„Hochgradig unsolidarisch“Absagen für Impfungen mit Astrazeneca in Köln häufen sich

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Impfstoff Astrazeneca

Eine Ärztin zieht eine Spritze mit den Impfstoff des Herstellers Astrazeneca auf.

  • Immer mehr Menschen sagen ihre Impftermine ab, weil sie nicht mit dem Vakzin des Herstellers Astrazeneca geimpft werden wollen. Dadurch sind in Köln mittlerweile 5400 Impfdosen übrig.
  • Was passiert nun mit diesen Dosen? Ist das aktuell eher schlechte Image des Impfstoffes berechtigt? Und welche Auswirkungen haben die Absagen?
  • Christian Miller, Chef der Kölner Berufsfeuerwehr, und Jürgen Zastrow, Leiter der Kassenärztlichen Vereinigung in Köln, beantworten im Interview die wichtigsten Fragen.

Dem Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers Astrazeneca wird eine Wirksamkeit von 70 Prozent zugesprochen. Das klingt wenig, wenn man es mit der 95-prozentigen Wirksamkeit des Vakzins von Biontech und Pfizer vergleicht. Die Sorge in der Bevölkerung vor einem nicht ausreichenden Impfschutz ist daher groß. Ist sie begründet? Jürgen Zastrow: Nein. Es gibt bisher drei zugelassene Impfstoffe und bei allen wurde eine Wirksamkeit nachgewiesen. Manche Studien sagen nun, der Schutz vor Ansteckung sei bei Astrazeneca etwas schwächer als bei anderen. Das mag wohl so sein, aber es gibt nie drei gleiche Impfstoffe. Die Mittel haben verschiedene Charakteristika, so wie es auch verschiedene Medikamente haben.

Der viel wichtigere Punkt sind daher die Studien-Designs. Wenn man sich diese anschaut, merkt man, dass die durchgeführten Studien bei den verschiedenen Impfstoffen überhaupt nicht vergleichbar sind. Was ist denn da von wem mit welchem Ziel und welcher Fragestellung untersucht worden? Das würde der Biomathematiker sofort fragen. Aber so tief steigt niemand ein. Am Ende steht eine Prozentzahl für die Wirksamkeit, das eine hat 90 und das andere 70, und nur das wird diskutiert. Nach dem Motto: Astrazeneca ist schlecht und Biontech toll. Das geben die Studien aber gar nicht her, wenn man diese mal ernsthaft liest. Man kann nicht nur einen Faktor herauszuziehen und daran die Qualität festmachen. Deswegen ist die Diskussion um den Astrazeneca-Impfstoff abstrus – weit entfernt von Realitäten und vom ernsthaften wissenschaftlichen Diskurs. Und was mich epidemiologisch ärgert, ist der Spruch von einem „Impfstoff zweiter Klasse“. Das ist einfältig und überhaupt nicht angebracht.

Die Impfung gilt als wichtigste Waffe im Kampf gegen das Coronavirus – als Ausweg aus der Pandemie. Dennoch sagen in Köln aktuell viele Impfberechtigte ihren Termin im Impfzentrum ab, weil sie nicht mit dem Vakzin von Astrazeneca geimpft werden wollen. Alleine am Montag wurden laut Stadt von 500 täglich angebotenen Terminen nur 115 wahrgenommen. 73 Personen hatten im Vorfeld bereits ihren geplanten Termin verschoben oder abgesagt. Wie nehmen Sie diese deutliche Abnahme der Nachfrage im Impfzentrum wahr?

