschreckend. Die werden verheizt“, sagt Dominik Stark über seine Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege, die ihre Ausbildung frühzeitig abbrechen.

Köln – Die Sätze sind hängengeblieben. „Im Artikel 1 des Grundgesetzes steht ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘“, sagte Alexander Jorde vor vier Jahren, als er Kanzlerin Angela Merkel in einer Wahlsendung traf. „Jetzt habe ich in einem Jahr im Krankenhaus und in Altenheimen erlebt, dass diese Würde tagtäglich in Deutschland tausendfach verletzt wird“, sagte er. Eine zufriedenstellende Antwort blieb die Kanzlerin schuldig.

Und seitdem? „Es hat sich in den letzten vier Jahren nicht viel getan“, sagt Dominik Stark. Er ist Intensivpfleger an der Kölner Uniklinik. Seit 2017 arbeitet er in diesem Beruf, den er liebt, wie er selbst sagt. Aber „Fortschritt gab es nur punktuell. Steine, die kurz ins Rollen kamen, sind wieder liegen geblieben.“ Es gibt neue Tarifverträge, an die sich nicht jeder Arbeitgeber hält. Eine Personaluntergrenze, die nicht so funktioniert wie versprochen, „weil da Menschen, die nicht am Bett arbeiten, eingerechnet werden“, sagt Stark: „Das Pfleger-Patienten-Verhältnis ist nicht eins zu zwei, es ist eher eins zu drei.“ Das gilt auch für Köln, wo in der Corona-Pandemie zwischenzeitlich jedes Intensivbett belegt war.

„Das ist doch erschreckend. Die werden verheizt“

In der Pandemie habe sich das Problem massiv verschärft, die Untergrenze wurde ausgesetzt „und ich war auch mal für vier Patienten verantwortlich – weil niemand anders da war, um sich zu kümmern“, sagt Stark. Zahlen, die sich bemerkbar machen: Bei Patienten und bei Pflegenden. „Es gibt Phasen, in denen man sich denkt: Wofür investiere ich das alles?“, sagt Stark. Er ist 30 Jahre alt, „ich bin relativ fit und kann viel kompensieren. Aber auch ich habe inzwischen nach mehreren Diensten Rückenprobleme. In der Pandemie hatte ich Tage, an denen ich komplett fertig war. Da musste ich sehr gut aufpassen, einen Ausgleich zu finden“.

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Weniger als zehn Jahre bleiben Pflegerinnen und Pfleger im Schnitt in ihrem Beruf. Viele hören nach kurzer Zeit auf, fast ein Drittel bricht schon die Ausbildung ab. „Das ist doch erschreckend. Die werden verheizt“, sagt Stark. Er selbst aber bereue die Entscheidung, in die Pflege zu gehen, „überhaupt nicht“. Sein Beruf sei sehr vielseitig, schon die Ausbildung fordernd, umso mehr seine Weiterbildung zum Fachpfleger für Intensivmedizin. Anatomie, Prophylaxe, Gesprächsführung, Stressresistenz. Ständig muss er Extremsituationen aushalten, ist für Angehörige im schwersten Moment so etwas wie der beste Freund. Während er selbst darum kämpft, Leben zu retten. „In der Pandemie wurde endlich mal sichtbar, was wir hier überhaupt machen. Essen reichen und Hintern abwischen, das ist nicht der Kern unserer Arbeit. Oft wird es aber so wahrgenommen und das macht mich traurig.“

„Alles, was dort erwirtschaftet wird, muss sofort wieder investiert werden“

Aber Sichtbarkeit ist nicht gleich Veränderung. „Seit Beginn der Pandemie hat sich nicht wirklich etwas verbessert, das muss man so festhalten. Einige haben den einmaligen Bonus bekommen. Vieles wurde versprochen, angekommen ist fast nichts.“ Im Wahlkampf, meint Stark, habe das Thema zu Beginn eine große Rolle gespielt. Jetzt sei das anders. Eine Wahlempfehlung will er nicht abgeben, aber „wenn man sich die Parteien anschaut, die im Bundestag sitzen, dann kann man schon fündig werden, wenn es darum geht, die Situation der Pflege zu verbessern“. Er habe ein Problem damit, wenn mit Gesundheit Geld verdient werde. „Wir sollten in den Kliniken durchaus ökonomisch denken, aber alles, was dort erwirtschaftet wird, muss sofort wieder reinvestiert werden. Dass sich Leute am Gesundheitssystem, also an kranken Menschen, bereichern, das finde ich moralisch verwerflich.“

Jens Spahn, sagt Dominik Stark, ruhe sich auf dem aus, was er in den letzten Jahren beschlossen habe. Und das sei nicht viel. „Er wirbt kaum mit Ideen für die kommenden Jahre. Das ist bitter“, sagt der Intensivpfleger. Er fordert, dass Politik die Strukturen verbessert. „Wir brauchen ein attraktives Grundgehalt für alle, auch für Altenpflege und ambulante Pflege. Der Altenpflege geht es ja noch viel schlechter als uns.“ Die Arbeit werde immer anstrengender, „der Trend wird bleiben, wenn man nichts tut“. Die Gesellschaft werde älter und kaum jemand wolle Pfleger werden, „Politik muss da gegensteuern. Jens Spahn sagt: Der Markt für Pflegekräfte ist leer. Das ist doch keine Antwort auf unser Problem“, sagt er.

Kölner Intensivpfleger nimmt auch seine Kollegen in die Pflicht

Die von den Grünen vorgeschlagene 35-Stunden-Woche „brauchen wir eigentlich“, sagt Stark, „das geht aber nicht, weil uns dann noch mehr Personal fehlt. Also brauchen wir vor allem Kampagnen für die Pflege, müssen auch selbst für den Beruf werben und Aussteiger zurückholen. Denn es ist ein wunderbarer Beruf.“ Er appelliert: „Setzt euch mit der Situation in der Pflege auseinander. Von mir aus auch egoistisch: Jede und jeder wird mit der Pflege in Kontakt kommen, entweder selbst oder als Angehöriger. Wenn das Personal nicht da ist, haben wir alle ein riesiges Problem. Und wir steuern immer weiter in diese Richtung.“

Aber Stark nimmt auch seine Kolleginnen und Kollegen in die Pflicht. Der Widerstand gegen die geplante Pflegekammer müsse aufgegeben werden, damit man eigene Interessen überhaupt gezielt kommunizieren könne. Und trotz der weiterhin schwierigen Lage „sollten wir uns viel mehr damit beschäftigen, was uns an unserem Beruf gefällt, mit den schönen Momenten. Die Untergangsstimmung in meiner Branche gefällt mir nicht“. Ob Dominik Stark selbst in zehn Jahren noch in der Pflege arbeiten wird? „Ja“, sagt er. „Aber ob ich dann noch auf einer Station arbeiten will? Keine Ahnung.“

Es wird wohl auch von der nächsten Bundesregierung abhängen. Vielleicht geht er in einigen Jahren ins Pflege-Management, sagt er. Es seien schnell große Fortschritte nötig. „Dafür braucht es nicht nur Druck aus der Pflege, sondern aus der Gesellschaft insgesamt. Ich fordere das alles nicht, weil ich Dämchen drehen und einen Kaffee mehr trinken will. Ich will meinen Patienten gerecht werden und nicht frustriert nach Hause gehen, weil das nicht geht.“

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