„Furche durch das Gesicht der Stadt“Hier sollte in Köln einst eine Autobahn entstehen

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An der U-Bahn-Station Lohsestraße ist die Neusser Straße als ungewöhnlich breite Brücke über einer künstlichen Mulde ausgebaut worden. Hier sollte einst die Stadtautobahn entstehen.

An der U-Bahn-Station Lohsestraße ist die Neusser Straße als ungewöhnlich breite Brücke über einer künstlichen Mulde ausgebaut worden. Hier sollte einst die Stadtautobahn entstehen.

  • Die Kölner Verwaltungsspitze war lange Zeit dazu bereit, einen Großteil des Inneren Grüngürtels zu opfern – für eine neue Stadtautobahn.
  • Denn nach dem zweiten Weltkrieg sollte sich jegliche Stadtplanung dem Auto als Fortbewegungsmittel der Zukunft unterordnen.
  • Zwar wurde das Millionen-Projekt nie realisiert. Doch noch heute zeugen die Brücke und die Mulde an der Lohsestraße von jenen Plänen. Die Hintergründe.
  • Dieser Text erschien erstmals im Juli 2020 auf ksta.de

Köln – Auf einem Stadtplan von 1980 ist das Projekt, das in der Rückschau wohl nur als verrückt gelten kann, noch als Vorhaben eingezeichnet. Diplom-Geograf und Historiker Alexander Hess hat die Karte mit zur U-Bahn-Station Lohsestraße gebracht, wo die jahrelangen Diskussionen über eine Großinvestition in die „autogerechte Stadt“ ganz konkrete Spuren hinterlassen haben.

Zwischen den weit auseinander liegenden Zugängen zur U-Bahn-Station ist die Neusser Straße als ungewöhnlich breite Brücke über einer künstlichen Mulde im Inneren Grüngürtel ausgebaut worden. Heute nutzen die Besucher des Grüngürtels die landschaftliche Kerbe als praktische Unterquerung der Neusser Straße. Als 1974 U-Bahn-Station und Brücke gleichzeitig fertig wurden, dachten die Planer jedoch keineswegs an den Komfort der Ausflügler: Das Bauwerk war im Vorgriff auf die Kölner „Stadtautobahn“ entstanden, die hier entlangführen sollte.

Verwaltungsspitze wollte Großteil von innerem Grüngürtel opfern

Dafür war die Verwaltungsspitze lange bereit, einen Großteil des Inneren Grüngürtels zu opfern. Das kreuzungsfreie Straßenband, auch „Sammeltangente“ genannt, sollte von Raderberg im Süden bis Niehl im Norden größtenteils durch den städtischen Park verlaufen – als zweiter Autobahnring rund um die Innenstadt. Oder, wie es Andreas Hupke, Bezirksbürgermeister der Innenstadt, formuliert: „Das wäre neben der Nord-Süd-Fahrt die zweite Furche im Gesicht der Innenstadt geworden.“

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„In der Wiederaufbauzeit war das Leitbild die autogerechte Stadt“, erklärt Alexander Hess. Jegliche Stadtplanung sollte sich dem Auto als Fortbewegungsmittel der Zukunft und Statussymbol der aufstrebenden Nachkriegs-Gesellschaft unterordnen. Straßenbahnen, Fußgänger und Autofahrer sollten sich nicht ins Gehege kommen, wobei dem motorisierten Individualverkehr stets Vorrang einzuräumen sei. 

Auf dieser Grundlage war in der Innenstadt in den 1960er Jahren die Nord-Süd-Fahrt entstanden. Auch die ersten Kölner U-Bahn-Strecken seien nicht etwa gebaut worden, um Fahrtzeiten zu reduzieren, so Alexander Hess: „Man hat gedacht, die Straßenbahn behindert den Straßenverkehr.“

Autos verstopften nach dem zweiten Weltkrieg die Stadt

Immer mehr Autos verstopften nach dem Krieg die Stadt. Als Gegenmittel brachte die Verwaltung die Stadtautobahn ins Gespräch, die erstmals 1956 im Generalverkehrsplan für Köln auftauchte. „Die im großen Bogen durch die Stadt und um den Ortskern schwingende Stadtautobahn befreit die City und die Vorort-Hauptstraßen vom Durchgangsverkehr“, hieß es auch Ende der 1960er Jahre noch optimistisch in der „Kölner Bürger Illustrierten“.

