„Habe ich richtig gelebt?”Seelsorger erzählen von ihrer Arbeit auf Covid-Stationen

Lesezeit 9 Minuten
Maeggi_Hennes

Die Seelsorger Ulrich Hennes und Gerd Maeggi sind in der Krise für einige Patienten die einzigen Gesprächspartner.

  • Die Kölner Seelsorger Gerd Maeggi und Ulrich Hennes sind für viele Patienten die einzigen Gesprächspartner.
  • Ein Gespräch über ihre Arbeit auf den Intensivstationen der Kliniken und die ganz großen Fragen

Köln  – Herr Maeggi, Herr Hennes, Sie arbeiten als Seelsorger in Kölner Krankenhäusern. Wie hat sich Ihre Arbeit während der Corona-Pandemie verändert? Gerd Maeggi: Vor Corona konnten wir die Menschen immer besuchen: In schweren Krisen, aber auch, wenn sie ein Kind bekommen haben oder entlassen wurden. Vor Corona bin ich einfach auf Station gegangen und habe den Menschen, gleich welcher Konfession, ein Gespräch angeboten. Durch die Pandemie sind diese Freiheiten begrenzt. Ich kann jemanden segnen, darf ihn aber nicht mehr berühren und ihm einfach die Hand halten.

Ulrich Hennes: Ich arbeite erst seit Oktober als Krankenhausseelsorger. Ich kenne die Krankenhausseelsorge also nur unter Pandemiebedingungen, wenn auch in unterschiedlichen Phasen des Lockdowns. Ich erlebe das als besondere Herausforderung – es fordert mich anders, da zu sein für Menschen, zu denen sonst niemand kommt, über mehrere Tage oder Wochen. Neben der Krankheit ist es auch die Isolation, die viele Menschen zum Nachdenken bringt und vieles ans Tageslicht bringt. Ich erlebe die Gespräche als sehr intensiv und persönlich – es geht noch öfter um die großen Fragen des Lebens als in seelsorgerischen Gesprächen, die ich zum Beispiel als Gemeindepfarrer geführt habe.

Über die Seelsorger

Der evangelische Pfarrer Gerd Maeggi (40) arbeitet seit dem 1. Februar 2020 in der Krankenhausseelsorge. Vorher war er Gemeindepfarrer in Krefeld-Fischeln.

Alles zum Thema Erzbistum Köln

Monsignore Ulrich Hennes (58) arbeitet seit September 2020 als Krankenhauspfarrer für die katholische Kirche in Köln. Von 1996 bis 2006 war er Jugendseelsorger im Erzbistum Köln, von 2015 bis 2019 arbeitete er als Pfarrer und Stadtdechant in Düsseldorf. Vorwürfe, die zu seiner Beurlaubung führten, bestätigten sich nicht. Trotzdem bat Hennes Kardinal Rainer Woelki um seine Entpflichtung als Stadtdechant und begab sich in ein Sabbatical.

„Kann es einen guten Gott überhaupt geben?”

Geht es bei diesen großen Fragen auch um den Glauben? Besinnen sich Menschen, die ihr Leben gefährdet sehen, auf Gott?

Ulrich Hennes: Meine bescheidene Erfahrung ist, dass die Krise die Menschen nicht unbedingt zu neuen Antworten auf die Frage nach Gott führt. Ich erlebe aber oft, dass Menschen mit schwerem Covid-19-Verlauf sich fragen, warum ausgerechnet ihnen das passiert, und fragen, ob es einen guten Gott überhaupt geben kann – da er ja solche Katastrophen nicht zulassen dürfte. Es ist die klassische Theodizee-Frage: der Widerspruch von Krisen und Katastrophen und einem guten Gott. Und ich erlebe, dass viele Patienten sich Sinnfragen stellen: Bin ich richtig mit meiner Partnerin und meinen Kindern umgegangen? Habe ich die richtigen Entscheidungen getroffen? Was war sinnvoll, was nicht? In dieser Tiefe kommen wir sonst nicht so leicht ran an solche Fragen.

Gerd Maeggi: Empirisch lässt sich nicht beweisen, dass wir sinntiefere Glaubensgespräche führen als vorher. Aber es ist sicher so, dass sich die Menschen andere Fragen stellen, weil die meisten Rituale des Alltags außer Kraft gesetzt sind – bei jedem von uns, und im Krankenhaus in einer noch viel existenzielleren Form. In dem Sinne glaube ich, dass viele Menschen in der Krise lernen, besser zu verstehen, was ihnen in ihrem Leben wichtig ist und was weniger. Im Krankenhaus merke ich, dass die Menschen einfach Trost brauchen. Und es sind momentan weniger Menschen da, um sie zu trösten. Auch unsere Ehrenamtlerinnen, die grünen Damen, müssen ihre Arbeit aktuell aus Sicherheistgründen weitestgehend aussetzen.

