„Jewrovision“ in KölnNach dem Gebet geht’s um die Titelverteidigung

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Proben für den Sing- und Tanzwettbewerb in der Synagoge an der Roonstraße.

Proben für den Sing- und Tanzwettbewerb in der Synagoge an der Roonstraße.

Köln – Judith trägt T-Shirt, Jogginghose und Turnschuhe, ihre langen roten Haare sind zu Zöpfen geflochten. Die 17-jährige Hobbytänzerin steht zwischen rund zwanzig weiteren Jugendlichen. Musik erklingt; ein basslastiger Rhythmus, der zum Mitschnippen einlädt. Die Tänzer gehen ein paar federnde Schritte im Takt, bleiben stehen und reißen die Arme nach oben. Das jüdische Jugendzentrum Jachad probt in der Synagoge an der Roonstraße für „Jewrovision“.

Der Gesangs- und Tanzwettbewerb für jüdische Jugendliche findet am Samstag im X-Post am Gladbacher Wall statt. Rund 1000 Teilnehmer und Zuschauer aus ganz Deutschland werden zu der Show erwartet. Es ist die größte Veranstaltung dieser Art in Europa. Ausgerichtet wird der Wettbewerb, den es seit 2002 gibt, vom Zentralrat der Juden in Deutschland.

Zweite Titelverteidigung

„Jewrovision, das ist ein großes Ding für die jüdische Gemeinde in Deutschland“, sagt Tänzerin Judith. Das Jugendzentrum Jachad aus Köln will in diesem Jahr zum zweiten Mal den Titel verteidigen. 2013 und 2014 hat die Gruppe aus Köln den Wettbewerb bereits gewonnen. 2014 sangen die Kölner „Bar Mitzwa“ zur Melodie von „Treasure“ von Bruno Mars. Die Mädchen trugen goldene Röcke und schwarze Tops, die Jungen knallrote Anzüge. „Jewrovision“ vereint religiöse Identität und Popkultur.

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„Ich habe nichts mehr gehört, weil alle vor Freude geschrien haben“, erinnert sich Judith an den Sieg im Vorjahr. Da stand das Ergebnis schon fest, bevor die Punktevergabe zu Ende war. Eine Jury und die Jugendzentren selbst vergeben Punkte, die, ähnlich wie beim Eurovision Song Contest, in einem langen Prozedere verkündet werden. „Wir waren irgendwann nicht mehr einzuholen“, sagt Judith. Jachad gewann mit 193 Punkten vor dem Jugendzentrum Olam aus Berlin mit 178 Punkten.

Die Favoritenrolle verpflichtet. „Ihr wollt doch das Triple, den dreifachen Sieg, oder?“, fragt Mary Brunck mit fester Stimme. Die Jugendlichen lachen, alle nicken. Die 34-jährige Brunck leitet das Jugendzentrum Jachad und die Proben für Jewrovision. Seit zwei Monaten trifft sich die Gruppe zwei- bis dreimal pro Woche. Die Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 19 Jahren kommen nach der Schule zusammen, um bis zu vier Stunden zu singen und zu tanzen. Brunck hat die Ärmel hochgekrempelt und dirigiert die Tänzer mit rudernden Armbewegungen durch den Raum: „Nutzt die ganze Fläche.“

Starkes Konkurrenzdenken

Zwei Lieder studiert die Gruppe für ihren Auftritt ein, eine traditionelle, getragene Melodie und einen tanzbaren Popsong. Die Titel werden erst am Abend des Wettbewerbs verraten. Zu der Musik haben die Jugendlichen neue Texte auf Deutsch und Hebräisch geschrieben. „Die Songs handeln von Gemeinschaft“, sagt Tänzerin Judith, „und von Frieden.“ Die Proben für den Auftritt, der diese Werte beschwören soll, die seien indes beides: „Krieg und Frieden“, sagt Mary Brunck und lacht. „Was seid ihr denn für Tänzer?“, fragt sie in Richtung der Jungen. Die sollen in der Choreografie zu dem Popsong cool auf die Mädchen zugehen und sie zum Tanz auffordern. Brunck schüttelt den Kopf. „Den Oberkörper weiter nach vorne neigen“, sagt sie und macht es vor.

Jewrovision, das sei trotz Spaß und Gemeinschaftsgefühl ein harter Wettbewerb, sagt Judith. Vor der Show am Samstagabend feiern die jugendlichen Teilnehmer und Zuschauer zusammen den Schabbat, mit Gebeten und einem gemeinsamen Essen. Doch wenn der Wettbewerb begonnen hat, dann gebe es durchaus starkes Konkurrenzdenken, sagt Judith.

Der elfjährige Yan steht im großen Saal der Synagoge und wartet auf seinen Auftritt. Der kommt, als das zweite Lied geprobt wird. Mit ausladender Geste setzt Yan den Bogen an seine Geige und spielt eine Melodie in Moll. Nach und nach steigen die acht Sängerinnen und Sänger mit ein, die Tänzer halten sich im Hintergrund und bilden eine Menschenkette. „Eine Mischung aus Stolz und Traurigkeit“ wolle die Gruppe mit diesem Auftritt bei Jewrovision vermitteln, sagt Geiger Yan. „Aber wenn ich Musik mache, vergesse ich meine Traurigkeit“, fügt er hinzu.

So scheint es allen Jugendlichen bei den Proben zu gehen. Es wird viel gelacht, nicht zuletzt über Patzer. Yan spielt den letzten Ton und setzt zufrieden sein Instrument ab. Sein Vorbild, sagt er, ist Alexander Rybak. Der norwegische Geiger hat 2009 mit dem Lied „Fairytale“ den Eurovision Song Contest gewonnen.

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