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„Gott, das ist echt nicht mehr normal“Kölner Jugendchor thematisiert Missstände

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Chorleiter Michael Kokott mit den Sängerinnen Maria Berger, Julia Cohnen, Alina Sauer und Katrin Repmann (v.l.) im Krieler Dom.

Köln – Es ist ein starkes (kirchen-)politisches Statement, das der Jugendchor St. Stephan in seinem neuen Lied „Bodenpersonal“ Pfarrern und besonders Bischöfen singend um die Ohren haut. „Aber bitte, lieber Gott, das is’ echt nich’ mehr normal / Ich komm nich’ klar auf dein Bodenpersonal“ heißt es in dem nach einer Anregung des Chorleiters Michael Kokott von Flo Peil (Kasalla) geschriebenen Text. Das als moderner Gospel angelegte Lied ist am Wochenende auf dem Sampler „Mega Jeck 25“ des Verlags Dabbeljuh erschienen.

Jeck sind die Jugendlichen des Chors, aber nicht verrückt. Sie haben einfach keine Lust mehr auf halbherzige Entschuldigungen der Kirchenoberen („Wir haben Schuld auf uns geladen“), zumal fortgesetztes Leugnen und Verdrängen im Missbrauchsskandal sie konterkarieren. Ihr Wunsch ist nicht weniger als „ein Neuanfang / und dann streichen wir das alte Haus neu an“. Dabei scheinen Kirchenaustritte keine Option zu sein, denn – so weiter im Text – „mit frischem Wind kommt neues Leben / Und es tut gut, wenn man gemeinsam an was glaubt.“

Viel Kritik an der Kirche

Alina Sauer (25), die seit 20 Jahren mitsingt, musste nach eigenem Bekunden kurz schlucken, als sie das Demoband zum ersten Mal hörte. Inzwischen aber sei sie total überzeugt von dem Song. „Das ist sehr kirchenkritisch, und es macht mich ein bisschen baff, dass wir uns das trauen“, sagt sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Während sie aus ihrer Heimatgemeinde in Sürth nur Positives berichten könne, habe der Jugendchor St. Stephan jahrelang unter dem „Bodenpersonal“ gelitten. „Nicht jeder Priester ist problematisch“, sagt sie. „Der Glaube ist da, aber die Institution Kirche macht es gerade uns jungen Menschen sehr, sehr schwer. Man kann da nicht mehr wegsehen, die Strukturen sind verknöchert, die Toleranz fehlt.“

Alles zum Thema Carolin Kebekus

Dass die Kritik nicht destruktiv ausfällt, stärkt den Song und die Ernsthaftigkeit seiner Absender. Eine radikalere Form der Kritik, mit der etwa Comedienne Carolin Kebekus in ihren Videoclips und TV-Shows gegen die Kirchenverantwortlichen schießt, ist den Chormitgliedern fremd. Ihr Lied ist auch eine Art Glaubensbekenntnis. Die Jugendlichen wollen sich ihr Leben mit dem Glauben jedenfalls nicht kaputtmachen lassen „von alten Männern, die sich über alles erhaben fühlen, sobald sie eine Mitra auf dem Kopf haben“, wie Michael Kokott es ausdrückt.

Schwer sich mit Kirche zu identifizieren

Kokott, der katholisch erzogen wurde, Messdiener und Chorknabe war und später Kirchenmusik studierte, fühlt sich eigentlich als Repräsentant der Institution Kirche, die Identifikation falle angesichts dessen, „was die Herren da treiben“, immer schwerer.

„Bodenpersonal“ greift alle aktuellen Themen der Kirchenkrise auf. Wenn der Chor singt: „Doch ihr müsst euch bewegen, anders geht es nicht / Alles, was im Nebel war, muss raus ans Licht“, spielt das deutlich auf den Missbrauchsskandal und den früheren Kardinal Joachim Meisner an, der die schlimmsten Fälle in einem Aktenordner bei sich aufbewahrte, beschriftet mit „Brüder im Nebel“.

Die Rolle der Frau in der Kirche

Die weinende Mutter Gottes in „Bodenpersonal“ nimmt die Kritik der Bewegung „Maria 2.0“ an der Rolle der Frauen in der katholischen Kirche auf. Wenn die vier Frontfrauen des Jugendchors stimmgewaltig singen: „Sie schauen ständig zu dir auf / Und sie preisen deinen Namen / Aber die meisten Mädels außer dir / Hab'n hier nicht wirklich viel zu sagen“, erinnert das auch an Whoopi Goldberg als „Sister Act“ im gleichnamigen Kinoerfolg der 1990er Jahre. Sister Act 2021 kommt jedenfalls aus Köln.

Auch die Regenbogenfahnen und damit das Thema Homosexualität kommen vor. „Wir wollten schon vor 20 Jahren mit dem Jugendchor auf dem CSD singen, aber das hat Kardinal Meisner verboten“, erinnert sich Kokott. „Kirchenchor darf nicht für Schwule singen“ titelte damals der „Express“. Wirklich verändert habe sich seitdem nichts. „Dass die vor der Lindenthaler Kirche Christi Auferstehung aufgehängten Regenbogenfahnen nächtens abgefackelt wurden, kann doch wohl nicht sein“, sagt er frustriert.

Trennung von Glaube und Kirche

Bei Songautor Flo Peil merkt man, dass ihn das Thema beschäftigt. Seine eigenen Kirchenerfahrungen „als Kind in der Eifel waren eher unangenehm“, andererseits hätten ihn Jugendfreizeiten in Aachen positiv geprägt – bis heute. „Ich habe Ena Schwiers, unseren Keyboarder, da kennen gelernt. Und der Jesuitenpater Lennartz, ein toller Mensch, hat das Kreative, das Spielerische in uns geweckt und gefördert. Der sagte immer: Menschen sind zum Spielen geboren. Und das machen wir bis heute.“ Glaube und Kirche trennt Peil mittlerweile, und auch wenn seine Kinder getauft seien: „Ich glaube, aber in der Kirche ist schon vieles sehr suspekt.“

Eine Sicht, die Jürgen Hünten, Pfarrer von St. Franziskus in Weiden und seit zwei Monaten auch für St. Stephan zuständig, von vielen Jugendlichen kennt. Das Lied über das „Bodenpersonal“ zu hören, „tut schon weh, aber ich finde es gut. Das Gesamtpaket und die Message sind unterstützenswert.“ Die Kirche müsse sich öffnen und sich dem Dialog stellen, gewisse Themen aus der Vergangenheit aufarbeiten. Deshalb habe er auch keine Sekunde gezögert, und dem Jugendchor erlaubt, das Video zum Song im Krieler Dom zu drehen.

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Auch sonst gibt es erste positive Resonanz. So sind der Katholikenausschuss und die Bewegung „Maria 2.0“ dem Vernehmen nach sehr angetan. Der Diözesanrat der Katholiken will das „Super Statement“ auf seiner Vollversammlung im November präsentieren. Dann singt zur Eröffnung der Jugendchor St. Stephan live übers „Bodenpersonal“.

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