„Die dunklen Straßen von Köln“Neuer Köln-Krimi spielt im Obdachlosen-Milieu

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Köln-Krimi-Autorin Myriane Angelowski

Köln – Die Köln-Krimis von Myriane Angelowski (55) haben viele Fans. Sie bieten nicht nur Spannung, sondern auch einfühlsame Perspektiven auf Lebenssituationen von Menschen und auf ihre Heimatstadt, die sie immer durch intensive Stadtrecherchen gewinnt. In ihrem neuen, dem fünften Köln-Krimi „Die dunklen Straßen von Köln“ widmet sie sich dem Thema Armut in dieser Stadt.

Frau Angelowski, wenn man sich täglich mit Gewalt beschäftigt, verändert das auch die Art, wie sie selbst privat durch die Stadt gehen?

Das löst in der Tat etwas aus. Ich steige etwa bei abendlichen Bahnfahrten immer in den ersten Wagen ein. Direkt mit Kontakt zum KVB-Fahrer. Auch sonst achte ich darauf, dass ich im Dunkeln bestimmte Umwege gehe oder werde aufmerksam, wenn sich jemand aggressiv mit einem anderen unterhält. Ich spüre dann intuitiv, wenn sich Situationen zuspitzen.

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Zur Person

Myriane Angelowski ist neben ihrer Arbeit als Autorin im Bereich Skript-Coaching tätig. Sie leitet Krimi-Seminare und Schreibworkshops. Ihr neuester Kriminalroman „Die dunklen Straßen von Köln“ (Emons Verlag) ist ihr fünfter Fall.

www.angelowski.de

Was Sie von anderen Krimi-Autoren unterscheidet ist, dass sich in Ihrer Person Fantasie mit gelebter Erfahrung verbinden. Bevor Sie sich hauptberuflich der Schreiberei gewidmet haben, waren Sie Referentin für Gewaltfragen bei der Stadt Köln.

Mein Schwerpunkt war Gewalt gegen Kinder und Frauen. Meine Aufgabe war es in erster Linie, die Betroffenen in das Hilfsnetzwerk zu integrieren und Hilfsangebote zu machen. Davor habe ich während meines Studiums der Sozialarbeit hier in Köln auch viele Jahre wirklich an der Basis gearbeitet – schwerpunktmäßig mit Roma-Frauen. Das hat mich sehr geprägt.

Der fünfte Fall, den die beiden Kölner Kommissarinnen Maline Brass und Lou Vanheyden lösen, nimmt sich den Gesichtern der Armut in dieser Stadt an. Die Protagonistin, die alleinerziehende und von Obdachlosigkeit bedrohte junge Romy wird in eine spannende Mordserie reingezogen. Der Leser betrachtet Köln durch die Augen von Figuren am Rande der Gesellschaft. Wie ist die Idee entstanden?

Es ist ein Thema mit vielen Facetten und ich wollte selber in dieser Stadt meinen Blick darauf lenken. Es war das Gespür, dass es ein wichtiges aktuelles Thema ist. Nicht nur weil mir die gestiegene Zahl der Bettler auffällt. Kern meiner Arbeit ist es, mich sinnlich in die Milieus zu begeben, über die ich schreibe. Ich gehe ins Polizeipräsidium, in die Gefängniszelle und in die Rechtsmedizin. So habe ich es auch beim Thema Armut gemacht. Zur Recherche gehörten Interviews mit Kölner Alleinerziehenden und Hartz-IV-Beziehern. Aber eben auch die Erfahrung, selbst zu spüren, wie sich Armut in Köln anfühlt.

Wie haben Sie das gemacht?

Während der Dauer der Recherchen habe ich ausprobiert, von 30 Euro die Woche zu leben, beziehungsweise 4,30 Euro pro Tag.

Und?

Klar, das geht. Aber sie schaffen damit die minimale Grundversorgung. Mehr ist nicht drin. Ich habe mir angewöhnt, nicht mehr in Schaufenster reinzugucken. Auch mal einen Kaffee trinken mit Freunden ging nicht. Der schleichende Abschied von der gesellschaftlichen Teilhabe ist am schlimmsten: Wenn Freunde einen fragen, ob man mit ins Kino geht, sagt man nein. Beim zweiten Mal benutzt man eine Ausrede. So fängt der Rückzug an. Solche Aussagen wie die von Jens Spahn, dass wer Hartz IV beziehe, nicht arm sei, die beschämen mich. Mir wurde oft angeboten „Wir zahlen für dich.“ Aber das fühlt sich nicht gut an. Ich habe mich nach dem „Neinsagen“ oft gefragt, wie lange man wohl noch gefragt würde, wenn ich das Experiment verlängert hätte. Und wann diese Fragen dann verstummen würden...

Sie haben nicht nur „geharzt“, sondern sich auch in die Reihe der Kölner Flaschensammler eingereiht ...