Christian Miller: Wir merken, dass das Image, das der Astrazeneca-Impfstoff bekommen hat, sich direkt auf die Impfbereitschaft niederschlägt. Nach dem ersten Hype am 10. Februar gab es eine deutliche Abnahme. Die Kolleginnen und Kollegen im Callcenter, die mit den Impfberechtigten am Telefon sprechen, berichten davon, dass bei der Terminvergabe oftmals zunächst die Frage gestellt wird, welcher Impfstoff denn zur Verfügung stehe. Wenn dann der Name Astrazeneca fällt, wird sofort diskutiert und gesagt, man wolle unbedingt Biontech/Pfizer haben. Wenn ihnen erklärt wird, dass es keinen Anspruch auf einen bestimmten Impfstoff gibt, sondern klare Regeln vom Ministerium gelten, wie der Impfstoff verteilt werden muss, ist die Impfbereitschaft ganz schnell weg. Neu ist nun, dass bereits vereinbarte Termine durch die zu Impfenden selbst storniert werden, weil sie erkannt haben, dass keine Alternative zu Astrazeneca angeboten wird. Da wollen sie lieber keinen Termin haben. Das ist für uns unglaublich irritierend, weil wir bisher den Eindruck hatten, dass jeder, der einen begehrten Impftermin bekommen hat, auch heilfroh darüber ist. Die Stimmung kippt aktuell und das macht uns große Sorge.

Die Hoffnung der Menschen, die ihren Termin absagen, könnte sein, dass sie einen anderen Termin bekommen, bei dem ihnen der Biontech-Impfstoff zugeordnet wird. Ist das realistisch?

Miller: Nein. Wenn jemand aus eigenem Antrieb einen Termin nicht wahrnimmt oder storniert, dann wird dieser zunächst anderweitig vergeben. Dadurch stellt sich derjenige, der den Termin abgesagt hat, in der Warteliste wieder ganz hinten an. Wenn man Glück hat, bekommt man in zwei Wochen einen neuen Termin, wenn man Pech hat, wartet man Monate. Zudem gibt es keinen Anspruch darauf, beim zweiten Termin den Biontech-Impfstoff zu erhalten. Wenn man die Kriterien erfüllt und jünger als 65 Jahre alt ist, bekommt man den Astrazeneca-Impfstoff – egal ob jetzt oder in vier Wochen. Deswegen macht es keinen Sinn, den Termin abzusagen. Solange sich die Erlasslage nicht ändert, bleibt es bei diesen Regeln.

Zastrow: Ich glaube, dass manche tatsächlich glauben, es sei eine Art Lotterie. Ich muss nur oft genug spielen, dann kriege ich auch mal ein rotes Kärtchen. Aber das ist nicht so.

Was passiert mit den Impfdosen, die aufgrund einer Terminabsage nicht genutzt werden?

Miller: Aktuell haben wir rund 5400 Impfdosen von Astrazeneca übrig. Das bedeutet nicht, dass sie in Köln im Kühlschrank liegen. Sie wurden vom Gesundheitsministerium nicht abgerufen, sodass sie sich immer noch im Depot befinden. Aber wir hätten die Möglichkeit, wenn die Bereitschaft da wäre, diese Impfdosen zu verimpfen. Und das ist das eigentliche Problem. Wir haben zwar das Glück, dass der Astrazeneca-Impfstoff nicht direkt verfällt. Aber wir haben natürlich Menschen, die man vor einer mitunter heftig verlaufenden Covid-19-Erkrankung mit teilweise schwerwiegenden Langzeitfolgen schützen könnte, die sich jedoch aus weniger rationalen Gründen diesem Impfschutz entziehen. Wir bauen durch die abgelehnten Impfungen sukzessive Überkapazitäten auf, die wir mit der Zeit immer schwieriger abarbeiten können.

Denn einerseits haben wir eine starke Fokussierung auf priorisierte Berufsgruppen – so wie per Erlass reglementiert. Aber andererseits nimmt die Bereitschaft in diesen Berufsgruppen für den Astrazeneca-Impfstoff immer weiter ab. So staut sich die Welle auf. Nach letzter Woche waren wir schon bei 5400 Impfdosen, diese Woche werden weitere hinzukommen. Es ist aus meiner Sicht kaum nachvollziehbar, sogar ein Skandal, dass man weiß, dass in den anderen Prioritätsgruppen Menschen händeringend darauf warten, geimpft zu werden, und in der bevorrechtigten Gruppe die Impfbereitschaft nicht da ist. Ich halte es für kaum rational erklärbar, was hier gerade passiert.