Ulrich Hennes: Ich erlebe schon, dass Menschen in anderer Weise ansprechbar sind auf das Angebot von Kirche. Auch Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind. Auch die Nachfrage nach dem Sakrament, der Kommunion, ist sehr hoch.

Sprechen Sie auch mehr als sonst mit Angehörigen, die stark belastet sind, weil sie ihre Liebsten im Krankenhaus nicht besuchen dürfen? Es gibt ja nicht wenige, die momentan das Gefühl haben: Ich kann nicht für meine Partnerin oder meinen Partner, für meine Großeltern oder Kinder da sein …

Ulrich Hennes: Diese Gespräche gibt es. Manchmal vermitteln wir Gespräche oder halten einfach das Telefon hin. Wir richten auch Grüße und Wünsche aus – das war vor ein paar Tagen so, als eine schwer an Covid-19-Erkrankte zu schwach für ein Telefonat war, mir aber ein paar Sätze für ihre Familie sagte. Wir müssen Angehörigen auch oft erklären, warum sie gerade nicht wie normal zu Besuch kommen können und im Detail zu erzählen, wie gut die Patienten im Krankenhaus aufgehoben sind – die Unmöglichkeit eines Besuchs zu akzeptieren ist in einigen Situationen schwer, wir sind da auch Mittler. Die Sorge derer, die draußen sind, ist oft größer als die von denen im Krankenhaus.

Gerd Maeggi: Man bekommt viele Mails und Anrufe von Angehörigen. Natürlich wünschen auch einige, zu erfahren, was die Patienten uns erzählt haben – das fällt allerdings oft unter die seelsorgerische Kommunikation. Und es gibt viel Unsicherheit: Manche wissen nicht, ob man auf der Station anrufen darf – das geht natürlich. Wir haben hier im Heilig-Geist-Krankenhaus auch i-Pads angeschafft, um Videotelefonie zu ermöglichen.

„Wir reden auch oft mit Ärzten und Pflegern”

Ist der seelsorgische Beratungsbedarf in der Pandemie gestiegen?

Gerd Maeggi: Ja, weil die Patienten nicht so viele andere Gesprächspartner haben wie sonst. Wir besuchen vor allem die Menschen, die besonders allein sind, denen es schlecht geht. Ein Großteil des sozialen Netzwerks fällt für die Patienten momentan weg – das vertragen manche gut, und manche nicht. Wir sind oft die einzigen, die die Patienten besuchen dürfen.

Jetzt gibt es schon sehr lange ein Besuchsverbot an den Krankenhäusern …

Ulrich Hennes: … ich würde da nicht von einem Verbot sprechen, sondern von Regeln, die nötig sind, um eine weitere Verbreitung des Virus‘ und einen Eintrag in die Kliniken zu verhindern – und damit die Patienten zu schützen. Bei Patienten, die in kritischen, lebensbedrohlichen Situationen sind, gibt es Ausnahmen. Die Besuchsregelungen werden nach Lebenssituation angepasst. Wir streben im Austausch mit den Ärzten und Pflegern immer individuelle Lösungen an und das gelingt gut, wie ich finde.

Betreuen Sie auch das klinische Personal seelsorgerisch?

Ulrich Hennes: Ja, natürlich. Einige kommen immer wieder an die Grenzen ihrer physischen und mentalen Kräfte – und suchen dann auch das Gespräch. Das können auch kurze Begegnungen auf dem Gang sein. Die Pflegekräfte, die auf Covid-Stationen arbeiten, hatten teilweise selbst schon Covid 19, und sind bei aller Belastung unglaublich motiviert für ihren Job. Es gehört zu unserer Aufgabe, ihnen auch mit besonderer Wertschätzung zu begegnen.

Gerd Maeggi: Wie geht es Ihnen gerade? Wie fühlen Sie sich? Solche kleinen Fragen sind ganz wichtig. Wir begegnen uns anders, wir teilen oft kleine Momente, man hat das Gefühl, die Covid-Stationen sind verschworene Gemeinschaften – das erlebe ich als sehr motivierend. Die katholische und evangelische Seelsorge arbeitet da auch wunderbar als Team zusammen.

