„Es wird anstrengend mit mir“Christiane Jäger ist erste Frau an der Kölner SPD-Spitze

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Radikal verjüngt und deutlich weiblicher: In den geschäftsführenden Vorstand wurden Sebastian Bucher (v.l.), Kathi Letzelter, Fabian Stangier, Christiane Jäger, Susanna dos Santos und Sarah van Dawen-Agreiter gewählt.

Radikal verjüngt und deutlich weiblicher: In den geschäftsführenden Vorstand wurden Sebastian Bucher (v.l.), Kathi Letzelter, Fabian Stangier, Christiane Jäger, Susanna dos Santos und Sarah van Dawen-Agreiter gewählt.

Köln – Wenn sie in den Saal schaue, ahne sie, dass es anstrengend wird. „Es wird aber auch anstrengend für Euch mit mir. Wenn Ihr das möchtet, gebt mir Eure Stimme.“ Am Ende einer langen, sehr bemerkenswerten Rede war klar, dass Christiane Jäger eine große Mehrheit der Delegierten des SPD-Parteitags in Chorweiler überzeugt hatte.

Ein anderer Typus

Das war nicht die Rede einer auch innerparteilich bis dahin weitgehend unbekannten Kompromisskandidaten, die aus dem Hut gezaubert worden war, um der Kölner SPD eine schmerzhafte Zerreißprobe zu ersparen. Die 55-jährige Diplomkauffrau im Dienste der Stadtverwaltung hatte selbstbewusst, völlig unaufgeregt, sehr klar und mit trockenem Humor ihr eigenes Programm und die Zukunftsperspektiven ihrer Partei beschrieben, der sie erst seit sieben Jahren angehört.

Christiane Jäger nach ihrer Wahl zur neuen SPD-Chefin

Christiane Jäger nach ihrer Wahl zur neuen SPD-Chefin

Gerade zwischen den lauten und polternden Reden des scheidenden Parteichefs Jochen Ott und des für Europa werbenden Ex-Kanzlerkandidaten Martin Schulz wurde deutlich, dass hier ein ganz anderer Typus zur Wahl stand. Jäger muss nicht laut werden, damit man ihr zuhört. Sie muss nicht die ganz großen Keulen herausholen, um die zur Zeit leidgeprüfte, arg geplagte sozialdemokratische Parteiseele zu erreichen. „Wir können vieles schaffen, auch wenn die Zeiten schwierig sind.“ 85 Prozent der Parteitagsdelegierten gaben der gebürtigen Gelsenkirchenerin, die seit 1983 in Köln lebt, ihre Stimme – ein Top-Ergebnis für eine, die viele im Saal noch nie sprechen gehört hatten. Ihr Vorgänger Jochen Ott fuhr schon deutlich schlechtere Ergebnisse ein.

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Es geht nicht ohne Konflikte mit OB Reker

Jäger arbeitet im Amt für Stadtentwicklung, ihre Chefin ist folglich Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die Frage, wie sie als SPD-Vorsitzende Position gegenüber der Oberbürgermeisterin und dem diese tragenden Ratsbündnis bezieht, ohne Loyalitätspflichten zu vernachlässigen, ist nicht ohne Brisanz. In ihrer Rede gab Jäger einen Vorgeschmack: „Kraftvoll und klar“ wolle sie sich engagieren. Dazu habe sie „jedes Recht“. Sie wisse, dass sie dabei nun „unter unglaublicher Beobachtung“ stehe. Ihren Beruf werde sie nicht riskieren. Den Mund werde sie sich jedoch nicht verbieten lassen. Man werde die nächste Kommunalwahl nicht mit Beschimpfungen der OB gewinnen können, „sondern mit klaren Konzepten, Lösungen und glaubwürdigen Kandidaten“.

Dass dies nicht ohne Konflikte mit der OB geht, ist klar: Jäger deutete an, dass die Stadtverwaltung zurzeit in keinem guten Zustand sei. Sie positionierte sich gegen Rekers Klinik-Fusionspläne, kritisierte die Wohnungspolitik der Stadt, forderte, dass keine städtischen Flächen mehr an private Wohnungsbauer verkauft werden sollen und zählt Erfolge der SPD auf, die gegen heftigen Gegenwind durchgesetzt worden seien. Jäger wirbt für die sozial gemischte Stadt, für den Zusammenhalt im Veedel. „Ich will mit Euch die Stadt des Zusammenhalts gestalten.“

Neue Strategien gefordert

Für die eigene Partei fordert sie neue Strategien und eine andere Öffentlichkeitsarbeit. Die SPD würde sich mit ihren vielen Arbeitskreisen und Gremien verzetteln. „Stellt Euch mal vor, wir würden uns alle gleichzeitig mit einem Thema beschäftigen und dann die vielfältigen Blickwinkel bündeln.“ So entstehe „innere Kraft“, die dann nach außen wirke. „Dann kommt man an uns nicht mehr vorbei.“

Das klingt einfach. Doch wie weit die SPD davon entfernt ist, konnte man auf dem Parteitag bestaunen, auf dem 80 völlig verschiedene Anträge verhandelt wurden. Da liegt nicht nur ein dickes, von Experten wie Ex-Finanzminister Norbert Walter-Borjans ausgearbeitetes Papier zur Steuerpolitik vor. Die Ortsvereine und Gremien im Kölner SPD-Bezirk fühlen sich für vieles verantwortlich, schreiben Anträge und verlangen gleichermaßen Aufmerksamkeit: Migration, Europa, digitale Arbeitswelt, die Stärkung des „sozialen Medizinstudiums“, Postanschriften für Obdachlose, Sexismus, Kohleausstieg, Cannabis-Legalisierung, Rüstungskontrolle, ein einheitliches Flaschenpfand, Verbot von Mikroplastik in Kosmetik, Raststätten für Lkw-Fahrer – das alles und viel mehr ist Thema.

SPD noch auf der Suche nach neuem Zugpferd

Jäger warb dafür, sich nicht zu verzetteln. Wie das in der Praxis gelingen soll, blieb vage. Klar ist nur, dass sich etwas ändern wird, weil bis auf die Landtagsabgeordnete Susanna dos Santos kein Berufspolitiker mehr im neuen Parteivorstand sitzt. Ohne eine Änderung der Arbeitsweisen wird das Pensum für Ehrenamtliche nicht zu schaffen sein.

Und noch etwas blieb völlig offen: Der Versuch aller Kandidaten, in ihren Vorstellungsreden Siegesstimmung für die nächste Kommunalwahl zu verbreiten, blieb wenig überzeugend, weil noch keiner weiß, wer denn das Zugpferd sein soll. Ein OB-Kandidat vom Kaliber der Bundesjustizministerin Katarina Barley ist nicht in Sicht. Die in Köln aufgewachsene SPD-Politikerin sei eine echte Option gewesen, war zu erfahren. Doch mit der Nominierung von Barley als Spitzenkandidatin für die Europawahl sei der Plan hinfällig geworden. Wie es heißt, suchen die Verantwortlichen in der SPD ein prominentes Parteimitglied, das nicht mit dem Kölner Polit-Alltag verwoben ist.

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