Zastrow: Die Impfstoffdosen bleiben nicht übrig oder werden verworfen. Es ist immer noch so, dass wir selbst in der gleichen Prioritätsgruppe Personen finden, die sich impfen lassen wollen und die dann nachrücken. Allerdings müssen wir, wenn jemand seinen Impftermin absagt, ein neues aufwendiges Vergabeverfahren für die jeweilige Impfdosis starten und das dauert, bis wir damit einen rechtmäßigen Nachfolger gefunden haben.

Vor allem Risikopatienten fordern aktuell, bei der Impfung bereits früher berücksichtigt zu werden…

Miller: Richtig. Genau aus diesem Grund haben wir in Köln die Ethikkommission gegründet, damit wir die Priorisierung so anpassen können, dass auch noch Menschen Impfstoff erhalten können, die unter einem hohen persönlichen Erkrankungsrisiko stehen. Das sind Immunsupprimierte, Krebspatienten oder auch Patienten, die vielleicht auf eine Transplantation warten. Sie alle warten sehnsüchtig, während es andererseits Menschen gibt, die ihre Termine willkürlich absagen, weil sie nicht ihren Wunsch-Impfstoff bekommen. Man muss sich mal die Tragweite dieser Situation vor Augen führen. Dieses Verhalten ist hochgradig unsolidarisch.

Ist es unsolidarisch, sich gegen die Impfung mit dem Vakzin von Astrazeneca zu entscheiden?

Zastrow: Man gefährdet in diesem Fall andere. Denn durch die Impfung schützt man nicht nur sich selber, sondern auch alle Menschen um sich herum. Ob der Geimpfte Überträger von Covid-19 sein kann oder nicht, ist noch Gegenstand von Untersuchungen. Aber wenn man selber nicht krank wird, dann trägt man es wahrscheinlich auch nicht weiter. Deswegen arbeiten wir alle gemeinsam an einer Gruppenimmunität. Das ist das Ziel. Aber die Solidarität ist bei dem einen eben größer und bei dem anderen kleiner. Dabei geht es auch um den Eigenschutz. Astrazeneca schützt genauso wie die anderen Impfstoffe, wenn ich den Infekt nun habe, vor einem schweren Verlauf. Sie dürfen also damit rechnen, dass Sie in dem Fall eine normale Grippe haben – mit ein paar Tagen Kopfschmerzen, Fieber und Husten vielleicht. Aber dann gehen Sie auch wieder arbeiten und nicht ins Krankenhaus auf die Intensivstation. Das ist der kleine Unterschied zwischen einer Impfung mit Astrazeneca und gar keiner Impfung.

Miller: Auch die 70 Prozent Wirksamkeit werden oftmals fehlinterpretiert. Es heißt nicht, dass das Individuum nur zu 70 Prozent geschützt ist. Sondern von 100 Menschen haben 70 einen voll entwickelten Impfschutz – und das in ähnlicher Qualität so wie mit den anderen Impfstoffen auch. Zudem reicht es bei anderen Impfstoffen normalerweise sogar aus, wenn sie eine etwa 50-prozentige Wirksamkeit haben. Jetzt haben wir bei Astrazeneca schon 70 Prozent und diskutieren die Qualität des Impfstoffes, die eigentlich hervorragend ist.

Zastrow: Tatsächlich ist es so, dass die ganz normalen Grippeschutzimpfungen häufig bei einer Wirksamkeit zwischen 60 und 80 Prozent liegen. Nie über 90 Prozent. Astrazeneca liegt im Vergleich zu normalen Grippeimpfstoffen also recht gut.

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70 Prozent der mit Astrazeneca-Geimpften haben einen vollständigen Impfschutz. Was ist also mit denen, die zu den anderen 30 Prozent gehören?

