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„Gerade einen umgeklatscht“Kölner Polizisten sollen mit Gewalt geprahlt haben

Lesezeit 5 Minuten
Polizisten stehen wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Verdacht. 

Polizisten stehen wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Verdacht. 

Köln – Alles sah zunächst nach einem Routineeinsatz aus. Ein Taxifahrer hatte am Nachmittag des 24. April einen Unfall gemeldet. Der Fahrer war geflüchtet. Die Halterin des Fahrzeugs lebte bei ihrer Familie in einer Wohnung in Köln-Bickendorf. Eine dreiköpfige Streifwagenbesatzung um den Polizeikommissar Bettino G. (Name geändert) fuhr nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ am späten Nachmittag die Adresse an. Als man an der Wohnungstür klingelte, öffnete der Bruder der Autobesitzerin. Nach kurzem Disput teilte er den Beamten mit, dass seine Schwester nicht zu Hause sei. Damit schien der Fall zunächst erledigt.

Dann aber erschien Alessio Z. (Name geändert) laut Einsatzprotokoll unten an der Haustür. Mit einer Halbliterdose Bier in der Hand begann er sofort, laut zu werden: „Was macht ihr da? Verpisst euch, das ist mein Eigentum, was wollt ihr“. Der Endfünfziger wirkte sichtlich angetrunken. Als die Polizisten ihn aufforderten, unten am Treppenabsatz stehen zu bleiben, blaffte der Italiener zurück: „Sonst was?“ Erneut ging die Wohnungstür auf, der Sohn mischte sich lautstark ein: „Lasst meinen Vater in Ruhe.“ Die Lage drohte aus dem Ruder zu laufen, die Einsatzkräfte riefen Verstärkung.

Mit Rippenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert

Von unten brüllte Alessio Z.: „Lasst meinen Sohn in Ruhe, ich mach euch fertig und haue euch in die Fresse.“ Gleich mehrere Streifenbeamte griffen ein, brachten den Vater zu Boden, fixierten ihn mit einer Handfessel und setzten ihn auf den Bürgersteig vor der Wohnsiedlung ab. Da der Delinquent über Schmerzen an den Rippen und am Kiefer klagte, riefen die Beamten einen Rettungswagen. Im Sankt Franziskus Hospital stellten die Ärzte zwei gebrochene Rippen auf einer Körperseite fest. So hält es das Einsatzprotokoll fest. Kaum entlassen, suchte Z. tags darauf seine Hausärztin mit dem Befund auf. Die gab ihm ein paar Schmerzmittel. Seither soll er auf jegliche weitere medizinische Behandlung verzichtet haben.

Alles zum Thema Herbert Reul

Knapp zwei Monate später starb Alessio Z. an einer Blutvergiftung aufgrund einer Lungenentzündung. Die Familie wandte sich an die Ermittlungsbehörden mit dem Verdacht, dass der Vater auf Grund unrechtmäßiger Polizeigewalt gestorben sei. Die Obduktion des Mannes ergab typische Vorerkrankungen eines schweren Alkoholikers: Das Herz-Kreislauf-System und etliche andere Organe waren geschädigt. Rippenbrüche können demnach schmerzbedingt zu eingeschränkten Atmungsaktivitäten geführt haben. Dies könne eine Lungenentzündung begünstigen, heißt es in dem Bericht der Bonner Gerichtsmedizin. Somit besteht nach Ansicht der Obduzenten ein „kausaler Zusammenhang“ zwischen der gewaltsamen Festnahme durch die Polizeibeamten im April und dem Tod am 21. Juni im Marienhospital in Euskirchen. Zugleich schränkten die Gutachter ihren Befund ein: Hätte der Mann sich nach dem Vorfall weiterhin behandeln lassen, wäre „eine Entstehung der Lungenentzündung möglicherweise verhindert worden“. Das heißt Alessio Z. würde vielleicht noch leben, hätte weiterhin einen Arzt aufgesucht.

