„Blanker Wahnsinn“Brüllaffe Chico aus dem Kölner Zoo hält einen Weltrekord

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Metusalem Chico und sein Pfleger Wolfgang Schmiedeberg

Köln – Das Fell glänzt, aber dünn und etwas eingefallen ist er. Chico tippelt langsam über den in zwei Metern Höhe angebrachten Ast. „Für umgerechnet 110 Menschenjahre ist das doch ein angemessenes Tempo“, sagt Wolfgang Schmiedeberg und hält dem Affen den Zeigefinger seiner linken Hand vors Gesicht. Eine Vitamin-Paste aus einer Tube. Die hat der Tierpfleger auf den Finger gequetscht, als er ins Gehege gekommen ist. „Die geben wir ihm, weil er so Phasen hat, in denen er kaum noch etwas isst.“

Gerade ist wohl so eine Phase. Chico, wohnhaft im Kleinen Südamerikahaus des Kölner Zoos, ist mit 35 Jahren der wohl mit weitem Abstand älteste lebende Rote Brüllaffe der Erde. „Normalerweise werden die höchstens 20 bis 22 Jahre alt“, sagt Schmiedeberg. „Es ist der blanke Wahnsinn, dass Chico immer noch bei uns ist.“

Klunkerkranich Erwin ist über 50 Jahre alt

In Zoos lebende Tiere werden „in der Regel älter als die Artgenossen in der Wildnis, da sie weniger Stress haben, besseres Futter und eine medizinische Versorgung erhalten sowie keinen Gefahren durch Fressfeinde unterliegen“, weiß der Zoologe Professor Thomas Ziegler. Zu den absoluten Oldies in Köln zähle auch Klunkerkranich Erwin, der über 50 ist und in freier Wildbahn wohl nur halb so alt geworden wäre – sich kürzlich aber trotzdem noch mit der vier Jahrzehnte jüngeren Elsa „verpartnert“ habe.

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Klunkerkranich Erwin aus Köln ist über 50 Jahre und wäre in freier Wildbahn wohl nur halb so alt geworden.

Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ meldeten NRW-Zoos die unterschiedlichsten Rekordhalter. Das – im Verhältnis zu ihren in Freiheit lebenden Artgenossen – ältestes Tier in Wuppertal ist Bonobo-Mann Mato. Er ist im Dezember 1963 in Frankfurt geboren und seit 1988 in Wuppertal. In Gelsenkirchen hält mit 51 Jahren die Eisbärin Antonia den Rekord, die in der Natur auch aufgrund des Klimawandels wohl nur 10 bis 15 Jahre alt geworden wäre.

Faultier Jan aus Krefeld steht im Guinness-Buch der Rekorde

Duisburg meldet Delfin Ivo mit über 40 Jahren (freie Wildbahn: 25 Jahre). Im Dortmunder Zoo hält Ameisenbär Sandra mit 26 Jahren den Altersrekord (10 bis 15 Jahre). Faultier Jan in Krefeld hat es mit seinen 51 Lenzen ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Das „Foto-Shooting“ habe mehrere Wochen in Anspruch genommen, weil Jan sich einfach nicht blicken ließ, berichtet die Zoo-Sprecherin.

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Faultier Jan aus dem Krefelder Zoo hat es ins Guinness Buch der Rekorde geschaftt.

Auch Chico ist ein Kandidat für das Guinness-Buch. Der Affe sei 1986 auf Teneriffa bei einem Strandfotografen von der Polizei beschlagnahmt worden, berichtet Schmiedeberg. Und dann 1988 über einen Bekannten von Willy Millowitsch nach Köln vermittelt worden. Da war Schmiedeberg schon da. Seit zwei Jahren ist der 67-Jährige in Rente. Eigentlich. Denn er hat den Zoo gebeten, noch arbeiten zu dürfen. Zwei Tage in der Woche kommt er jetzt, hauptsächlich um sich um Chico zu kümmern.

Spezialmassage für Chico

„Damit ich ihn noch etwas betüddeln kann“, sagt Schmiedebach. Wenn der Pfleger da ist, bekommt der Affe, der sich von niemandem sonst anfassen lasse, noch zweimal täglich seine Spezialmassage. „Da knete ich ihn richtig durch.“ Auch wenn das jetzt etwas merkwürdig klinge. „Ich habe ihm versprochen, so lange zu bleiben, wie er lebt.“

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Versprochen? Dem Affen? Klar, sagt Schmiedebach. „Das sind Zootiere, und die sollen auch nicht vermenschlicht werden.“ Aber der Chico, der von Anfang an seine Nähe gesucht habe, der sei ihm ans Herz gewachsen. „Ich habe mir den Affen nicht ausgesucht, er hat sich mich ausgesucht“, sagt Schmiedebach – und ist mit seinen Gefühlen keine Ausnahme.

