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„Habe für Zögern kein Verständnis“Kölner Uniklinik-Chef fordert sofortigen Lockdown

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Kölner Uniklinik Heinekamp 231019

Die Kölner Uniklinik.

  • Prof. Edgar Schömig, Direktor der Kölner Uniklinik, fordert einen harten Lockdown – ab sofort. Dieser sei mittelfristig ohnehin nicht mehr zu verhindern.
  • „Je früher man in einen Lockdown geht, desto besser wirkt er und desto kürzer kann er sein. Jeder mathematische und medizinische Verstand spricht für einen sofortigen Lockdown“, sagt Schömig.
  • Im Interview spricht der Mediziner zudem über neue Mutationen, den Stand der Impfkampagne und die Lage auf den Intensivstationen.

Herr Schömig, wie schlimm ist die Corona-Lage? Wir haben es mit einem Wiederaufflammen der Pandemie zu tun. Ein wesentlicher Grund dafür ist die britische Mutante. Der Anstieg der vergangenen Wochen ist beängstigend. Auch die Belastung der Intensivstationen nimmt wieder zu. Ich erwarte hier in Kürze einen rasanten Anstieg. Zwischen einer sich verschärfenden Situation und einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems liegen oft nur wenige Wochen, das konnten wir in anderen Ländern beobachten. Zugleich sinkt die Zahl der täglichen Todesfälle. Woran liegt das?

Zum einen natürlich an den Impfungen derjenigen, die besonders gefährdet sind. Zum anderen sind die Todesfälle von heute auf Infektionen von vor rund einem Monat zurückzuführen. Zu diesem Zeitpunkt gab es vergleichsweise wenige Ansteckungen. Dieser Trend kann also leider auch kippen.

Befürchten Sie das?

Ja. Die Infektionszahlen werden weiter steigen, die Belegung der Intensivbetten wird steigen. Wir werden in einen harten Lockdown kommen. Wir wissen aus England und Portugal, dass scharfe politische Maßnahmen auch gegen die Mutanten effektiv sein können. Die Politik wird im Laufe dieser Welle zu harten Eingriffen gezwungen sein.

Sollte der harte Lockdown möglichst schnell kommen, wenn er ohnehin nicht zu vermeiden ist?

Ja, für das politische Zögern habe ich überhaupt kein Verständnis. Alle Modellierungen zeigen: Je früher man in einen Lockdown geht, desto besser wirkt er und desto kürzer kann er sein. Zudem würde man viele, viele Todesfälle verhindern. Jeder mathematische und medizinische Verstand spricht für einen harten, kurzen, sofortigen Lockdown.

Doch es gibt auch eine psychologische Komponente: Ich fürchte, viele Menschen verstehen die Dramatik der aktuellen Situation noch nicht ausreichend. Das ist bitter. Wie diese Welle verläuft, hängt auch ganz wesentlich vom Verhalten jedes Einzelnen ab.

Wäre eine völlig neue Strategie, etwa das Konzept No-Covid, die Lösung?

Ich habe an dem Konzept No-Covid nichts Falsches gefunden. Mein Kollege Michael Hallek hat dort gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern einen vielversprechenden Vorschlag gemacht. Doch zum Start der Initiative hatte ich den Eindruck, dass sie bei den meisten Menschen noch nicht auf fruchtbaren Boden fällt und das Mitziehen der Bevölkerung essentiell ist. Jetzt denke ich, dass unabhängig von No-Covid auch für mich der Zeitpunkt gekommen ist, das Wort zu erheben. Wir müssen diese Pandemie viel planvoller bekämpfen.

Wie ist die Situation auf Ihren Intensivstationen?

Wir haben derzeit 18 Covid-Intensivpatienten, 15 von ihnen müssen beatmet werden. Der Altersschnitt dieser Patienten liegt bei 52 Jahren. Im Herbst lag der Schnitt bei 59 Jahren. Wir sehen einen deutlichen Abfall der Altersstruktur. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe: Die Impfungen der Älteren und die Aggressivität der britischen Mutante bei Jüngeren. Welcher Faktor größer ist, lässt sich bislang nicht sagen.

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Allerdings sind unsere Daten nicht repräsentativ, denn wir bekommen regelmäßig Patienten von anderen Kliniken zugewiesen, die uns in der Tendenz nur die schwersten und kompliziertesten Fälle zuweisen. Das passiert immer häufiger.

In Köln wurden erste Fälle einer Mutation der B117-Mutante festgestellt. Britische Mediziner befürchten, diese Variante könnte Geimpfte leichter anstecken. Wie ist der Stand?

Das ist in Köln bislang kein großes Thema. Hier müssen wir einfach abwarten, was wir herausfinden können. Dass die Variante Geimpfte leichter anstecken kann, ist bislang nicht erwiesen. Ohnehin gilt: Niemand kann ausschließen, dass es weitere Mutationen geben wird. Das gilt insbesondere bei einer hohen Infektionslast.

Wie ist die Stimmung bei den Mitarbeitenden der Uniklinik?

Die Belastung ist enorm, seit mehr als einem Jahr – das merkt man einfach. Es ist eine ständige Ausnahmesituation. Dazu kommt die private Einschränkung, die wir alle kennen – und das Bewusstsein, dass das unvorsichtige Verhalten vieler jetzt dazu führt, dass wir in die nächste Welle rutschen. Mit vielen Covid-Patienten, die bei uns sterben werden. In der zweiten Welle hatten wir an der Uniklinik Probleme, Platz für die Leichen zu finden. Weit entfernt von einer ähnlichen Situation sind wir zeitlich nicht, fürchte ich. Die psychologische Gemengelage ist schwierig. Das Gemeinschaftsgefühl wird an der Klinik aber immer größer, das ist ein Lichtblick. Ich habe die allergrößte Hochachtung vor unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Ist das Ende der Pandemie in Reichweite?

Ich bin überzeugt, dass die Impfkampagne den Weg aus der Pandemie weisen wird. Andere Exit-Strategien sehe ich allerdings auch nicht. Wir müssen bis zum durchschlagenden Impferfolg mit persönlichen Einschränkungen leben, fürchte ich. Wenn wir das aufgeben, laufen wir in eine echte Katastrophe. Wir müssen jetzt konsequent sein, dann wird es im Sommer deutlich besser. Davon gehe ich fest aus. Ich habe die Hoffnung, dass wir Weihnachten wieder im großen Kreis feiern können. 

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