„Die Fresse halten ist echt angenehm“Warum ein Kölner auf Schweigeseminare schwört

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Jan-Daniel Fischer besucht ein Schweigeseminar.

Jan-Daniel Fischer besucht ein Schweigeseminar.

  • Wie reagieren wildfremde Kölner – was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt?
  • Unsere Autorin hat in dieser Folge „Zwei Kaffee” Jan-Daniel Fischer getroffen, der mit seiner Frau ein fünftägiges Schweigeseminar besucht – schon zum zweiten Mal..
  • Warum macht man das? Und was erlebt man da?

Köln – Diesem Mann hätte ich eine Woche später nicht mehr – zumindest nicht in Köln – begegnen können. Und wenn, wären die Begleitumstände für meine Rubrik ziemlich hinderlich gewesen. Jan-Daniel Fischer, der mir an einem meiner Lieblings-Kaffeeplätze – „The Coffee Gang“ am Hohenstaufenring – Rede und Antwort steht, ist nämlich auf dem Absprung zu einem Ort, an dem nicht gesprochen wird: „einem Schweigeseminar im Schwarzwald.“

„Huuui, spannend! Wie lange denn?“ – „Wir sind fünf Tage dort, und an dreien wird geschwiegen.“„Was für eine Wohltat!“, sage ich. „Ja, man glaubt gar nicht, wie gut das tut“, erwidert der 63-jährige Kölner, der heute in der Nähe von Bergisch Gladbach auf dem Land wohnt. Er habe das schon einmal gemacht und erfahren: „Drei Tage Fresse halten ist echt angenehm.“

Begleitet von Yoga und Meditation

Wir lachen. Diesmal komme seine Frau mit. Das Ganze werde begleitet von Yoga und Meditation. „Dadurch hat man gar nicht den Drang zu reden“, sagt der ehemalige Straßenbauermeister. „Es ist ein Geschenk, wenn man es denn anzunehmen weiß.“ Nach 37 Jahren, die er in der Bauwirtschaft tätig war, gilt sein Engagement nun insbesondere dem Verein, den er vor vier Jahren mit anderen gegründet hat: die Mitglieder von „Einfach mehr vom Leben“ helfen zum Beispiel, den Alltag pflegebedürftiger Mitmenschen zu verbessern.

Fischer erzählt, dass sein heute 65 Jahre alter Bruder bereits im Alter von 20 Jahren an Multipler Sklerose erkrankte. Er kennt sich in Sachen Pflege daher bestens aus und sagt: „ Wir leben hier in einem Paradies, was die Versorgung anbetrifft. Das ist unglaublich toll.“ Er habe große Hochachtung davor, was der Staat für die Menschen tue, die keine eigene Verantwortung für ihr Leben übernehmen können. „Aber“, er macht eine Pause „es steht überall nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern das Geld.“

Fokus auf die Menschlichkeit

„Wenn die Menschen und ihre wirklichen Bedürfnisse im Mittelpunkt ständen, und die anderen Menschen, nämlich die, die die Arbeit tun, ehrlich zu sich selbst wären, könnte für alle Beteiligten eine Win-win-Situation entstehen“, betont mein Gegenüber. „Aber so lange der Fokus eher auf dem wirtschaftlichen Ergebnis liegt, als auf der Menschlichkeit, ist das Resultat für die, die dingend Hilfe benötigen immer geringer.“

Das, was er abgesehen von pflegerischer Unterstützung für seinen Bruder tut, ihn beispielsweise zur Art Cologne begleiten, oder in einen Club, damit er auch mal feiern kann, müsste überall möglich sein. Es gehe nicht darum, sich Qualifikationsnachweise an die Wand zu hängen, sondern es gehe bei allen Entscheidungen um ein Handeln gemäß der Devise: Erst Herz, dann Bauch, dann Kopf.

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„Ich weiß, dass die Welt anders funktioniert, und dass meine Wünsche etwas hoch gehangen sind. Aber glauben Sie mir, wir finden immer mehr Menschen, die das auch so machen. Gerade junge Leute, die das cool finden und die zunehmend merken, nur so läuft es hier rund.

Unsere Serie „Zwei Kaffee, bitte!“: Wie reagieren Menschen – was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt?

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