Ulrich Hennes: Am Dreikönigstag konnten die Kinder nicht ins Krankenhaus kommen. Die Seelsorger haben sich dann verkleidet und sind auf Station gegangen und haben den Segen angeschrieben. Dieser Segen ist für viele wichtig: In den folgenden Tagen konnten wir dann hören: Uns kann ja nichts passieren, Sie haben uns gesegnet!

Das könnte Sie auch interessieren:

Können Sie von Begegnungen erzählen, die Sie in den vergangenen Wochen besonders beeindruckt haben?

Gerd Maeggi: Wir hatten eine Frau hier im Haus, die mehrere Chemotherapien im Haus hatte. Sie war Katholikin, und ich habe immer ein Licht für sie in der Kapelle angezündet. Als ich zum dritten Mal zu ihr kam, fragte sie mich, ob ich wieder ein Licht für sie anzünden könne. Klar, sagte ich, mache ich. Das geht aber doch gar nicht, sagte sie, die Kapelle ist ja zu! Da habe ich ihr erklärt, dass das wohl stimmt, wir aber in Absprache mit den Klosterschwestern Lichter anzünden. Da hat sich die Frau natürlich gefreut.

Ulrich Hennes: Ein türkischstämmiger Patient hat sich über den Besuch eines katholischen Pfarrers sehr gefreut. Normalerweise wäre die ganze Familie tagsüber an seinem Bett versammelt. Er hat sie sehr vermisst – und hat sich umso mehr über meinen Besuch gefreut, den er nicht erwartet hätte. Die Begegnung wäre ohne die besondere Besuchssituation wohl gar nicht zustande gekommen. Eine kleine Begegnung, die aber wichtig war. Ich erinnere mich auch an eine Frau, die geweint hat, weil sie ihre Kinder und Enkelkinder nicht sehen kann und vielleicht nicht mehr herauskommt aus dem Krankenhaus – und der es gut getan hat, einfach über ihre Traurigkeit zu sprechen.

Nehmen Sie selbst auch Supervision in Anspruch?

Gerd Maeggi: Ja, wir sprechen regelmäßig über das Erlebte, per Zoom momentan. Nur so können wir jeden Tag wieder mit voller Kraft arbeiten.

„Die Kirche muss nicht laut, sondern da sein”

Haben Sie Sorge vor Ansteckung, wenn Sie auf die Covid-Station gehen?

Ulrich Hennes: Ich gehöre nicht zur Risikogruppe, habe auch keine Familie, weil ich ja zölibatär lebe, und habe auch keine Angst.

Gerd Maeggi: Ich habe auch keine Angst. Wir passen alle maximal auf. Wenn meine Corona-App rot leuchtet, lasse ich mich testen. Ich habe eine Frau und zwei Kinder. Wenn ich das Virus bekäme, würde ich mich isolieren. Der Respekt vor einer Erkrankung ist da – aber ich gehe zu allen anderen Infektionspatienten und würde nie Besuche ablehnen, wenn das Krankenhaus mir das ermöglicht.

In der ersten Phase der Pandemie wurden Stimmen laut, ein Besuchsverbot in den Altenheimen und Krankenhäusern sei unmenschlich – es gab auch Kritik an den Kirchen: Sie seien zu leise, würden sich zu wenig für Besuch und Seelsorge einsetzen.

Gerd Maeggi: Im März und April pumpte bei allen das Adrenalin. Das Besuchsverbot in den Heimen war eine Reaktion darauf. Ich glaube, die Kirchen müssen nicht laut sein, sie müssen da sein. Egal wie schlimm der Shutdown war, wie knapp die Materialien waren – wir waren da, auch im Frühjahr. Da muss kein Stadtsuperintendent oder Kardinal laut rufen – wir müssen einfach unsere Arbeit machen.

Macht Covid Ihre Arbeit schwerer?

Ulrich Hennes: Ich finde die Arbeit nicht schwerer, aber wesentlicher. Es geht mehr um die existenziellen Fragen, sie nehmen im Alltag mehr Platz ein.

Gerd Maeggi: Der Tod ist auch als Gemeindepfarrer Teil meines Berufs gewesen. Manchmal komme ich jetzt auf Station und sehe schon das Aromalicht, dann kann ich mich nur noch verabschieden, manchmal spreche ich noch ein letztes Mal mit einem Menschen, mal sehe ich ihn wieder, obwohl er sich schon verabschiedet hatte. Das Bewusstsein für den Tod spielt in der Pandemie eine größere Rolle – das ist für viele erschreckend, kann aber auch helfen, das Leben zu schätzen. Auf den Stationen erleben wir dieses Bewusstsein sehr intensiv.

KStA abonnieren