Es ist schon ein erniedrigendes Gefühl, von oben in die Mülleimer mit der Metallabdeckung reinzugreifen –in Mayonnaise und kalte Pommes und darunter eine Flasche zu erfühlen. Am Anfang schaut man auch immer um sich rum, ob einen einer beobachtet, weil man sich schämt. Ich bin morgens um 5.30 Uhr los, damit mich nicht so viele sehen. Ich habe gemerkt, dass viele andere das auch tun. Wenn dann ein Passant vor den eigenen Augen die Pfandflasche im Mülleimer versenkt, statt sie einem zu geben, dann hat das etwas zutiefst Demütigendes. Und es macht einen großen Unterschied, ob man das nachvollziehen kann oder ob man es sinnlich spürt.

Haben die Recherchen Ihren Blick verändert?

Man schärft einfach die Wahrnehmung für verdeckte Armut in Köln. Wenn ich jetzt gegen Monatsende an der Supermarkt-Kasse stehe und eine alte Frau legt ein Paket Toast und Margarine aufs Band und gibt auf den Cent abgezähltes Geld ab, dann sehe ich in ein Gesicht der Armut, das mir vorher vielleicht gar nicht aufgefallen wäre. Oder wenn eine Frau mit Einkaufstrolley an der Ehrenstraße mich fragt, wie weit es zu Fuß bis zum Ebertplatz ist. Dann weiß ich, dass die mich das fragt, weil sie kein Geld für ein KVB-Ticket hat. Plötzlich sieht man die versteckte Armut dann überall.

Sie sind ja in vielen Städten der Republik unterwegs. Wie schätzen Sie Köln diesbezüglich ein?

Köln ist eine normale Großstadt. Mit vielen sozialen Problemen, aber mit einem hohen solidarischen Potenzial. Gerade deshalb wünsche ich mir mehr Möglichkeiten, sich hier niedrigschwellig solidarisch zu zeigen. So sollten einfach die Pfandringe rund um die öffentlichen Mülleimer, die es ja etwa in Ehrenfeld gibt, flächendeckend in Köln eingeführt werden. Dann kann jeder seine Pfandflasche so darauf abstellen, dass die Flaschensammler nicht mehr in den Tonnen rumwühlen müssen. Oder die grandiose Idee des Kaffees für Bedürftige. Diese aus Italien stammende Tradition, den Kaffee zweimal zu zahlen, aber nur einen zu trinken, und den anderen zu spenden für einen, der ihn sich nicht leisten kann, macht mittlerweile weltweit Karriere. In Hamburg gibt es ein Dutzend Cafés, die mitmachen. In Köln nur einzelne.

Ihr neuer Krimi spielt in sehr gegensätzlichen Veedeln: einerseits in Höhenberg und Kalk, andererseits in Lindenthal. Wonach suchen Sie die Orte des Geschehens aus?

Eine meiner Kommissarinnen lebt in Nippes – so wie ich. Aber ich finde wichtig, sich aus der eigenen Filterblase rauszubegeben. Das fängt schon mit einer KVB-Fahrt in Stadtteile an, die eine hohe Armutsrate haben. Oder wenn man in Höhenberg durch eine Hochhaussiedlung läuft. Dort sieht man Armut – und das beeindruckt. Ich kann nur empfehlen, mal auf diese Weise mit offenen Augen als Touristin in der eigenen Stadt unterwegs zu sein. Damit meine ich eben nicht Voyeurismus. Ich liebe es, durch meine Arbeit einen ganzheitlicheren Blick auf meine Heimatstadt zu bekommen.

Da verbindet sich die Sozialarbeiterin mit der Schriftstellerin. Fließen die Menschen, denen sie begegnen, in ihre Figuren ein?

Ja. So etwa meine Protagonistin Romy, aber auch ein Flaschensammler kommt vor. Die Kunst dabei ist, die Menschen in den Fokus zu rücken und sie dabei eben nicht zu stigmatisieren oder gar klischeehaft zu werden. Ich will nicht missionieren, sondern an allererster Stelle einen wirklich guten Krimi schreiben: subtil, sensibel, vielschichtig und vor allem spannend.

Woher kommt Ihre Leidenschaft für den Krimi?

Ich habe mich immer schon für Detektivgeschichten und Krimis begeistert. Schon als kleines Mädchen. Da habe ich alles verschlungen, was Spannung versprach: Egal ob „Fünf Freunde“ oder „Emil und die Detektive“. Irgendwann entstand dieser innere Drang zu schreiben. Wenn eine Geschichte nach und nach in meinem Kopf entsteht und ich mich morgens hinsetze und konzentriert stundenlang schreibe, sorgt das für ein riesiges Glücksgefühl.

Sie haben für die Autorentätigkeit Ihre sichere Stelle als Gewaltbeauftragte bei der Stadt Köln aufgegeben. Sicherheit gegen Freiheit und Leidenschaft?

Ja, im Grunde schon. Beides parallel ging irgendwann nicht mehr. Einige in meinem Freundeskreis haben mich damals vor diesem Risiko gewarnt. Aber für mich hat sich die Entscheidung richtig angefühlt: Ich hatte das Gefühl, ich muss die alte Tür zumachen, damit die neue wirklich aufgeht. Die Rechnung ist aufgegangen. Meine beiden Kommissarinnen werden weiter in Köln ermitteln.

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