Liebe des Menschen zu Tieren hat schon vor 40.000 Jahren begonnen

„Wir können zu Tieren eine ebenso intensive Bindung aufbauen wie zu Menschen“, weiß der Verhaltensbiologe Professor Kurt Kotrschal. Hunde etwa seien „unser soziales Alter Ego“: „Sie reagieren sehr gut auf unsere Bedürfnisse und haben ihrerseits nahezu identische Bedürfnisse. Das bedeutet: Mit ein wenig Herz und Hirn kann man zu einem Hund eine symmetrische, stabile und überaus bereichernde Partnerschaft aufbauen.“

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Der Duisburger Zoo meldet Delfin Ivo mit über 40 Jahren als ältestes Tier (freie Wildbahn: 25 Jahre).

Die „gemeinsame Beziehung“ reiche zurück bis zu den Jäger-und-Sammler-Vorfahren. „So wissen wir zum Beispiel, dass die nahe Beziehung zwischen Mensch und Wolf wohl schon vor 40.000 Jahren begonnen hat. Wahrscheinlich haben Menschen seit jeher mit Tieren zusammengelebt, ohne sie unbedingt essen zu wollen. Einen Anhaltspunkt bieten die letzten heute noch existierenden Jäger-und-Sammler-Kulturen, etwa im Amazonasgebiet. Dort nehmen die Menschen die Jungen von erlegten Muttertieren bei sich auf. Sie schießen zum Beispiel einen weiblichen Klammeraffen und ziehen das Affenbaby groß.“

Besucher leeren Taschen für den Brüllaffen aus

Chico sei nie krank gewesen, sagt Wolfgang Schmiedeberg. „Er hat nur einen steifen Finger.“ Und er habe nie Langeweile gehabt. „Er war immer vergesellschaftet, hat mit Artgenossen und Kapuzineraffen zusammen gelebt.“ Da sei Leben in der Bude gewesen. Von seinem Lieblingsplatz am Fenster vor der Heizung beobachte Chico oft, wie die Besucher für ihn ihre Taschen ausleeren.

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Das älteste Tier im Wuppertaler Zoo ist Bonobo-Mann Mato, der 1963 in Frankfurt geboren ist.

„Manche kommen jeden Tag“, erzählt Schmiedebach. Und der Affe liege dann wie ein Filmstar am Fenster und gucke sich das Spektakel an. „Aber das braucht er auch, Abwechslung, als intelligentes Tier.“

Nach seinem Tod soll Chico ausgestopft ins Museum kommen

Mit sieben Weibchen habe Chico mindestens zehn Kinder gezeugt. „Viele davon hat er bereits überlebt.“ Weil der Affe jetzt nur noch drei Zähne und einen nachlassenden Geschmackssinn habe, werde jeden Morgen Gemüse für ihn gekocht. „Und wir lassen uns ständig was Neues einfallen, um ihn zu überraschen.“ Zermatschter Zwieback mit Milch beispielsweise oder weiches Brot mit Erdnussbutter drauf. „Wenn ich ihm die Kreationen dann stolz bringe, lässt er sie meist dreimal fallen, bevor er sie dann endlich isst.“

Schwämme leben 11.000 Jahre

Schätzungen zur Lebensspanne von Schwämmen unterscheiden sich stark, aber bewegen sich oft im Bereich tausender Jahre. Laut einer Studie in der Fachzeitschrift „Aging Research Reviews“ wurde ein Tiefseeschwamm der Art „Monorhaphis chuni“ 11.000 Jahre alt. Einige Tiefseefische wie der Kaiserbarsch können laut dem Buch „Sexuality in Fishes“ 175 Jahre alt werden. Was Säugetiere angeht, scheinen Grönlandwale am längsten zu leben – über 200 Jahre.

In freier Wildbahn wäre der Affe schon seit zehn Jahren tot, glaubt Schmiedeberg, der Chico eigentlich beerdigen wollte. „Da er jetzt aber ein Weltrekordler ist, kommt er wahrscheinlich ins Museum König.“ In das „Zoologische Forschungsmuseum“ nach Bonn, ausgestopft. „Unsere Berggorillas sind auch schon da.“ Da könne er Chico dann besuchen. „Das wäre ein wenig makaber“, sagt Schmiedeberg und lächelt: „Vielleicht erkennt er mich und dann leuchten die Augen.“

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