„Geht einfach nicht”Verwaltungsgericht Köln stoppt Abschiebung von Algerier

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Marianna Arndt Hassan Hasani GRÖNERT

Marianne Arndt im Beratungsgespräch

Köln – Die Stadt gerät erneut wegen einer geplanten Abschiebung in die Kritik von Flüchtlingsexperten. Wie der Verein Mosaik, der sich um geflüchtete Menschen kümmert, am Mittwochvormittag mitteilte, sei Hocin Ogaci am Mittwochmorgen von der Ausländerbehörde festgenommen worden, er soll zeitnah ausgewiesen werden. Völlig unverständlich für den Verein, weil der 59-jährige Algerier Ogaci seit etwa 30 Jahren in Köln lebe. „Das geht einfach nicht“, sagte Marianne Arndt vom Verein Mosaik.

Das Verwaltungsgericht Köln hat die Abschiebung vorerst gestoppt. Grund sei, dass es im handwerkliche Fehler der Stadt in der Abschiebeanordnung gegeben habe. Zudem lebe der Mann mit einer EU-Bürgerin aus Litauen in einer Lebensgemeinschaft. „Daraus könnte er möglicherweise rechtliche Anspürche geltend machen", sagte eine Gerichtssprecherin am Mittwochnachmittag.

Ogaci sei Anfang der 1990er Jahren vor dem Bürgerkrieg in Algerien geflohen, als sich Regierung und Islamisten blutige Kämpfe lieferten. Der Mann, der an der Montanusstraße in Köln-Mülheim mit seiner Lebensgefährtin, einer Frau aus dem EU-Land Litauen lebt, galt Arndt zufolge als gut integriert. Er habe lange als Koch gearbeitet, bevor er diesen Job verloren habe, weil er keinen Pass habe vorweisen können. Ogaci war allerdings mit einer falschen Identität nach Deutschland eingereist, soll aber 2021 eine korrekte Geburtsurkunde vorgelegt haben.

Kritik vom Flüchtlingsrat

Die geplante Abschiebung sorgt beim Kölner Flüchtlingsrat für Kritik. „Wir haben in der letzten Zeit einige Abschiebungen erlebt, die krass waren“, sagt Geschäftsführer Claus-Ulrich Prölß. „Die Ausländerbehörde schiebt wahllos ab, was geht“, sagt er. Dass ein geduldeter Flüchtling nach 30 Jahren zurückgeführt werde sei unfassbar. „Nach 30 Jahren muss man einen Schlussstrich ziehen. Auch wenn es Probleme bei seiner Identitätsklärung gegeben haben sollte, man hätte zumindest die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarte gesetzliche Regelung, nach der eine eidesstattliche Versicherung hierfür ausreichen könnte, abwarten müssen.“

Aufwendige Recherchen

Dass die Abschiebung nach so langer Zeit vollzogen werden sollte, begründet die Stadt damit, dass es aufwendiger Recherchen bedurft hätte, um das Herkunftsland des Mannes herauszufinden und die nötigen Passersatzpapiere zu beschaffen. Man habe bei zahlreichen in Frage kommenden Herkunftsstaaten über die jeweilige Auslandsvertretungen Passersatzpapieranträge stellen mussten. „Hieran schließen sich dann seitens der Auslandsvertretungen Prüfungsverfahren in den jeweiligen Staaten an“, teilte eine Sprecherin mit.

Ein solches Verfahren sei „insbesondere bei mangelnder Mitwirkung sehr zeitintensiv“. Die Abschiebung nach 30 Jahren erscheine als „eine individuelle Härte, die jedoch gesetzlich in der Verantwortung eines Betroffenen liegt, wenn sich der lange Aufenthalt lediglich auf eine Aussetzung der Abschiebung aufgrund einer ungeklärten Identität und unterbliebenen Mitwirkung stützt“.

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Die Ausländerbehörde war in den vergangenen Monaten mehrmals in die Kritik wegen Abschiebungen geraten. Für Diskussionen hatte der Fall einer albanischen Familie gesorgt, die kurz vor Weihnachten 2021 abgeschoben wurde. Darunter hatte sich auch eine schwangere 16-jährige Jugendliche befunden, die zudem als geistig behindert gilt. Im Januar hatte der Flüchtlingsrat gegen die Abschiebung einer 34-jährigen Kurdin in den Irak protestiert. Nach Ansicht des Flüchtlingsrats war nicht berücksichtigt worden, dass die seit 2013 in Köln lebende Frau mit einem Briten verheiratet ist. Und in der vergangenen Woche war eine albanische Familie abgeschoben worden, die seit 2015 in Köln lebte. „Darunter befanden sich mehrere Kinder, die in Köln aufgewachsen sind, und gar nicht wissen, was sie in Albanien sollen”, sagt Prölß.

Albanische Familie wird abgeschoben

„Auch dieser Fall macht deutlich, dass das eigene Selbstverständnis des Ausländeramtes nicht mehr ausreichend verfolgt wird“, so Prölß. Denn in den im Juni 2021 entwickelten Amtszielen heißt es, dass gut integrierten Geduldeten eine gesicherte Perspektive erhalten sollen und alle vorhandenen Handlungs- und Ermessenspielräume zugunsten der in Köln lebenden Menschen genutzt werden sollen. „In den Ohren auch dieser abgeschobenen Familie dürften diese Sätze zynisch klingen.“ Im Übrigen hätte die Familie unter das Chancen-Aufenthaltsrecht fallen können. „Hier wurden ohne Not Fakten geschaffen, um der Familie, und insbesondere den Kindern, keine Bleibechance zu geben.“

Bund arbeitet an neuen Regelungen

Die Abschiebung des Algeriers Ogaci wirft auch Fragen auf, weil die Bundesregierung sich erst am Dienstag für liberalere Regeln im Umgang mit langjährig geduldeten Ausländern ausgesprochen hatte. Innenministerin Nancy Faeser hatte unter anderem angekündigt, dass es künftig möglich sein werde, dass langjährig geduldete Ausländer ein Aufenthaltsrecht auf Probe erhalten können. Wenn geduldete Personen binnen eines Jahres Papiere, einen Job und Sprachkenntnisse nachweisen können, solle der Aufenthalt verstetigt werden.

Die Stadt glaubt, dies hätte im Fall des Algeriers keinen Ausschlag gegeben. Die Rechtslage „sehe keine Bleibeperspektive vor, wenn die Identität nicht geklärt ist, zumutbare Mitwirkungshandlungen unterbleiben und eine Rückführung wegen Täuschung oder falscher Angaben über die Identität und Staatsangehörigkeit nicht betrieben werden kann“.

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