Zastrow: Das Gefühl vieler Menschen ist: 30 Prozent sterben. Aber dem ist nicht so. Wenn man zu den 30 Prozent gehört, dann hat man zwar ein größeres Risiko, sich trotzdem anzustecken. Doch man kann sagen: „Na und?“ Denn man ist geimpft und die Ansteckung verläuft wesentlich harmloser – ohne schweren oder sogar tödlichen Verlauf.

Verschiedene Nachrichten von Nebenwirkungen nach der Impfung verunsichern die Menschen offenbar sehr. Doch Immunologen betonen, der einzige Unterschied zwischen den Wirkstoffen sei, dass die Nebenwirkungen bei mRNA-Impfstoffen wie Biontech in mehr Fällen und stärker nach der zweiten anstelle der ersten Impfung auftreten. Bei Vektor-Impfstoffen wie Astrazeneca sei es genau umgekehrt…

Zastrow: Genau. Es sind völlig unterschiedliche Wirk-Mechanismen. Bei Astrazeneca tritt mit der Impfung sozusagen sofort eine Auseinandersetzung mit dem Immunsystem ein. Bei den mRNA-Wirkstoffen wird der Körper hingegen erst dazu stimuliert, selber Antikörper zu bilden. Das dauert einfach länger. Zehn Tage nach der Impfung ist man meistens bei 50 Prozent, nach zwei Wochen bei 70 Prozent und vor der letzten Impfung hat man einen Schutz von bis zu 80 Prozent. Abgeschlossen wird es dann mit der Zweitimpfung. Wir sind in Köln elf leitende Impfärzte im Impfzentrum und wir haben uns alle mit dem Biontech-Impfstoff impfen lassen. Von den Jüngeren, die ganz gesund sind und viel Sport machen, haben tatsächlich drei nach der Zweitimpfung Grippesymptome bekommen. Ich selber überhaupt nicht. Das heißt aber nur, dass die drei jüngeren Geimpften eine bessere und stärkere Impfreaktion haben als ich und wahrscheinlich auch mehr Antikörper bilden. Es ist daher bemerkenswert, dass die jungen und gesünderen Pflegekräfte in den Altenheimen, die aktuell zur priorisierten Berufsgruppe gehören, weniger einer Impfung zustimmen als die Alten, die eh schon gehandicapt sind. Ich habe jetzt schon oft erlebt, wie ältere Personen gesagt haben, dass sie eh alt und krank seien, nur noch ein paar Jahre zu leben hätten, aber sich für die anderen impfen lassen. Nach dem Motto: Unsere Kinder und Enkel sollen es einmal besser haben. Sie sind eher bereit, an ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu denken als die Jüngeren.

Welche Auswirkungen hat diese Impf-Verweigerung jüngerer Menschen?

Zastrow: Wir brauchen dadurch länger, bis wir die Gruppenimmunisierung erreicht haben und es werden mehr Leute sterben. Man muss einmal ganz klar sagen: Diese Einstellung kostet Menschenleben.

Miller: Wir verlieren wertvolle Zeit und erhöhen das Risiko, dass jemand, der hätte geimpft werden können, einen schweren Krankheitsverlauf hat. Wir haben durch die Ethikkommission Zuschriften von Menschen, die schwer krank, aber nicht in der ersten Prioritätsgruppe sind. Daher ist es für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, dass es Menschen gibt, die ein hohes gesellschaftliches Privileg in den Händen halten, nämlich jetzt geimpft zu werden, dieses Privileg aus nicht nachvollziehbaren, objektiven Gründen beiseitelegen. Das muss man sich auch gesamtgesellschaftlich vor Augen führen. Mit jedem Tag, mit jeder Stunde, mit jedem Termin, der verloren geht, erhöht man das Erkrankungsrisiko für diejenigen, die dringend eine Impfung bräuchten. Und natürlich erhöht man das Risiko, dass wir länger brauchen, um verfügbaren Impfstoff zu verimpfen und noch länger brauchen, um die Pandemie zu überwinden. Das ist eine Situation, die mir als Feuerwehrmann in der Seele wehtut.

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