Plötzlich Rippenbrüche auf beiden Körperhälften

Zudem konstatierten die Todesermittler der Kripo Bonn, die den Fall aus Gründen der Objektivität übernommen hatten, eine eklatante Diskrepanz zwischen zwei ärztlichen Diagnosen: Während die Röntgenbilder beim ersten Aufenthalt im Sankt Franziskus-Hospital im April zwei Rippenbrüche auf einer Körperseite abbildeten, wurde nach der erneuten Einlieferung des schwerkranken Kölners am 5. Juni ein ganz anderer Befund erhoben: Demnach hatte er sich auf beiden Seiten eine Serienrippenfraktur zugezogen. Es bestehe die Möglichkeit, dass der Verstorbene auch nach dem Polizeieinsatz nochmals gefallen sei und sich weitere Rippenbrüche zugezogen habe, die letztlich zu seinem Tod führten.  Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer sagte auf Anfrage, „dass dieser Umstand durch neue medizinische Gutachten geprüft wird.“ Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen gefährlicher Körperverletzung ohne Todesfolge.

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Zudem sei noch nicht abschließend geklärt, ob der später Verstorbene Widerstand gegen die Polizisten geleistet habe, führte Bremer weiter aus. Allerdings verfügen die Strafverfolger über drei belastende Aussagen durch Augenzeugen, die laut Staatsanwaltschaft „übermäßige Gewalt“ gegen Alessio Z. nahe legen. Als die Beamten ihn auf den Boden warfen, habe sie gedacht, man sei in den USA, berichtete eine Anwohnerin. Immer wieder hätten die Polizisten auf den Nachbarn eingeschlagen und eingetreten. Hilflos habe er über Atemnot geklagt. Als einige Polizeibeamte vorschlugen, den Festgenommenen aufzusetzen, soll der Polizist Bettino G. dies mit dem Spruch abgelehnt haben: „Nein Herr Z., sie wissen doch wie das hier läuft.“ Anschließend soll G. mit seinem Fuß dem Wehrlosen in den Nacken getreten haben. Ein weiterer Zeuge berichtete, dass man den Mann aufgehoben und mit dem Kopf an einen Betonpfeiler geknallt habe. Allerdings vernahmen die Ermittler auch Beobachter des Geschehens, die nichts dergleichen gesehen hatten.

 „Gerade einen umgeklatscht“

Sollten sich die Prügelszenen so zugetragen haben, rollt auf die Kölner Polizei und ihren Innenminister Herbert Reul ein Skandal zu. Zumal die Durchsuchungen und Handy-Auswertungen der fünf beschuldigten Beamten der Inspektion Ehrenfeld laut Oberstaatsanwalt Bremer einen schlimmen Verdacht nähren. Die Riege könnte sich demnach zu gemeinsamen Diensten verabredet haben, „um eventuellen Widerstandshandlungen potenzieller Beschuldiger mit übermäßiger Gewalt zu begegnen.“

In den Textnachrichten prahlten Beschuldigte laut Suspendierungsverfügung mit Gewalthandlungen. „Gerade einen umgeklatscht“, hieß es da. Dabei ging es um den später verstorbenen Alessio Z. Ein paar Monate vor dem Einsatz gab ein Polizeikommissar die Devise aus: „Kaputt machen.“ Deshalb will die Staatsanwaltschaft die Einsätze der fünf suspendierten Polizisten überprüfen.

„Erschrocken und erschüttert“, reagierte Innenminister Herbert Reul auf die neuen Chatauswertungen in dem Fall. Möglicherweise hätten die Beschuldigten gar Widerstandshandlungen bei Einsätzen provoziert, erklärte der CDU-Politiker. Nach wie vor gelte für die verdächtigen Polizisten aber die Unschuldsvermutung. Sollten sich aber die Vorwürfe bestätigen, müssten sie mit ihrer Entlassung rechnen. „Wer gewaltaffin ist oder mit Gewalt prahlt, hat bei der Polizei nichts verloren“, betonte Reul.

Anwälte halten Zeugenaussagen für fragwürdig

Die Anwälte Christoph Arnold und Martin Kretschmer, die zwei der beschuldigten Beamten vertreten, widersprechen den Vorwürfen. „Meine Mandanten sind weder gewaltbereit, noch prahlen sie damit, die Bürger mit Gewalt zu überziehen, die sie schützen sollen.“ Auch seien die belastenden Zeugenaussagen durchaus fragwürdig, so Arnold weiter, „denn andere Beobachter des Geschehens haben genau das Gegenteil geschildert.“ Zu Guter Letzt müsse die kausale Todesursache im Fall des verstorbenen 59-Jährigen in Bickendorf geklärt werden. „Schließlich ist bis heute nicht klar, wieso er zwei Monate nach dem Polizeieinsatz ganz neue Rippenbrüche aufwies, die zum Tode führten.“ 

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