Im Süden sollte die Autobahn in Raderthal und Raderberg den Grünzug Süd bis zum Volksgarten tangieren, bis zum Gleisdreieck Nippes waren dann zwei Varianten im Gespräch: eine Trasse am äußeren Rand des Inneren Grüngürtels, die identisch mit der Inneren Kanalstraße gewesen wäre und eine Trasse am inneren Rand des Grüngürtels parallel zum Bahndamm.

Für die Autobahn wäre eine Rheinbrücke in Köln gebaut worden

Das Stück vom Gleisdreieck bis zur Zoobrücke sollte etwas weiter nördlich der Inneren Kanalstraße verlaufen und über die Zoobrücke und den Autobahnzubringer schließlich die Verbindung zur A 3 und A 4 schaffen. Im Süden sollte nicht nur der Anschluss zur A 555 Richtung Bonn gelingen, sondern auch zur Autobahn nach Frankfurt. Dazu wäre sogar eine neue Rheinbrücke gebaut worden. Die Gesamtkosten der 16,4 Kilometer langen Straße wurden 1969 auf 400 Millionen D-Mark taxiert.

Zu den Befürwortern gehörte ausgerechnet Oberstadtdirektor Max Adenauer, Sohn des einstigen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer, dem die Entstehung des Inneren Grüngürtels nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich zu verdanken war. „Das Paradoxe ist, dass Max Adenauer das Werk seines Vaters dem neuen Leitbild der autogerechten Stadt opfern wollte“, so Alexander Hess.

Stadtautobahn hätte Köln einschneidend verändert

Wie einschneidend die Stadtautobahn Köln verändert hätte, zeigt eine konkretisierte Planung aus dem Jahr 1962, als das Projekt mit großer Begeisterung vom Rat beschlossen wurde. Danach sollte es Anschlussstellen in Höhe der Aachener Straße, der Subbelrather Straße, der Luxemburger Straße und zur A 57 geben. Hinzu kam ein Autobahndreieck am Vorgebirgspark. Andreas Hupke schloss sich in den 1970er Jahren der Bürgergemeinschaft Rathenauplatz an, die sich gegen die Sammeltangente stemmte, weil sie wohl auch das Studenten-Quartier auf den Kopf gestellt hätte.

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„Der Aachener Weiher wäre kaputt gewesen, die Autobahn hätte auch hier in das Viertel reingehauen“, sagt Hupke, der noch heute am Rathenauplatz wohnt. Anfangs war die Euphorie für die Stadtautobahn groß, immer wieder wurde bei Bauprojekten auf die künftige Groß-Erschließung Rücksicht genommen. Mehrere Eisenbahngleise über der Inneren Kanalstraße wurden so dimensioniert, dass eine Autobahn unter ihnen herführen könnte. Ein Teil eines künftigen Dreiecks von Stadtautobahn und A 57 existiert an der Herkulesstraße noch immer als Autobahn-Auffahrt.

Entscheidung für das Millionen-Projekt blieb aus

Doch eine Entscheidung für das Millionen-Projekt blieb aus. Mit der Zeit wuchs die Zahl der Skeptiker, in den 1970er Jahren liefen immer mehr Köln gegen die Zubetonierung des Grüngürtels Sturm. Auch Grünen-Politiker Hupke konnte nicht fassen, dass „dieses wunderbare Stückchen Erde dem Autoverkehr geopfert werden sollte“.

Als für die Autobahn-Vorbereitungen an der Neusser Straße Schrebergärten wegfallen sollten, gesellte sich der Jura-Student zu einer bunten Schar von Protestlern, die die Gärten unter Federführung der „Nippeser Baggerwehr“ besetzt hielten. „Das waren die Graswurzeln der Öko-Bewegung“, sagt Hupke im Rückblick: „Das war unser kleiner Hambacher Forst.“ Erst durch diesen friedlichen Protest sei er politisiert worden.

Obwohl die Demonstranten von der Polizei unsanft vertrieben und die Schrebergärten planiert wurden: Die Stadtautobahn hatte danach keine Chance mehr. „Der Protest ging immer weiter“, so Andreas Hupke. Der Zeitgeist hatte sich gedreht, das Auto als goldenes Kalb hatte ausgedient. Die Zoobrücke und ihre Weiterführung an das Autobahnkreuz Köln-Ost waren in den 1960er und 1970er Jahren als Teil des Stadtautobahn-Projekts noch fertiggeworden. Der Grüngürtel blieb jedoch verschont. „In den 1980er Jahren wurden die Pläne zu den Akten gelegt“, sagt Alexander Hess. Unterhalb der Neusser Straße entstand anstelle einer Autobahn ein kleiner Fuß- und Radweg.

Dieser Text erschien erstmals am 17. Juli 2020 auf ksta.de

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