„Gesundheit nicht um jeden Preis“Senioren-Demo für Grundrechte in der Corona-Krise

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Senioren-Demo Corona 1

Die Senioren zeigten sich friedlich, aber kämpferisch.

  • Bei einer Demonstration in Neubrück haben alte Menschen Selbstbestimmung in der Corona-Krise gefordert.
  • Viele fühlen sich durch die Bestimmungen entmündigt, etwa durch die Besuchsverbote in den Pflegeheimen während des ersten Lockdowns.
  • Mit einem offenen Brief wandten sie sich an Gesundheitsminister Spahn.

Köln – Auf den Plakaten steht, was den alten Menschen in den vergangenen Monaten gefehlt hat: „Kinder und Enkel umarmen“, „Freier Zugang für Angehörige“, „Bürgerrechte im Pflegeheim“, „Selbstbestimmung“. Oder auch: „Einsamer Tod?“, „Schluss mit dem Einschränkungswirrwarr“. Rund 100 Seniorinnen und Senioren sind am Freitagnachmittag zur „fröhlichen Demonstration“ auf den Straßburger Platz Neubrück gekommen, um mit Masken und Nachdruck zu fordern, was sie sich wünschen.

Sie möchten Möglichkeiten, um sich auch in Pandemie-Zeiten zu versammeln und zu treffen – bis heute fallen viele Angebote von Bingo- und Bastelgruppen bis zu Gymnastikkursen und Literaturwerkstätten aus.

Die Bereitstellung von wirksamen Masken samt Kostenübernahme durch die Krankenkassen – das fordert das Seniorennetzwerk Ostheim/Neubrück auch in einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Schließlich hoffen sie, dass es auch bei einer zweiten Infektionswelle nicht mehr zu Ausgangsverboten kommt. Wenn man den führenden Virologen glaubt, könnte es dazu nämlich in den kommenden Wochen kommen: Steigende Infektionszahlen auch bei den alten Menschen, die Erneuerung der politischen Forderung, die durch das Corona-Virus besonders gefährdeten Senioren zu separieren, um sie zu schützen – und damit eine erneute Schließung von Schulen, Kitas, Geschäften und Gastronomie zu verhindern.

„Gesundheit nicht um jeden Preis“ steht auf einem Plakat, vor dem Gisela Hennerici (78) sitzt. „Es ist in den vergangenen Monaten sehr viel über uns, aber wenig mit uns gesprochen worden. Die Generation unserer Kinder und Enkelkinder hat darüber entschieden, was wir tun dürfen und was nicht. Wir können uns aber sehr gut selbst schützen – und tun das auch.“ „Man könnte sagen, dass wir uns seit Beginn der Pandemie nicht mehr für voll genommen fühlen“, sagt Renate Cimiotti (71). „Man hat als alter Mensch den Eindruck, entmündigt zu werden.“

Alte und Kinder sind besonders betroffen

Vladimir Colic, der ein Plakat mit den Lettern „Selbstbestimmung“ vor der Brust hält, sagt: „Die politische Debatte berücksichtigt nicht, dass die Grundrechte in Gefahr sind und die Psyche ganz vieler Menschen: Die Alten und die Kinder sind dabei das schwächste Glied. Die Alten dürfen keine Kontakte mehr haben, die Kinder sollen sogar in der Schule Masken tragen. Von Selbstbestimmung kann in vielen Bereichen keine Rede mehr sein.“

Unter den Demonstranten herrscht eine friedliche, aber auch kämpferische Stimmung. Die Kapelle „Blos m’r jet“, Ludwig Sebus und Paula Hiertz musizieren, einige der Demonstranten trommeln dazu im Takt. Pfarrer Gerhard Wenzel gibt „Anleitungen zum Glücklichsein“ – dazu gehöre auch, „das Recht, selbst über seine Leben zu bestimmen“.

„Bis März haben wir alles getan, um alte Menschen zu körperlich und mental zu aktivieren. Seitdem durften wir uns nicht mehr treffen, fast alle Bewegungs- und Begegnungsangebote fielen weg. Ich kenne Menschen, die nicht mehr die Treppen laufen können, weil sie die ganze Zeit in ihren Zimmern waren“, sagt Martin Theisohn, Mitorganisator der Demonstration. „Viele haben sich zurückgezogen und den Eindruck gewonnen: Ich bin von der Gesellschaft nicht mehr gewollt.“

Die erste „fröhliche Demonstration“ hatte das Seniorennetzwerk im Juli durchgeführt – als Ersatz für ein dem Virus zum Opfer gefallenes Sommerfest. Im September musste in Neubrück das Stadtteilfest Adelheidiade wegen Corona-Bestimmungen abgesagt werden – „damit alte Menschen trotzdem weiterhin rausgehen, sich nicht verstecken und ihre Meinung sagen, treffen wir uns jetzt wieder“. Gut möglich, dass weitere Demonstrationen folgen.

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